Erstellt am: 28. 10. 2009 - 20:55 Uhr
Durch die Realismusbrille
Die Uniproteste auf FM4
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- Malen nach Zahlen (21.10.2009)
- und alles im Überblick auf fm4.orf.at/uni
Ob jemand den Beamer für einige Minuten ausschalten könnte, fragt der Hausmeister an der Tür zum Hörsaal BE 01 der Grazer Technischen Universität. Seit Dienstag sechs Uhr abends ist der Beamer eingeschaltet, seit Dienstag nachmittag tagen im Hörsaal Studierende, quer durch alle Studienrichtungen. Den Forderungen der protestierenden StudentInnen in Wien hat man sich angeschlossen. Doch von einer Besetzung kann man an der TU Graz nicht sprechen: der Vizerektor hat den Saal aufgesperrt, bis auf Weiteres kann er genutzt werden.
An der Karl-Franzens-Universität hingegen befürchten die protestierenden StudentInnen im Hörsaal 06.01 der Vorklinik, dass die Besetzung mit einer Vorlesung für Betriebswirtschaft vorbei sein könnte. 250 BWLerInnen könnten Donnerstagvormittag vor den Eingangstüren stehen und den Saal und gar den Protest stürmen. Ein Endszenario, wie es etwas absurd anmutet (wer weiß denn, ob sich angehende BWLerInnen nicht auch einbringen möchten?), doch wer hier schon seit Freitagnachmittag aktiv ist, baut lieber vor. Alle paar Stunden kommen Studierende, um ihre Vorlesungen zu besuchen. Leicht frustriert fragen sie, wo denn bitte zu erfahren sei, wann dieser Protest ein Ende habe.
FM4
Marie Fleischhacker weiß, dass Hörsaalbesetzungen nicht das ideale Mittel zum Protest sind. Sie gehört zum sechsköpfigen Organisationsteam, das von Beginn an hinter den Forderungen der Wiener Protestaktion steht und in Graz die Besetzung vorangetrieben hat. Zur Vollversammlung gestern erschienen 500 Studierende im Hörsaal der Vorklinik in Graz, noch am Gang drängten sich neugierige Gesichter. Heute sitzen siebzig auf den Klappstühlen zwischen Schreibpulten und bewegen ihre Hände wie Baumäste im Wind, wenn etwas beschlossen wird. Denn Applaus ist auf Dauer anstrengend.
Basisdemokratisch geht es auch hier zu. Die im Wiener Audimax formulierten Forderungen wurden in Graz übernommen, in Arbeitsgruppen und danach im Plenum werden sie um Standort-spezifische Probleme und diesbezügliche Forderungen erweitert. So sollen Kurse für zusätzliche Qualifikationen wie Sprachen kostenfrei angeboten werden, erklärt Marie Fleischhacker.
Für das Rektorat wird ein eigener Forderungskatalog zusammengestellt. Im Plenum stimmt man über die ÜberbringerInnen ab. Das bringt den ÖH-Vorsitzenden Cengiz Kulac in eine für ihn verzwickte Situation. Würde er als Teil des Verhandlungsteams der BesetzerInnen zum Rektor mitgehen oder als ÖH-Vorsitzender? Er stehe ja hinter den Forderungen, doch könne er sich nicht aufspalten. Minutenlang windet sich der junge Mann vor dem Plenum. Dann wäre es beinahe zu spät, die Demonstration für morgen anzumelden. Schnell eilt er aus dem Saal. Unbeschwerter und auch entschlossener stellt sich ein betont fraktionsloser Pharmaziestudent dem Plenum vor. Er würde sich freuen, wenn er als Delegierter zum Rektor gesandt werde, "ich gehe als Individuum hin". Fast alle Hände machen visuelle Begeisterungsbäumchen. Dann stellen alle Anwesenden die Sprüche für die Demonstration zusammen, ein Hahn-Reim wird gestrichen, auf die Außenwirkung ist man bedacht.
Zusammen mit den StudentInnen der Technischen Universität soll der Unmut nochmals öffentlich kund getan werden, für Donnerstag, 29. Oktober, ist für 16 Uhr eine Demonstration geplant.
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An der TU finden alle Vorlesungen statt, der Lehrbetrieb wird vom Protest im Hörsaal BE 01 nicht gestört. In Arbeitsgruppen beschäftigen sich permanent rund einhundert Studierende mit ihrer Situation. Nur Wünsche und Ideen zu formulieren sei zu wenig, wir müssen die Probleme durch die Realitätsbrille betrachten, sagt Christian Dobnik. Er war sechs Jahre in der ÖH tätig, nun ist er "mit dem Kollektiv da". Eines ist für ihn klar: mit Forderungen, die sich auf das Bologna-System beziehen, kann die österreichische Protestbewegung alleine nicht weit kommen. Das müsse europaweit diskutiert werden, Solidaritätsbekundungen aus anderen Ländern schätzt er umso mehr.
Auch der Vizerektor kommt heute erneut vorbei, um sich Fragen Studierender zu stellen und ihre Anliegen zu hören. Der Hörsaal ist voll, die Stimmung konzentiert. Die Themen reichen von 24-Stunden-Zugang zu den Räumen und Einrichtungen (wie es teilweise bei Zeichensälen für Architektur-StudentInnen der Fall ist) zur Umsetzung eines Frauenförderungsplans, der vor Jahren beschlossen wurde. Ins Wort fällt sich hier niemand, wer etwas sagen will, zeigt auf. Nur als kurz mit Wiener ProtestkollegInnen Kontakt aufgenommen wird, gibt es begeisterte Ausrufe zum gewohnten Auf-Holz-Klopfen.