Erstellt am: 27. 10. 2009 - 20:22 Uhr
Journal '09: 27.10.
Die Uniproteste auf FM4
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- Journal '09: 28.10.Which side are you on? (28.10.2009)
- Raus auf die Straße (28.10.2009)
- Journal 09: Über die Abschiebung des gerupften Hahns nach Brüssel (27.10.09)
- Protest in Selbstorganistation (27.10.2009)
- #audimax #unsereuni #unibrennt (26.10.2009)
- Journal '09: Studis und Unis. Rat und Vorwurf (24.10.2009)
- Die Basis und die Demoktratie (23.10.2009)
- Audimax besetzt (22.10.2009)
- Malen nach Zahlen (21.10.2009)
- und alles im Überblick auf fm4.orf.at/uni
Es war bereits am Samstag vorauszusehen (und mein letzter Satz im dortigen Journal sieht es bereits als Tatsache): die Regierung kommandiert Johannes Hahn, den Wissenschaftsminister, ehemaliges Vorstandsmitglied von Novomatic, als EU-Kommissar nach Brüssel ab. Hahn wurde in den letzten Tagen ordentlich durchgerupft - im aktuellen Bildungs-Protest auf den Unis spielte er eine erschreckend hilflose Rolle als handlungsunfähiger Ressortchef.
Nun löst diese Finte aber weder das Problem der Universitäten-Krise, noch schafft sie Vertrauen in die EU-Politik des Landes.
Ganz im Gegenteil: man verliert an beiden Fronten und zwar deutlich, in Debakel-Höhe.
Wie es zu dieser Lose-Lose-Situation kommen konnte, und welche verheerende Folgen sie noch nach sich ziehen kann, möchte ich im folgenden ein wenig näher in Augenschein nehmen.
Aus der Nummer rauskommen
Ich habe den letzten Freitag Nachmittag zufällig in einem Raum mit einem des Wissensmächtigen des innenpolitischen Zirkels verbracht, der da fast minütlich über die Causa prima des Tages upgedatet wurde: die parteipolitisch motivierte Taktiererei um die Besetzung des EU-Kommissars.
Was da an inoffiziellen Meldungen und Anliegen der Player in diesem aus dem Ruder gelaufenen Spiel eintrudelte, war (von allen Seiten) formal und inhaltlich erschütternd und veranlasste den Wissensmächtigen zu einem kopfschüttelnd wiederholten Satz: er würde gern wissen, wie die Spieler aus dieser Nummer rauskommen würden.
Der Hintergrund: in einem reinen Machtmatch zwischen den Koalitionspartnern ärgern sich Faymann und Pröll gegenseitig über Personal-Politik. Sie sorgen durch Unbedachtheit und Sticheleien dafür, dass Ex-Vizekanzler Molterer (der als Agrar-Kommissar, eine wichtige Rolle innerhalb der EU, man erinnert sich an Franz Fischler, der da gefühlt eine wesentliche Rolle im Brüsseler Gefüge spielte) und auch die aktuelle EU-Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-Waldner enorm beschädigt wurden. Nur weil der eine (aus billiger Parteiraison) einen bestimmten Kandidaten wollte und der andere, der Nominierer (aus noch niedereren Beweggründen wie Revanche), den zu verhindern trachtete. Mieses Impro-Theater.
Selbst-Schwächung, ohne Not
In der Bredouille die am besagten Freitag deutlich wurde (man musste eine Lösung finden, mit der alle leben konnten) kam die Lage an den Unis gerade recht: ein Minister in Nöten ist natürlich jemand, der leicht zu einem Karrieresprung zu überreden ist. Zumal er schon davor als möglicher Jack-in-the-box auf der Shortlist stand.
Mit seiner Nominierung ist der dümmliche Regierungs-Wickel der letzten Wochen als Nullsummenspiel mit zahllosen Image-Opfern beendet.
Aber: das erfolgte auf Kosten der Position. Denn der Kommissar-Job, den Neuling Hahn, international ein Leichtgewicht, bekommt, wird in jedem Fall ein unwichtiger werden. Womöglich der für Bildung, einem kleinen, einfluss- und kompetenzlosen Ressort. Denn der Wissenschaftsjob ist vergeben.
Das heißt: die inhaltlich wert- und belanglose Intrige hat die Position Österreichs in Brüssel massiv geschwächt.
Ganz ohne Not.
Denn: statt einer eingespielten Quasi-Außenministerin oder einem in einer Hausmacht-Tradition gefestigtem Agrar-Kommissar gibt sich das offizielle Österreich mit einem Hinterbänkler zufrieden.
Hahn ist Oettinger, aber nur fast
Nun ist die deutsche Nominierung unter ähnlich peinlichen parteipolitischen Personalspielen vonstatten gegangen. Dort hatte die CDU auch jemanden abgeschoben, der daheim schlechte Figur macht. Wobei Kanzlerin Merkel den Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, nicht deshalb nominierte, weil er öffentlich versagt hatte - er galt einfach parteiintern als anstrengend.
Auch die Deutschen haben sich da möglicherweise verrechnet. Denn das "wichtige Ressort im Wirtschaftsbereich", das Merkel annoncierte, wackelt - es gibt schon Einsprüche.
Bloß: das kann Deutschland ein bisserl wurscht sein.
Bei den großen Richtlinien der EU-Politik kommt Brüssel nicht an Berlin/Merkel vorbei.
Für Österreich gilt das nicht: über Wien/Faymann fährt man im Notfall ungebremst drüber, ein gut angesehener und mit einem zentralen Ressort betreuter Statthalter (denn der jeweilige Kommissar ist nun einmal der wichtigste Vertreter eines jedes Mitgliedslandes) ist also wichtig.
