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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

28. 12. 2015 - 14:43

#rewind2015: Österreichische Musik im Rückblick

Zwischen Exportschlager, weiblichen Stimmen und zarten Klängen in einer wilden Zeit. Assoziationen zum österreichischen Musikjahr 2015.

Es ist keine Weihnachtsüberraschung, wenn unsere letzten FM4 Charts 2015 mit jener österreichischen Band das Jahr beschließen, die erneut für großes Aufsehen und eine gewisse Spaltung des heimischen Musikhypes gesorgt haben. Vielmehr schließt sich der Kreis, denn Anfang dieses Jahres hat der andere österreichische Export-Popschlager die Nummer 1 der FM4 Charts vom 3. Jänner gestellt.

Schon letztes Jahr habe ich mir an dieser Stelle Gedanken zum "neuen Selbstbewusstsein" heimischer Musik gemacht, was sich ja schon im Jahr davor abgezeichnet hat. Diese Entwicklung hat sich 2015 zwar nahlos fortgesetzt, allerdings war für mich jetzt mehr Platz und Raum für andere Künstlerinnen und Künstler neben dem schon zur Gewohnheit geratenem Applaus für unsere Szene, der über unsere Grenzen hinaus wiederhallt.

Don't believe the hype?

Anlässlich unseres vierzehnten FM4 Soundpark Geburtstags hat der deutsche Autor und Musikjournalist Linus Volkmann die Außenwahrnehmung und den Hype um Wanda und Bilderbuch sehr treffend dargelegt. Der "neue Austro-Pop" in Lady Gaga-ähnlichen Dimensionen und der Backlash durch die "Early Adopters" fungieren dabei als Gradmesser des Erfolgs. Schließlich sind ausverkaufte Konzerte in Deutschlands Hauptstädten und ein Gig vor über dreitausend Besuchern in der Berliner Columbiahalle von Bilderbuch nicht wegzudiskutieren.

Linus Volkmann

Es mag sein, dass diese "aristokratischen Rock Gesten" eines "Barock-Pop" - wie das Rolling Stone Magazin anläßlich des Konzerts titelt - ein gewisser Dünger des Ansporns für heimische Acts sein kann. Als Beobchter der österreichischen Szene bin ich jedoch der Meinung, es floriert, gedeiht und wächst unsere Musiklandschaft seit einigen Jahren aus sich selbst heraus. Aus einem Keim, der nicht von einem transparent ablesbarem Auslandserfolg eingesetzt worden ist, sondern der vielmehr durch harte, ausdauernde Beackerung brachliegender Strukturen von Musikliebhabern, Promotern, Labels und vielen Plattformen und Synergien zum Blühen gebracht worden ist. Und wenn der Wandabuch-Hype einen "Turbo Boost" für unsere Szene bringt, dann soll mir das Recht sein. Schließlich gibt es unzälige Acts die dieses Jahr großartige Musik abgeliefert haben.

Dieses Jahr gehört...

Portrait Foto MYNTH

© Christoph Radl

Neben der treffenden Reflexion über Popkultur und Weltgeschehen 2015, erwähnt mein Kollege Thomas Edlinger in seinem Im Sumpf-Jahresrückblick in einer assoziativen Fußnote die aufregende Musik, die nicht von Männern gekommen ist. Auch wenn ich ihm beipflichte, dass man so einen Umstand nicht extra betonen sollte, komme ich dieses Mal nicht darum herum. Denn 2015 haben für mich die weiblichen Stimmen das heimische Musikgeschehen dominiert. Vor allem die Kombination "Duo" und "Elektronik" hat sich einmal mehr als Erfolgsrezept erwiesen.

Anfang des Jahres entführten uns zum Beispiel die Zwillinge Giovanna und Mario mit ihrem Projekt Mynth in ihr düster-melancholisches Reich aus digitalen Beats und sphärischen Soundflächen. Vor allem das in Alterlaa während eines Schneesturms gedrehte Video zur ersten Single "Nightlight" sorgte für Aufsehen.

Lea Santee

Kurz darauf werden Lea Stöger und Manuel Hosp alias
Lea Santee zum Soundparkact des Monats April gekührt. Ein Track wie "Hopeless" hat eine unglaubiche Dringlichkeit gepaart mit unterkühltem Electropop. Ebenso geheimnisvoll - wenn auch auf einer anderen Ebene - klingt das dunkle Gesamtkunstwerk "Trialog" des Duos HVOB. Ein Monsterprojekt im Schnittbereich zwischen Bildender Kunst, Videoperformance und Clubmusik. Der Erfolg lässt auch dieses Jahr nicht auf sich warten: Neben einer Europa-Tour konzertiert das Duo unter anderem auch in China, Südafrika, Indien und Thailand.

Das österreichische Duo HVOB auf einem Festival in Indien.

HVOB

Weitaus poppiger legen es da Marco und Sophia von Leyya an, die sich mit ihrem phänomenalen Tanzbodenfeger "Superego" zwei Wochen lang auf Platz 2 der FM4 Charts halten. Sophis wunderbar tiefes Timbre taucht im Laufe des Jahres auch auf einem Track des Wiener Produzenten M.P. auf, der dann Ende des Jahres mit Mavi Phoenix den hiphoppigen Indiepop-Kracher "Little By Little" produziert.

