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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

20. 4. 2015 - 13:42

Physikalische Prozessmusik

Zwischen bildender Kunst, visual art und technoider Musik: Das österreichische Elektronik-Duo HVOB ist mit ihrem interdisziplinären Album "Trialog" unser Artist Of The Week.

FM4 Artist Of The Week

Alle in der Übersicht unter fm4.orf.at/artistoftheweek

Ein hölzernes Klopfen, ein stetiger Beat, ein wummernder Sub-Bass: Ganz behutsam bauen HVOB die Spannung auf. Nach eineinhalb Minuten lassen sie den Rhythmus rennen, modulieren die Klopfgeräusche, klatschen in die Hände und langsam beginnt sich der Soundteppich zu verdichten. Immer wieder wird der stete Fluss der Kick-Drum unterbrochen bis dann mit einem Mal wunderschöne Synthie-Flächen einsetzen. Dazwischen hört man dann zum ersten Mal die zarte Stimme von Sängerin Anna Müller.

Alleine bis zu diesem Moment lassen sich Anna und Produzent Paul schon vier Minuten Zeit. Vielleicht berührt dieser Clubtrack „Azrael“ deshalb derart und ist gleichzeitig eine clevere Wahl um das neue, zweite Album „Trialog“ zu eröffnen. Er macht nämlich gleich zu Beginn klar: Für dieses Werk muss man sich Zeit nehmen. Denn hinter den technoiden, dunklen Stücken steckt weit mehr, als es beim ersten Hören den Anschein hat.

HVOb Portrait Foto

Lukas Gansterer

Von platzenden Reifen und implodierenden Kübeln

Letztes Jahr waren HVOB in über zwanzig Ländern unterwegs. Von Afrika über Asien bis in die USA. Große Festivals, kleine Clubs und meist ausverkaufte Shows. Nicht nur schweißtreibende Bewegungen waren auf den Tanzflächen zu sehen, sondern auch lautes Mitsingen zu hören. Der berauschende Erfolg ist Anna Müller und Paul Wallner alias HVOB nicht zu Kopf gestiegen. Beide sind noch immer recht zurückhaltend, schließlich steht die Musik im Zentrum und nicht sie selbst.

HVOb "Trialog" Plattencover

HVOb/Clemens Wolf

Auch das Cover ist ein Gesamtkunstwerk: Fotos von allen Prozessen wurden hier übereinandergelegt. Das zweite HVOb Album "Trialog" ist auf Stil Vor Talent erschienen.

Für das zweite Album haben sich die beiden eine große Herausforderung gesucht. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler Clemens Wolf und ihrem VJ-Team lichterloh ist die Idee geboren worden, zehn physikalische Prozesse künstlerisch darzustellen. Nachdem einige Soundskizzen vorhanden waren, hat sich das Künstlerkollektiv in Clemens Wolfs Atelier zurückgezogen, um Fahrradreifen platzen zu lassen, Styropor zu ätzen oder mit Bunsenbrennern Metall zu schmelzen. Diese sehr handwerkliche Arbeit haben HVOB mit Mikrophonen und die VJs mit Kameras aufgenommen. Das alles wirkte wiederum inspirierend auf die Tracks zurück.

Manchmal wurden die dabei entstanden Feldaufnahmen in die hypnotischen Tracks eingearbeitet. Für „The Anxiety To Please“ wurden Eisenkübeln mit Stickstoff unter großem Getöse zur Implosion gebracht. Der dabei entstandene Sound selbst ist dann noch transformiert worden und findet sich dann als stimmungsvolles, atmosphärisches Sample im Song wieder. Auf textlicher Ebene beschäftigt sich Anna mit der Frage des inneren Rückzugs, beziehungsweise dem „hintenanstellen“ der eigenen Bedürfnisse, um es anderen Recht zu machen.

4D Album

Bei manchen Tracks ist die Verbindung von „Prozess“ und „Musik/Text“ recht offensichtlich. Wie bei „Turn A Rope Round Its Axis“, ein atmosphärisch dichtes Stück, das den Prozess des „Biegens“ reflektiert und sich inhaltlich um das „sich verbiegen müssen“ dreht. Dass der Song „Ghost“ den Prozess „Ätzen“ repräsentiert ist da von außen schon schwieriger nachzuvollziehen. Für Anna ist die Verbindung dadurch gegeben, dass Ätzen auch etwas mit verblassen und in weiterer Folge auch etwas mit Verschwinden zu tun hat. Dann passen da die geisterhaften Lyrics wieder sehr gut dazu. Überhaupt ist „Ghost“ musikalisch und vom Aufbau her einer der besten Tracks des Albums.

HVOb live in Österreich:

  • 24.4.: Postgarage, Graz
  • 30.4.: Pratnersauna, Wien

Ganz generell schaffen es die Stücke von „Trialog“ trotz ihrer Reduziertheit eine unglaubliche Spannung aufzubauen und werden durch die Schichtung der Sounds und das detailverliebte Arrangement recht komplex. Spannend ist auch, wie sich durch das Wissen um die Prozesse die Wahrnehmung der Tracks ändert. Bei einem Stück wie „Oxid“ war es zwar nicht möglich, das Knistern der Oxidation zu einem soundbestimmenden Element zu machen, aber trotzdem erhält man durch die Klänge des Songs ein Bild des Prozesses. Oder vielleicht geht es einem wie Anna, die beim Hören von „Oxid“ eine rostige Farbe im Kopf hat. Verstärkt wird das durch den „ruckelnden“ Synthesizer Sound und natürlich durch das dazugehörige Video.

„Trialog“ ist ein interdisziplinäres Gesamtkunstwerk. Ein Album, das fordert, Zeit verlangt und durch die Beschäftigung mit dem konzeptionellen Unterbau ein vertiefendes Hörerlebnis liefert. HVOB haben hier ein düsteres, streckenweise melancholisches und durchwegs technoides Werk kreiert, das mit der visuellen Umsetzung in jedem Club und auch auf größeren Festivalbühnen eine ganz einmalige multidimensionale Erfahrung garantiert.