Und genau das hat die Regierung Faymann/Pröll mit heutigen Tage versaut.
Europa? Leistungs-Prinzip? Schon eher wurscht...
Daraus lassen sich zwei Merksätze ableiten.
Erstens: Österreichs Bundesregierung ist eine sinnvolle Präsenz in Brüssel, eine wirkungsvolle Rolle in Brüssel nicht wichtig. Zumindest weniger wichtig als heimische Intrigen-Wirtschaft.
Zweitens: wenn jemand aus dieser Regierung, vor allem von VP-Seite noch einmal die Phrase von Leistung die sich lohnen müsse, auspackt ist es erste Bürger- und Medien-Pflicht, diesem augenauswischenden Lippenbekenntnis diese Bestellung entgegenzuhalten. Nicht der bestmögliche Kandidat, nicht die Leistung entschied für die Nominierung, sondern die Parteiraison.
Dieser massive europäische Schaden, den man da angerichtet hat, mag Onkel Dichand erfreuen, ob die Onkels Leitl, Konrad und der Rest der Industriellenvereinigung, ob die Bauern und die Diplomaten das auch so sehen, darf bezweifelt werden.
Wenn Faymann/Pröll all denen und vor allem einer in EU-Dingen gnadenlos unbeleckten Bevölkerung damit ein Signal geben wollten, wie wichtig sie die Idee von Europa nehmen - dann ist ihnen das gelungen.
Was hinter den drei zentralen Twitter-Hashtags steht:
Unibrennt
Audimax
UnsereUni.
Das ist der Livestream, das ist die "UBahn-Zeitung" mit dem schönen Titel "Morgen" im Dowbload.
Hier die Links zu den wichtigsten Wirkungs-Analysen, die von Jana Herwig, von Tom Schaffer, die von Niko Alm, von Philipp SondereggerHelge Fahrnberger(www.helge.at
Und auch ein Betroffenen-Bericht kann super-analytisch sein.
Die Fehlkalkulation der alten Garde
Aber auch an der Uni-Front hat der Abzug von Hahn, die Notbremse, mit der man den Bildungs/Wissenschafts-Lokführer, der bislang nur im Kreis gefahren ist, aus dem Führerstand geholt hat, nichts gebracht.
Die notwendige Debatte wird sich dadurch nicht in Luft auflösen, die Proteste werden weitergehen.
Die Annahme man könnte die überaus überfällige Reform des vor lauter Provisorien strotzenden Uni-Systems damit aus den Schlagzeilen nehmen, erfüllt sich nämlich nicht, das diesbezügliche Kalkül geht nicht auf.
An dieser Fehlkalkulation der Regierungs-Strategen läßt sich der aktuelle Stand der Hilflosigkeit der alten Garde den neuen Veröffentlichungs-Formaten der Jungen gegenüber auf das Vortrefflichste illustrieren.
Bislang ist dieser Schmäh nämlich durchgegangen.
Bislang hat der jeweilige Minister (Hahn oder die unselige Vorgängerin) einfach die Standes-Vertreter (im Fall der Studenten die ÖH) halt einfach auflaufen lassen oder weggeblufft. Und dann auf ein Verpuffen gehofft.
Protest 2.0
Wichtig dabei: die Rolle der Medien.
Die transportierten immer brav, was den Mächtigen wichtig war; vor allem das Image der faulen Jungen, die arbeiten oder studieren sollen anstatt sich um eine Verbesserung ihrer Situation zu kümmern.
Dasselbe Muster wurde auch diesmal eingesetzt: eine mehr oder weniger gleichgeschaltete Presse begab sich in krassen Gegensatz zu ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich die Mächtigen zu kritisieren und die Anliegen der Normalos widerzuspiegeln und suhlte sich im vorsichtigen Rat an die Mächtigen und traditionellen Tadel der Jungen.
Nur: das funktioniert nicht mehr.
Denn einerseits bröselt der Protest 2.0 nicht wie seine analoge oder die 1.0-Ausgabe von vor ein paar Jahren nach kurzem Aufbäumen zusammen.
Und andererseits braucht der Protest 2.0 die alten Medien nicht mehr um zu wirken.
Er wirkt von selber, über die eigenen Kanäle, über Social Networks und Live-Stream.
Und das wiederum zwingt die Medien dann erst recht zur Berichterstattung. Und plötzlich ist es die Protestbewegung, die die Bedinungen definiert: denn jede Diffamierung der Mainstream-Medien kann sofort, auf allen Kanälen entgegnet werden. Man hat immer die (Live-)Nase vorn. Und die alten Medien sind verwirrt.
Die Angst der Alten vor den neuen Medien
Der alte Schmäh, der sich in den letzten Jahren bequem durchziehen ließ, greift also nicht mehr.
Da können die Konservativen noch so strampeln.
Die neuen Medien haben ein erstes Ausrufezeichen gesetzt, für Österreich. Wenn aus einem kleinen Flashmob, einer Aktion, einer Demonstation innerhalb von ein paar Tagen ein medial schlauer, inhaltlich gewichtiger und selbstverwalteter Protest wird, der Österreich erregt, dann ist das Beleg genug.
Oldies, die in diesem für sie neuen Problemfeld einen konservativ argumentierenden Anstoß brauchen, wenden sich an Herrn Schirrmacher.
Das haben die Alten den Jungen nicht zugetraut - weil die Alten Protest noch auf einer hochanalogen Ebene begreifen und von den Handlungsweisen dieser digital Natives auf dem falschen Fuß erwischt wurden.
Da nutzen Schachzüge wie der mit Hahn gar nichts.
Und das ist auch gut so.