Erstellt am: 28. 10. 2009 - 20:04 Uhr
Journal '09: 28.10.
Die Uniproteste auf FM4
- "Freie Bildung für alle": Bundesweiter Aktionstag (5.11.2009)
- Unizugang, frei geregelt oder beschränkt? Vom Numerus Clausel und anderen Modalitäten (4. 11. 2009)
- Die Uni brennt auch in Berlin: Studierende in Berlin solidarisieren sich mit den Uniprotesten in Österreich. (2.11.2009)
- Nicht im traditionellen Sinn "politisch": Mit institutionalisierter Politik haben die Uni-AktivistInnen nichts am Hut. (2.11.2009)
- Bildung und Markt: Missverständnisse im Zusammenhang mit Bildung (2.11.2009)
- Uni, Quo Vadis?: Wie die Universität in Zukunft aussehen könnte. (1.11.2009)
- Journal '09: 31.10. Angewandter Audimaxismus: Bildung statt Ausbildung. (31.10.2009)
- Was bringt der Bachelor? (31.10.2009)
- Wenn das schon utopisch ist...: Eigentlich stapeln die StudentInnen mit ihren Forderungen ganz schön tief (30.10.2009)
- Studieren? Blockieren? Demonstrieren?(30.10.2009)
- Viel Lärm um wenig: Ergebnislose Gespräche zwischen ÖH und Wissenschaftsminister (29.10.2009)
- Doch nicht so angepasst?: Jugendforscher Heinzlmaier im Interview auf science.orf.at (29.10.2009)
- "Wir sind die Uni": Proteste auch in Innsbruck (29.10.2009)
- Zu viele für den Audimax: Die Großdemo in Wien (28.10.2009)
- Durch die Realismusbrille: Die Proteste in Graz (28.10.2009)
- Journal '09: 28.10.Which side are you on? (28.10.2009)
- Raus auf die Straße (28.10.2009)
- Journal 09: Über die Abschiebung des gerupften Hahns nach Brüssel (27.10.09)
- Protest in Selbstorganistation (27.10.2009)
- #audimax #unsereuni #unibrennt (26.10.2009)
- Journal '09: Studis und Unis. Rat und Vorwurf (24.10.2009)
- Die Basis und die Demoktratie (23.10.2009)
- Audimax besetzt (22.10.2009)
- Malen nach Zahlen (21.10.2009)
- und alles im Überblick auf fm4.orf.at/uni
Die aktuelle Uni-Protest-Bewegung, die heute in großen Demonstationen kulminierte, lehrt uns eine Menge.
Mich jedenfalls.
Auch auf der ganz persönlichen Ebene.
Da wurde ich wieder an verschüttetes Wissen erinnert, das sauber verstaut im Regal lag: dass nämlich Menschen, die sich als gänzlich unpolitisch gerieren, grundsätzlich genau dazu hinterfragt werden müssen. Weil "sich nicht für Politik interessieren" letztlich sich nicht fürs Leben interessieren heißt, bzw. sich wichtige Entscheidungen aus der Hand nehmen lassen.
Aber wenn dann Leute, die dir bislang als unpolitische, aber aktionistisch hochbegabte Hedonisten bekannt waren, ihr wahres Gesicht, das einer arroganten, sich aristokratisch gebährdenden Elite, zeigen und einer kollektiven Anstrengung ausschließlich nichts als Verachtung überhaben, sollte dieses alte Wissen wieder zum Einsatz kommen.
Nichts ist nicht politisch.
Wer das nicht leben will, mag das tun, wird von mir aber als Dialog-Partner nicht ernstgenommen werden können.
Ausspiel-Hoheit
Die andere große Lehre betrifft die Situation der Medien.
Die ändert sich dieser Tage beträchlich, und gerade anlässlich der diesmal so deutlich anderen Wirkung und Bedeutung dessen, was die alten Medien, was der Mainstream zugeschrieben bekommen, ist eine Neubewertung nötig.
Dies ist die erste Protestaktion in Österreich, die nicht von einem klassischen Medium getragen oder von den Mainstream-Medien abhängig ist - sie funktioniert über ihre eigenen, viele Menschen erreichenden Ausspielkanäle.
Das garantiert nicht nur die Kontrolle über die eigenen Aussagen, das erlaubt auch Unabhängigkeit, was Zeitabläufe betrifft.