Aisha E

Apropos Kooperationen: Die Landluft-Elektroniker Pischinger & Dermota kreieren mit den Vocals von Anne Eck auch dieses Jahr wieder einen federleichten Sommertune. Ebenfalls im Sommer erscheint das Projekt von Performerin und Sängerin Aisha E, die schon bei Wolfgang Schlögels Chainreaction-Band mitgewirkt hat. Unser FM4 Soundparkact des Monats August besticht dabei durch soulige und recht experimentelle Elektronik mit einer Produktion auf internationalem Niveau.

...den österreichischen Musikerinnen und Sängerinnen

Wie vielschichtig die heimische Szene ist, beweist auch das Projekt Akjela von Anji Hinke und Alex Schuster, die ihre elektronischen Beats und glockigen Keyboardklänge mit oberösterreichischem Mundartgesang kombinieren. Sehr gut umgesetzt mit dem Lied und dem dazugehörigen Video von "Steh Auf". Was Videos betrifft dürfte wohl das weibliche Duo Fijuka mit "Ca Ca Caravan" den glitzernden Alienfogel abgeschossen haben. Die galaktische Indiedisconummer wird durch ein liebevoll gemachtes Raumschiffabenteuer unterstützt, das die Genialität und den Humor von Ankathie Koi und Judith Filimónova unterstreicht.

Schmieds Puls / Seayou Records

Im Herbst und den Wintermonaten - der Zeit der inneren Einkehr - erscheint dann ein berührender Song nach dem anderen. Da wäre einmal das zerbrechliche und tiefgehende Stück "All Over Me" von Loretta Who, einer Produzentin und Sängerin, die schon mit Albin Janoska (der auch mit SOHN produziert hat) und Hubert Mauracher zusammengearbeitet hat. Ihr starker Ausdruck und die clever arrangierten Vocal-Samples machen dieses Lied zu einem besonderen und reduzierten Klangerlebnis. Eine ähnliche Stimmung - wenn auch noch sparsamer und erdiger - schlägt das Album "I care a little less about everything now" an. Man hat das Gefühl, Sängerin Mira Lu Kovacs öffnet sich dabei soweit, dass sie komplett zerfällt, würde sie nicht durch den Sound ihrer Band Schmieds Puls zusammengehalten. Emotion auf extrem hohem Niveau.

Auch Sängerin und Songschreiberin Eloui bringt mit "Tangles and Loose Ends" ein reduziertes, poppiges und doch experimentelles Album heraus. Dass diese Kombination zu extrem hörenswerten Songs führt, beweist die Single "These Are My Hands" inklusive schön animiertem Video. Und dann wäre da noch das Stück, dass mich dieses Jahr komplett kalt erwischt hat. "Granny", dieses luftige und gleichzeitig tieftraurige Lied der jungen Sängerin Avec. Man könnte sie als die österreichische Lorde oder Birdy betiteln, aber diese Referenzen würden der Eigenständigkeit des Sounds nicht gerecht werden. Für mich die große Überraschung des Jahres 2015.

Die Musikerin Avec mit Hut und langen offenen Haaren blickt in die Kamera

Kidizin Sane

Die Gunst der Stunde nützten 2015 auch zahlreiche Musikerinnen, die seit vielen Jahren die heimische Szene beleben. We Walk Walls veröffentlichen mit "Opportunities" ihr zweites Album. Die Zerbrechlichkeit in der Stimme von Patricia passt dabei hervorragend zu dem slicken achtziger Jahre Sound von "Little Lies". Außerdem veröffentlicht die "altgediente Musikveteranin" Clara Luzia mit "Here's To Nemesis" ihr vielleicht bestes Album, auf dem ihre Stimme entspannt, selbstsicher und gefestigt klingt, wie nie zuvor.

Sampler Melodies For Refugees

Melodies For Refugees

Dieses Jahr meldet sich auch Künstlerin und Sängerin Soap & Skin mit neuen Songs zurück und steht am 3. Oktober im Rahmen von Voices For Refugees dann mit unter anderem ihrem Cover von Paul Simons "Homeless" auf der großen Open Air Bühne am Wiener Heldenplatz. An dieser Stelle sollte auch der von Bernhard Eder initiierte, karitative Sampler "Melodies For Refugees" erwähnt sein, an dessen Verwirklichung zwanzig österreichische Musikerinnen und Musiker mitgewirkt haben.

Diese Aufzählung ließe sich - wie jedes Jahr - noch lange fortsetzen, denn Namen wie Sawoff Shotgun, My Name Is Music oder auch Le Toy sind in dieser Liste an weiblichen Stimmen 2015 noch gar nicht gefallen. Und ich bin mir sicher, dass auch das kommende Jahr viele berührende, schöne und außergewöhnliche Songs von heimischen Musikerinnen und Sängerinnnen bringen wird.

In der Zwischenzeit könnt ihr Euch mit dem FM4 Player meinen Jahresrückblick Österreich Musik 2015 in einem Mix anhören.

Leyya Superego
Mynth Nightlight
Lea Santee Dreams
Manu Delago/Rahel Chemical Reaction (Albin Janoska Remix)
Loretta Who Virtue
HVOB Cool Melt
Konea Ra Blue Balloon
Akjela Steh Auf
Soap & Skin Mawal Jamar
Fijuka Cold Brat
M.P./Mavi Phoenix Little By Little
Eloui Pilot And Crew
Schmieds Puls Joy
Sawoff Shotgun Boom Lo Pise
My Name Is Music Tell It To The Stars
Clara Luzia The Drugs Do Work
Avec Granny