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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 10. 2009 - 14:46

Journal '09: 24.10.

Studis und Unis. Rat und Vorwurf.

Hier eine neutrale Einschätzung über den Bewußtseinsstand der Aktion von Niko Alm.

Links: freiebildung.at
www.unsereuni.at
audimax.ie.bagru.at
unibrennt.at

Dort, wo die durch die Audimax-Besetzung in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gehievte Uni/Bildungsdebatte in ihrem Kern diskutiert wird, also in der kommentierenden Berichterstattung, nicht in den Foren, in denen sich mehrheitlich bloß die alte Neid-Kultur (ein in den Untiefen der klerikalen, metternichschen und postnazistischen Vergangenheit ausgebildetes Muster blanker Distinktionsdünkel des Dumpfen gegenüber den Forschenden) abbildet, wird derzeit ganz interessant ums Thema herum argumentiert. Was auch sehr aussagekräftig ist.

Ein liberal-bürgerlicher Kommentar (in den SN) etwa stellt die Frage, ob denn die "studentische Lebensrealität" das lange Wochenende im Besetzungszustand überleben würde.
Es ist schon recht lustig, mitanzusehen, wie dieses Bild einer vergnügt-juvenilen Lebensrealität immer noch von Heinz Rühmann-Filmen und 68er-Doku-Ausschnitten definiert wird, anstatt sich an der gut bekannten und auch medial stark präsentierten Wirklichkeit zu orientieren. Die ist aktuell viel profaner, pragmatischer und realitätsnäher, als es die ältere Generation glauben mag.

Wie die Debatte läuft: österreichisch

Die Uniproteste auf FM4

Die Tatsache, dass genau die (der zuständige Minister, die abblockende Politik, die naserümpfenden Medien etc.) aber mittels (teilweise bewusstem) Einbringen falscher und überkommener Bilder die Debatte auf ein Nebengeleis fahren wollen, zeigt, wie unangenehm die Besetzungs-Aktion ihnen ist und bestätigt deren Relevanz auf das Trefflichste.

Das tut auch der raffinierteste unter den Kommentierern, der Presse-Chefredakteur, dessen Lager die ministerielle Meinung ja seit Jahren vordefiniert.
Es ist sehr österreichisch, dass eine offizielle Haltung eines Definitionsmächtigen wie des Wissenschaftsministers via Medien-Meinungs-Kommentar vorgegeben wird - auf anderer Ebene (die diversen Spiele der Krone, die offensive Pro-Pröll-Linie des Kurier, die teilweise schandhafte ORF-Vergangenheit der letzten Jahre, die Österreich-Faymann-Achse etc...) findet das ja seit Jahren ebenso ungerührt und unbeeinsprucht statt - mittlerweile hat sich das Publikum an diese unzulässigen Vermengungen so gewöhnt, dass es sie als normal erachtet (insofern kann uns demnächst auch ein Berlusconi winken, es wäre nicht die erste totalitäre Entwicklung, die von Italien nach Österreich übergegriffen hat).

Die "Leistungsfreiheit"

Im Leitartikel Logik statt Twitter meint Michael Fleischhacker, dass ein den Demonstranten zugeschriebenes Credo sehr österreichisch sei: die Verwechslung von Chancengleichheit und Leistungsfreiheit.

Nun ist Leistungsfreiheit ein Begriff aus der Versicherungsbranche und an Wort-Kreation für den Bildungssektor komplett untauglich. Egal: gemeint hat Fleischhacker, dass Studienplätze nach Leistungskriterien besetzt werden sollen. Und dass, wenn's das nicht gibt, eben Leistungsfreiheit herrschen würde, also angewandtes kollektives Nichtstun. Das, was er und der Minister den Studenten seit der Rücknahme der Studiengebühren pauschal unterstellen - was sie auch zuvor schon taten, aber nicht so laut, weil die Gebühren ja als großer Befreiungsschlag galten.

Dass dieser Schlag kläglich versemmelt wurde und zu nichts weiterem als dem Antapser einer Babyhand geriet, hat damit zu tun, dass die im Zusammenhang mit der Gebühreneinführung angekündigte Strukturreform, der zweckgebunden eingesetzten Geldmittel für Infrastruktur etc. genau gar nichts wurde. Und daran kaut das schlechtgerankte Uni-System Österreichs eben heute noch herum.
Und deshalb tut ein Aufmerksammachen auf diesen Un-Zustand durchaus Not.

Klar, dass die, die schon einmal eine tolle Lösung im Kopf hatten, jetzt beleidigt sind, wenn man ihre Idee von damals umstürzt.

Das "einzig sinnvolle" Uni-System

Denn in den Köpfen (zumindest in dem von Fleischhacker, vielleicht auch in Hahns) ist das ja alles bereits erledigt. Er schreibt da nämlich vom "nächsten Schritt, das einzig sinnvolle Universitätssystem zu etablieren: eine begrenzte, aber gut ausgestattete Zahl von Studienplätzen, die nach Leistungskriterien vergeben werden. Studiengebühren, die als Gegenleistung für verbesserte Zukunftschancen zu dieser Ausstattung beitragen und über umfangreiche Stipendienangebote soziale Selektion verhindern. Das schafft Chancengleichheit. Leistungsfreiheit führt hingegen nur dazu, dass die zu einem Abschluss gelangen, deren Eltern sich das Studium ihrer Kinder lange genug leisten können."