Alles Tugenden, die z.B die politischen Parteien verloren, aus der Hand gegeben haben: die müssen sich von den Medien, an deren Info-Gängelband sie hängen, herumschubsen lassen, terminlich und haben die Kontrolle längst verloren.
Wo stehst du?
Dieser neuen Kraft sind sich die #unibrennt-Aktivisten vielleicht erst zum Teil bewusst. Das ist daraus zu erkennen, dass viele Aktivisten und Sympatisanten noch recht analog und defensiv denken.
So kam in diesen Tagen immer wieder indirekt eine ganz alte Frage aufs Tapet: Which side are you on? Als ob die Forderung nach einer klaren Schwarz/Weiß-Positionierung im Rahmen der neuen Medienmöglichkeiten noch nötig wäre. Die klassischen Proteste der Pete Seeger-Generation mögen noch nach dieser Mobilisierungs-Strategie funktioniert haben - Protest 2.0 braucht das nicht mehr.
Wo die Medien in einer Situation wie dieser stehen sollten, hab ich schon am Samstag (als andere noch mit einem baldigen Ende des Protests rechneten) so beschrieben: "Gegen die Fehler der Nomenklatura gehört angeschrieben, weil sie sich ja auf alles und alle auswirken. Die Denk-Fehler der Nicht-Mächtigen, in diesem Fall der Jungen, gehören behandelt, aber auf einer ganz anderen, fördernden Ebene."
Also: der Vorwurf für die Mächtigen, der Rat für die Machtlosen.
How to act on the information
Dienstag hab ich eine Site mit 22 neuen Regeln für neuen Journalismus vorgefunden (danke Philip!), die hier im morgigen Journal ausgeführt werden müssen.
Die unterstützen das alles aus einem ganz anderen Blickwinkel heraus. Der Verfasser ist Brite und die österreichischen Uni-Proteste sind ihm tendenziell wohl egal - die Schlüsse aber sind ähnlich.
Da heißt es: "We would help people in the community become informed users of media, not passive consumers." oder "For any coverage where it made sense, we'd tell our audience members how they could act on the information we'd just given them. This would typically take the form of a 'What You Can Do' box."
Warum ist diese ideologische Koinzidenz kein Zufall?
Weil der Journalismus vor einer Änderung in genau diese Richtung steht, einem echten Turnaround. Und das Netz, die neuen Ausspielwege, die Blogs und Social Communities diktieren die Bedingungen.
Die Ohnmacht, die die Holzmedien und der Mainstream anlässlich des Uni-Protests 2.0 fühlen, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird.
Die Zukunft hat dieses Wochenende begonnen
Es geht nicht nur um Flexibilität durch die Etablierung eines seriösen zweiten Standbeins im Web - das Profil oder der Falter etwa haben alles komplett verpennt, weil sie hiefür geistig nicht gerüstet sind und sich noch in der Gutenberg-Galaxis wähnen.
Es geht auch nicht um die klassischen Hochjubel- und Niederhau-Mechanismen mit denen der Boulevard sich bisher auf solche Situationen eingestellt hat - zwar reagieren die Boulevard-Medien auf die aktuelle Audimax-Situation (rein instinktiv) richtiger als die sogenannte Qualitäts-Presse, sie haben aber nicht mehr die Macht, ein Geschehen einfach abzuwürgen, wenn sie die nächste Sau durch das mediale Dorf treiben wollen. Protest 2.0 existiert solang, solange seine Ausspielwege etwas Interessantes anbieten; der Boulevard kann da nur reagieren (und viel schlechter diffamieren).
Es geht auch nicht um die analytische Expertise (von der ich ja gern behaupte, dass es sie nur in Spurenelementen gibt) der Qualitäts-Medien - die wäre dann, wenn man dort begriffen hätte, welcher Paradigmenwechsel in der Berichterstattung gerade vonstatten geht, durchaus notwendig, findet aber wegen geistiger Kurzatmigkeit nicht statt.
Um das hier noch deppensicherer klarzustellen: die Proteste haben einen einzigen Zweck. Nämlich sehr deutlich zu machen, dass im Bereich Uni/Bildung so vieles im Argen liegt, dass die Betroffenen es nicht mehr stillschweigend hinnehmen können. Und dass Lösungen gefunden werden müssen, schnelle und sinnhafte Lösungen für ganz akute Probleme.
