Erstellt am: 1. 3. 2015 - 18:20 Uhr
Elektroakustische Nordlichter
In einem kleinen Wäldchen irgendwo in Norwegen: Es ist Jänner und der Wecker zeigt neun Uhr vormittags an, als Giovanna aufsteht. Draußen ist noch immer tiefschwarze Nacht.
Giovanna: "Etwas später wird es für zwei bis drei Stunden kurz dämmrig und dann ist es schon wieder finster. Gerade am Anfang, wenn man alleine ist, geht es einem nicht gut."
Das war die Ausgangssituation für "Polar Night", die Debüt-EP des neuen elektronischen Musikprojekts Mynth, auf der sphärische Soundflächen auf schwere Beats treffen und die eisige Kälte des Nordens sich mit der herzergreifender Wärme von Giovannas Stimme mischt.
© Christoph Radl
Die Liebe zur Dunkelheit
Mynth live:
- Samstag 14. Februar
Präsentaion der EP "Polar Night" im Rahmen von "The New School Of Sayou" im Wiener Fluc mit Ankathie Koi und Colostrum (DJ-Set).
Ursprünglich kommen die Salzburger Zwillinge Giovanna und Mario aus dem Rockband-Kontext. Doch irgendwann ist ihnen die Maschinerie einer Band, Probe-Organisation und lange Diskussionen über Stil und Songs, zu mühsam geworden. Nur zu zweit und vor allem zuhause mit analogen Synthies und Drummaschines zu arbeiten war für die beiden wie ein Befreiungsschlag. Und so kitschig das auch klingen mag, die Zwillinge haben einfach die gleiche Wellenlänge. Auch was die Atmosphäre und Stimmung ihrer Musik betrifft.
Giovanna: "Wir sind keine düsteren oder traurigen Menschen oder so ... (lacht) Wir sind sogar sehr fröhlich meistens. Aber irgendwie gefällt uns die dunkle Stimmung, ich glaube wir haben noch nie einen fröhlichen Song geschrieben."
Mario: "Das hängt mehr damit zusammen, welche Musik man in seinem Leben so hört. Da war ich eher immer auf der melancholischen und düsteren Seite, zum Beispiel mit Nine Inch Nails. Bei Giovanna waren vor allem Portishead und Hundreds große Einflüsse."
Mynth haben es geschafft, aus ihrer musikalischen Sozialisation und der Inspiration des dunklen Norwegens einen sehr eigenständigen, breiten Sound zu kreieren. Gutes Beispiel ist die erste Single "Nightlight", die einen durch ihren hypnotischen Sog nicht mehr so schnell los lässt.
Das Video haben Giovanna und Mario mit den Filmemachern Rupert Höller und Bernhard Wenger in der Wiener Wohnsiedlung Alterlaa gedreht. Die ist zwar in Wirklichkeit weder ein echter Plattenbau noch sozialer Brennpunkt, aber immer wieder gern genommene Beton-Kulisse. Die bedrückenden Bilder und harten, teils verzweifelten Charaktere passen perfekt zu der Stimmung des Songs, in dem es ganz allgemein um die nächtliche Flucht geht.
Mynth
Auch die anderen drei Songs der EP "Polar Night" bestechen durch clevere Rhythmik, die mit den luftigen Keyboardflächen und den fragilen Vocals eine ganz besondere Melange ergeben. Der Song "Poison" schleppt sich mit schweren Beats durch einen verhallten Klangraum, experimentiert mit Stimm-Samples und einem dichten Soundgeflecht. "Friends" wiederum schwankt zwischen hoffnungsvollem Pop-Appeal und melancholischem 80er Jahre Sound. Und das abschließende Stück "I'm Good" begeistert durch ein herrliches Sehnsuchtsgefühl und schwingt sich mit seinem großartigen Refrain zu einer dunklen Pophymne auf. So müssten wohl die berühmten Nordlichter klingen, wenn man sie vertonen wollte.
© Elisabeth Brucker
Mit ihrem ersten Lebenszeichen zeigt das Duo Mynth hohe Songwriter- und soundtechnische Qualitäten und macht klar, dass man mit ihnen auch in Zukunft rechnen muss. Denn nach so einer starken EP wird sicher ein ebenso starkes Album folgen. Man darf gespannt sein, wohin es die beiden Zwillinge in der Produktionszeit noch verschlagen wird. Norwegen war auf alle Fälle eine gute Inspirationsquelle.