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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 11. 2009 - 23:08

Journal '09: 1.11.

Unibrennt: Ikonografie und Thesen zu einer erst- und deswegen einmaligen Situation.

Die Uniproteste auf FM4

Ich war erschrocken, ein paar Sekunden, und beunruhigt, ein paar Minuten lang, als ich zum ersten Mal das Signet des aktuellen Uni-Protests gesehen habe: #unibrennt.
Und in genau diesen paar Minuten ist in mir eigentlich schon der Film abgerollt, den ich erst jetzt, in den Tagen seither, so richtig dechiffrieren kann, was die Ikonografie einerseits und die weitreichenden Folgen des Protests andererseits betrifft.

Aber der Reihe nach: als es Mittwoch und Donnerstag losging mit den Protesten und der Besetzung des Audimax, selbst als man es Freitag auf die Titelseiten schaffte, war noch nicht so recht abzusehen, wohin die Reise gehen würde.

Mit diesem diffusen Wissen ging das offizielle Österreich ins Wochenende, letztlich darauf vertrauend, dass sich am Montag alles wieder beruhigt haben würde, Robert Misik beschreibt dieses Gefühl in seinem Video-Log zum Thema recht gut.
Ich bin Samstag vormittag in den Zug nach München gestiegen und habe dort, in einer Art Ferndiagnose meinem Instinkt vertraut. Dann war für mich einen Tag und eine Nacht und letztlich noch ein Tag (mit einer elend langen Zugfahrt, die mich von München quer durch die Alpen nach Graz, zum Elevate) Pause mit gesichertem Wissen über das, was da - zunächst noch nur - in Wien passierte.
Erst am frühen Abend bin ich dann, via Twitter, in den Uni-Protest-Dialog eingestiegen. Und da brannte sie auch schon, zumindest im wichtigsten Signet:

#unibrennt

Versteht ihr, wieso es mich, als von der Info über die Entwicklung Abgeschnittenen geschreckt hat? Weil ich das im ersten Moment selbstverständlich wörtlich genommen habe: dass da was brennt.
Weil ich der neuen, allzu sanften Generation eine realistische Sprache nicht zugetraut habe. Und weil ich bei sowas natürlich sofort an die Folgen denke, die eine solche Sprachregelung bei denen hat, die draußen stehen, und sich nicht auskennen.

Nach ein, zwei Minuten ist mir aufgegangen, dass es sich nur um ein ikonografisch verwendetes Symbol handelt, und dass dieser Brand von restlos allen als Metapher wahrgenommen wird.

Das wiederum ist ausgesprochen erstaunlich und stellt einen tipping point dar.

ecke skalitzer-wiener straße

flickr

Wieso? Ist das jetzt nicht übertrieben?
Keineswegs.

Allein die Tatsache, dass sich niemand, kein ängstlicher Hausmeister, kein betulicher Rektor, kein die Stirn in verlogene Sorgenfalten legender Politiker, keiner der sonst jeden Schas zu einem Popanz aufblasenden Strippenzieher des Boulevards, nicht einmal ein besorgter Leserbriefschreiber, der das gesunde Volksempfinden repräsentiert, einfach gar keiner an dieser Wortwahl gestoßen hat, zeugt von einer fast unerklärlichen Reife. Die also womöglich wirklich nur zufällig entstanden ist.

Und keiner schreit nach der Feuerwehr

Scheinbar jeder hat das Brand-Bild kapiert und akzeptiert. Ohne nach der Feuerwehr zu schreien.
Das ist in der Geschichte der 2. Republik (von der 1. und den Dikaturen davor und danach ganz zu schweigen) erst- und bislang einmalig.
Normalerweise würde eine Bezeichnung wie diese (die ja nicht von den Mainstream-Medien erfunden und der "Bewegung" übernommen, sondern von ebenjener kreiert wurde) ausreichen um jedweden Inhalt wegzupusten wie der Wolf das Schweinchenhaus.

Ist hier nicht der Fall gewesen: das offizielle Österreich kommt aus dem Wochenende, sieht dieses Signet, erkennt dessen bildhafte Bedeutung und Relevanz und akzeptiert es.

Glücklicherweise gibt es im Profil auch andere Stimmen, etwa diese hier.

Selbst der fleischgewordene Beckmess(er)becher, die Kronen-Zeitung ficht das nicht an: dort verlegt man sich auf die Verwunderung über die Anwesenheit von vielen Deutschen, etwas, was interessanterweise auch den Profil-Chefredakteur in einem Kommentar über die "Erbärmlichkeit" des Protests beschäftigt.
Vorschlag an Christian Rainer: einmal halt nicht zu Fabio's speisen gehen, sondern ausnahmsweise in die Wirklichkeit eintauchen: die Wiener Unis sind eben voll mit deutschen Studenten, das ist eine Realität, und die spiegelt sich halt auch in der Vertretung, im Protest nieder.