Das ist im Kern vielleicht richtig, zumindest aber sehr diskussionswürdig. Wären nicht ein paar Probleme die davorstehen.
Erstens: natürlich würde die Nomenklatura auch weiterhin Wege finden, die weniger talentierten und faulen ihrer Nachkommen in dieses "Leistungs"-System reinzumogeln; entweder legal durch Nachhilfe (die sie sich aus denselben Gründen wie oben angeführt leisten können) oder mittels Beziehungen. Diese österreichische Realität einfach auszublenden, ist fahrlässig simplifizierend.
Und, zweitens: das "einzig sinnvolle System" ist eben nicht nur keine Realität, sondern wird seit Jahren als Conditio sine qua non vorgeschoben, was ihren Gehalt auf den eines Geplänkels, einer Ausrede reduziert.
Die bisherigen, rein kosmetischen Maßnahmen sind nicht viel wert - und auf deren Basis gilt es also zu diskutieren, nicht darüber, was wäre, wenn das einzige wahre System in Kraft treten würde.

Vorwurf und Rat

Immerhin fordert Fleischhacker das zumindest im nächsten Absatz, allerdings in aller botmäßigen Höflichkeit: die schwarz-blaue Regierung habe das verabsäumt, aber erst die lange wilde Parlamentsnacht 2008 hat für einen Dammbruch gesorgt. Jetzt stehe man wieder da, wo man 2000 schon einmal war. Und Minister Hahn würde irren, wenn er annehmen würde, dass die bloße Wiedereinführung der Gebühren reichen würde.

Ganz schön viel Rat für die Mächtigen, vergleichsweise sanft vorgetragen – wenn man die sonst übliche Diktion des CRs kennt. Da versagen gleich drei komplette Regierungen (schwarz-blau, schwarz-orange und rot-schwarz) mit x zuständigen VP-Ministern in einem Gebiet, das auch die bürgerliche Presse seit Jahren als Notstands-Zone ausmacht, Hirnschmalz in Form von funktionierenden Gesetzen zu investieren, und es ist bloß von „sich irren“ die Rede.

Viel härter fasst Fleischhacker die Studenten diesbezüglich an: sie sollen, statt ihr Know-How in via Twitter/Facebook initiierte Proteste zu legen, logisch denken lernen (um nämlich bezüglich der „Leistungsfreiheit“ auf seinem Denkstand zu sein).

Das ist dann interessanterweise nicht im Tonfall des Ratgebers (der Mächtigen), sondern im Tonfall des Vorwurfs (an die Ohnmächtigen) gehalten – die tradierte Herrschaftsstruktur des Landes schlägt hier formschön durch.
Immerhin weiß die Presse im Gegensatz zur SN, dass und wie sich die neue Organisationsform der Aufmerksamkeitserregung in der Gegenwart befindet und muss keine altbackenen Klischees hervorholen – das konservative Element findet sich in der Ansprache: ein Rat an die Herrschenden, der Vorwurf hingegen an die Jungen.

Den Jungen einfach alles zum Vorwurf machen

Nun ist (zumindest) meine Auffassung über die Rolle von Medien die, dass es genau umgekehrt sein soll, nein, sein muss: gegen die Fehler der Nomenklatura gehört angeschrieben, weil sie sich ja auf alles und alle auswirken. Die Denk-Fehler der Nicht-Mächtigen, in diesem Fall der Jungen, gehören behandelt, aber auf einer ganz anderen, fördernden Ebene.

Denn das ist gerade angesichts der schwelenden Debatte über die Farblosig-, Antriebslosig- und Geistlosigkeit der jungen Generation eigentlich eine Unverschämtheit: da nehmen sie einmal das Heft des Handelns in die Hand, stoßen eine Debatte an, formal schlau, inhaltlich in jedem Fall diskussionswert, und müssen sich dann erst recht wieder mit irgendwelchen altlinken Klischees bewerfen lassen, wiewohl sie damit genau gar nichts am Hut haben.

Hier machen es sich die Definitionsmächtigen dieser Debatte unglaublich leicht. Und es ist egal, wie die Jungen agieren oder reagieren: entweder sie sind pomadig und handlungsunfähig, oder sie sind vorschnell und allzu aktionistisch. Diese Mühle-Auf-Mühle-Zu-Politik der Altvorderen ist eine Frechheit.

Flankenschutz für Irrtümer

Das Drama ist: sie werden damit (bei der Mehrheit) durchkommen. Denn die Desinteressierten, die Neidhammel und die Jugend-Basher sind quantitativ erdrückend und auch in den Schalthebel-Positionen der (alten) Medien.
Das verleitet natürlich auch zu einigem an Selbstbetrug. Zum einen, dass es tatsächlich die Aufgabe der Medien ist, die Bosse zu beraten und die normalen Leute zurechtzuweisen. Und zum anderen, dass es die Primär-Aufgabe der betroffenen Masse ist, die schlauestmöglichen Ideen zu präsentieren und nicht die der dafür gewählten und bestimmten Mächtigen.

Beiden Irrtümern gibt Fleischhacker publizistischen Begleitschutz.

Dass er trotzdem der am weitreichendsten mitdenkende Kommentator zur aktuellen Krise des universitären Systems ist, sagt auch eine Menge aus.

PS: im übrigen wird die Diskussion eines ganz anderen politischen Ränkespiels versickern. Der Minister wird zur EU abkommandiert, als Faymanns Joker im aktuellen Wickel, der/die NachfolgerIn wird Monaten der Einarbeitung brauchen - die lange Bank, sie ist schon bereitgestellt