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Rafael Reisenhofer Osnabrück

Lebt und studiert in Osnabrück

2. 11. 2009 - 19:19

Bildung und Markt

Entschuldigung, hier liegt ein Missverständnis vor.

Die Uniproteste auf FM4

Seit geraumer Zeit machen heimische Studierende ihrem bildungspolitischen Unmut in besetzten Hörsälen wie auf offener Straße gehörig Luft. Waren die damit verbundenen Forderungen anfangs noch weitläufig und vage formuliert, ist der aktuelle Katalog eine umfassende Aufstellung konkreter Verbesserungsvorschläge im Dienste der großen, gemeinsamen Vision: Freie Bildung für alle. Unter vernünftigen Bedingungen.

Es soll also jedem Menschen mit entsprechender Befähigung (z.B. Matura) unabhängig von Einkommen, (sozialer) Herkunft, Geschlecht, eventueller körperlicher Benachteiligung, sowie allen anderen denkbaren distinguierenden Merkmalen die Möglichkeit gegeben sein, sich auf einer Hochschule unbeschränkt zu bilden. Ohne überfüllte Hörsäle und Platzbeschränkungen. Ohne Angst, nach einem misslungenen Semester die Existenzgrundlage zu verlieren. Dafür mit einem guten Betreuungsverhältnis als Teil einer qualitativ hochwertigen Lehre. Zu vernünftigen Bedingungen also.

Diese Vision ist - vorsichtig formuliert - umstritten. "Wir können uns das nicht leisten, schließlich hat der Staat ohnehin kein Geld. Die Studierenden fordern die eierlegende Wollmilchsau, eine Welt, in der sie nichts leisten müssen, jedoch alles haben sollen. Wo es in der Realität, dem freien Markt, auch nichts gratis gibt und schon gar nichts, ohne Leistungsdruck." So die gängigsten Einwände, denen an dieser Stelle auf das Entschiedenste widersprochen werden muss.

Missverständnis Nr. 1: "Wir können uns das nicht leisten!"

Ein - wie oben beschrieben - freies, unbeschränktes Hochschulsystem kostet Geld. Viel Geld. Und da uns seit gefühlten Ewigkeiten erklärt wird, dass es dem Staat diesbezüglich an allen Ecken und Enden fehlen würde, ja gewissermaßen die halbe Welt vor dem Bankrott stünde, ist man geneigt zu sagen: Haben wir nicht!

Tatsächlich ist es weniger eine Frage des Könnens, denn des Wollens. Wir, die Gesellschaft, die österreichischen BürgerInnen, könnten uns ein derartiges Bildungswesen allemal leisten. Wenn nur ein Viertel von dem stimmt, was Christian Felber vergangene Woche in einer vor dem Plenum der BesetzerInnen gehaltenen Rede sagte, können wir uns das leisten. Und sei es durch eine vielleicht schmerzhafte Steuererhöhung, die Vision der demonstrierenden StudentInnen ist kein naiver Brief ans Christkind, keine verwegene Utopie, sondern ein ernstzunehmendes bildungspolitisches Modell. Ein Deal, der uns als Gesellschaft jederzeit offensteht, den entsprechenden Willen vorausgesetzt.

Nun ist es so, dass vom Kanzler bis zum Nachtwächter über die Unabdingbarkeit guter Bildung prinzipiell Einigkeit herrscht. Wirtschaftlicher oder sozialer Fortschritt sind abseits eines gut ausgebauten Schul- bzw. Hochschulwesens ebenso wenig denkbar, wie eine Aufrechterhaltung unseres derzeitigen Wohlstands. Im Informationszeitalter, in der Wissensgesellschaft ist die Investition in Bildung Dreh- und Angelpunkt jeder nachhaltig positiven Entwicklung und langfristig unsere einzige Perspektive, in den Wirren der Globalisierung nicht unterzugehen. Da aber Finanzminister wie Bezirksvorsteher die Verantwortung für höhere Abgabenquoten oder Defizite scheuen, wie der Teufel das Weihwasser, versuchte sich ein Großteil der europäischen politischen Elite über die letzten Jahre in einem verkrampften Spagat zwischen guter und kostensparender Bildung, dessen notwendiges Scheitern in zwei weiteren großen Missverständnissen begründet liegt.

Missverständnis Nr. 2: "Der Markt soll Bildung regulieren!"

Um einerseits auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, gleichzeitig aber nicht zu viel Geld ausgeben zu müssen, versteigt sich die europäische Politik seit einigen Jahren darauf, Bildungssysteme unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Relevanz zu reformieren. Dürstet es den Markt nach IT-Fachkräften, wird das Möglichste getan, diese bereitzustellen. Werden Abgänger so mancher geisteswissenschaftlicher Disziplin eher sporadisch nachgefragt, so können sich die korrespondierenden Studiengänge auf eine Kürzung der Zuwendungen einstellen. Dieser vorauseilende Gehorsam ist nicht nur grauslich mitanzusehen, sondern vor allen Dingen kontraproduktiv und innovationsfeindlich. Denn wer in Bildung wie Ausbildung ausschließlich die marktwirtschaftlichen Erfordernisse der Gegenwart bedient, wird auch in Zukunft immer nur die selben, alten Antworten erhalten und riskiert somit intellektuelle, technologische und gesellschaftliche Stagnation.

Missverständnis Nr. 3: "Bildung soll nach den Gesetzen des Marktes funktionieren!"

Während Universitäten wie Schulen ihr Publikum sehr wohl auf die Herausforderungen und Beschwernisse des echten Lebens, des freien Marktes vorbereiten sollen, steht nirgendwo geschrieben, dass sie auch nach seinen Gesetzen zu funktionieren haben. Im Gegenteil. Gute Bildung zeichnet sich eben dadurch aus, in Ruhe und ohne Druck stattzufinden. In einer Umgebung, die es erlaubt, sich ausschließlich auf das Erlernen jener Werkzeuge zu konzentrieren, die man so bitter nötig hat, um in der Härte der Wirklichkeit zu bestehen. Wenn nun versucht wird, an den Hochschulen über Eingangsphasen, Eignungstests, Voraussetzungsketten und Zugangsbeschränkungen eine Effizienzsteierung herbeizuführen, bewirkt man vor allem eines: Die Reproduktion jener Elite, die sich derartigen Unanehmlichkeiten immer schon zu entziehen wusste.

Markt und Bildung besitzen einen entscheidenden Zusammenhang. Uns. Nicht die Personalchefs, nicht die Minister, wir selbst entscheiden, was wir lernen wollen. Und wenn wir uns bereit fühlen, gehen wir in die Welt hinaus, um zu sehen, was sich damit bewerkstelligen lässt, und definieren einen neuen Markt, eine neue Realität, unsere Realität. Alles andere ist Humbug.