Das Brand-Bild, die zentrale, ikonografische Metapher des Uni-Protests bleibt unbeeinsprucht, auch von den Nörglern.

Die Harmlosigkeit der Nerds

Das hat zweierlei Ursachen:

Das ist im übrigen wertfrei gemeint: es gibt da nämlich sowohl sehr positive als auch höchst negative Implikationen.

Zum einen wird die aktuelle junge Generation als ideologisch und inhaltlich so harmlos eingeschätzt, dass sie wohl auch noch Wilderes ausschildern könnte, ohne für Angst zu sorgen.

Zum anderen ist der Respekt für die Fähigkeit der Jungen die neuen, von der Nomenklatura, der Politik aber auch den alten Medien selber noch gänzlich unverständlichen Nutzungsweisen und Anwendungsfähigkeiten der neuen digitalen Medien auch gerade auf einem zufälligen Höhepunkt.

Man sieht sich also scheinbar harmlosen Nerds gegenüber.

Die politischen und medialen Machthaber sind in ihrer Ignoranz den neuen Medien gegenüber immer noch im Zenith, werden aber aktuell von einem lähmenden Zweifel angenagt, der ihnen über ihre internationalen Kanäle (hinter denen sie erfahrungsgemäß ein Jahr hinterherhumpeln) erreicht hat. Da trifft Arroganz planlosen Eifer, "auch was" machen zu wollen. Ich habe da etwa zuletzt den (erstaunlich unbeleckten) News-Geschäftsführer bei einer Podiums-Diskussion erlebt, als er Projekte ankündigte - zum Schießen!

Und dann zeigen ihnen, den "Profis" ein paar Studis ohne Vorkenntnisse vor, wie man eine sinnvolle Infrastruktur aufzieht, mit der man innerhalb von ein paar Stunden das angepeilte Publikum erreicht - ganz ohne jeglichen Streuverlust.

Die Organisatoren der unibrennt-Kommunikation können sich warm anziehen: sie werden in den nächsten Wochen von den Mainstream-Medien mit viel Geld für Projekte geködert werden.

Aus dieser Verblüffung speist sich die Beißhemmung der Mächtigen. Solange sie derlei nicht derheben, werden sie recht kleinlaut hinterherschreiben.

Nerds sind Piraten

Dieses Gefühl da recht ohnmächtig mitzuerleben wie eine sehr liebe und bislang als gänzlich harmlos rüberkommende junge Generation sich selber - und stellvertretend für viele andere - ein Unbehagen mit der Richtung in die die heimische Gesellschaft von planloser Politik und ebensowenig viel nachdenkenden Wirtschafts-Interessen getrieben wird, formuliert, löst interessanterweise also keinen automatischen Anti-Reflex aus, sondern lässt alles mögliche, auch recht breite Zustimmung, zu.

Das ist, ich wiederhole mich, ein bislang einmaliger Akt der Protestkultur in diesem Land. Ich habe dergleichen noch nicht erlebt.

Womöglich ist alles nur dem medialen Umstieg geschuldet. Wenn die alten Medien-Mächtigen es schaffen sich die neuen Medien untertan zu machen, also ihre Funktion und ihre Nutzung bzw. Ausbeutung erlernen, dann kann das, was wir gerade erleben, eine Ausnahme bleiben.
Wenn sie daran scheitern (und das ist durchaus möglich), dann werden sich zwangsläufig neue Kommunikationsstrukturen ergeben, die alles noch viel mehr auf den Kopf stellen als das, was wir gerade erleben.
Und da wird dann die neue Akzeptanz von früher Unerhörtem wie einem Unibrennt-Signet ein vergleichbares Lapperl sein.

Das Startfenster

Politisch kann sich das, auch in Österreich, in eine Richtung entwickeln, die der konservative Publizist Frank Schirrmacher in seinem Nerd- / Piraten-Essay von vor etwas über einem Monat beschrieben hat - ich hab darauf eh schon xfach hingewiesen.
Fast alles, was Schirre da über die Nerds sagt, ist auch auf die Audimax-Studis umzulegen. Bis hin zu einer neuen politischen Kraft ist also alles möglich.

In jedem Fall war es schon lange nicht mehr so schwierig eine Bewegung eindeutig zuzuorden und sinnvoll zu verorten.
Dass sie sich nicht nur nicht im alten Ideologie-Rahmen, sondern auch nicht im Rahmen der alten Medien bewegt, macht die Uni-Protest-Gruppe aktuell so unangreifbar und den Mächtigen auch so unheimlich. Die sind aufgeregt, weil sie nicht wissen, womit sie's zu tun haben - aber sie haben keine Angst.

Und das ist ein zwar schmales, aber umso exzellenteres Startfenster für alles Mögliche, woran jetzt vielleicht noch gar keiner denkt.