Die Erarbeitung dieser Lösungen obliegt den Zuständigen, die bereit sein müssen sich einerseits aus dem Faulbett der Möglichkeitsform, in dem sie sich seit Jahrzehnten suhlen zu erheben und andererseits die Anstöße der Protest-Bewegung ernstnehmen müssen.
Man steht also an einem Scheidepunkt
Es geht um weitaus mehr: um das tatsächliche Begreifen der neuen Medien und der ihnen innewohnenden Kraft.
Ein Medienmacher, der das bis jetzt noch nicht begriffen hat, ist ohnehin ein Spätzünder.
Ein Medienmacher jedoch, den nicht einmal das aktuell passierende Fanal aufrüttelt, ist verloren.
Und nur hier stellt sich die Frage: Which side are you on?
Die durch den Zeitfluss und die Selbstverständlichkeit mit der die Digital Natives mit der Gegenwart umgehen beförderte (und unaufhaltsame) Besetzung der Gegenwart durch gegenwärtige Kulturtechniken erlauben keine Laviererei.
Entweder die Medienmacher stellen sich ihrer Aufgabe - für die Menschen dazusein, als Kontroll-Instanz der Machthaber aller Bereiche (und nicht als ihre Haberer, wie aktuell in allen ressorts, egal ob Innenpolitik, Wirtschaft, Kultur oder Sport umfassend üblich) zu agieren; oder sie werden von den Elitaristen hinter den neuen Ausspielwegen einfach überrollt.
Angst vorm Publikum?
Wer sich vorm Publikum fürchtet, wer Angst vor Postings, Reaktion und Feeback hat, wer scih angesichts einer direkten Auseinandersetzung und vor allem Angreifbarkeit ins Hoserl macht, der muss sich halt mit Abt Armin und den anderen Angshasen einbetonieren. Für die alte Schule wird es durchaus einen Markt geben, ein paar Jahre lang, keine Sorge.
Letztlich wird aber eine womöglich langweilige, passive, angepasste und ultrabrave Generation der Technologie-Mächtigen allein durch die Wucht ihrer Ausspiel-Kompetenz über die alten Füchse hinwegrollen.
Und zwar viel früher als erwartet.
Nämlich ab genau jetzt.
"Which side are you on?" ist also keine Kernfrage für den Studentenprotest (denn es ist egal, welche Meinung der Berichterstatter zu einzelnen Forderungen hat - es ist seine Aufgabe die Umstände abzubilden und sich da blöde Ablenkungssschmähs (a la "Was die für einen Dreck machen! Was das kostet!") zu verkneifen und über die Substanz zu berichten.
In meinem Fall sind das nicht die Details der inhaltlichen Forderungen, sondern die Bedeutung der Aktions-Struktur und des Protest-Ablaufs, seine mediale Wirkung. Dort liegt meine Expertise, das ist meine Seite.
Die Hoheit um die öffentliche Meinung
Für die Forderungen zur Uni/Bildungs-Reform gibt es andere, Berufenere, die diese Diskussion vorantreiben müssen, und zwar nicht mit oder gegen den/die Forderer, sondern mit dedr drängenden Nachfrage den tatsächlich Verantwortlichen gegenüber, egal ob Minister oder Rektor.
Wer Twitter, denm Hauptausspielkanal des Protests, immer noch für einen überflüssigen Quasseldienst hält, wird nun allmählich umdenken müssen: warum, steht hier.
Die handelnden Akteure in den neuen Medien werden das leisten, nicht nur die direkten Kanäle, sondern auch die analytischen Blogs dahinter.
Die Zauderer in den alten Medien werden nachziehen müssen, weil sie sonst eine ihrer letzten USPs, der letzten Kernkompetenzen verlieren werden. Nämlich die Hoheit über die öffentliche Meinung.
In der derzeitigen Situation braucht sie, die alten Medien, nämlich keiner. Und, komisch, keiner vemisst sie.
Doch, einer: ich.
Ich wünsche mir, dass sie Teil der Zukunft sind, die dieses Wochenende begonnen hat. Und dass die, die erkennen, dass man allerspätestens jetzt handeln muss, dort das Heft des Handelns in die Hand nehmen; auch wenn die Alten noch so viel greinen.