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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

27. 12. 2014 - 15:35

Wir sind wieder wer?

Rewind 2014: Ein paar Assoziationen zum auslaufenden österreichischen Musikjahr und zum "neuen" heimischen Selbstverständnis.

Schon letztes Jahr habe ich hier angedeutet, dass die internationale Musikindustrie ein Auge auf die österreichische Musikszene werfen würde.

Rewind 2014

Der FM4 Jahresrückblick

2014 war es wohl mehr als ein flüchtiger Blick auf unsere kleine, zentraleuropäische Musiklandschaft. Klar, der im Mai gewonnene und nun bei uns stattfindende Eurovision Songcontest hat viel Aufmerksamkeit generiert, wobei sich das Gefühl von "Millionen Blicken auf unser Land" erst noch einstellen und die Frage aufwerfen wird, wie sich Österreich wohl im Rahmen des ESC präsentiert.

Zum Glück hat das unermüdliche Arbeiten der heimischen Popszene, die immer weiter fortschreitende Professionalisierung und die wachsende Infrastruktur dazu beigetragen, dass sich das gewachsene, "neue" Selbstverständnis nun auch in der Fremdwahrnehmung widerspiegelt.

Living in a magazine

Neu ist das alles natürlich nicht. Erinnert man sich bloß an den internationalen Hype von K&D, die Goldgrube G-Stone Records oder elektroakustische Soundforscher wie Christian Fennesz, die schon seit Jahrzehnten international unterwegs sind. In der elektronischen Szene ticken die Uhren sowieso ein bisschen anders, siehe Drum'n'Bass-Meister Camo & Krooked oder auch die ganze Affine Records-Posse, die auf internationalen Labels released.

Im Gitarrenbereich beweisen Ja, Panik schon seit langem, wie es auch außerhalb von Österreich funktionieren kann, auch wenn sie dafür Wien zuerst einmal verlassen mussten. Ach ja, nicht zu vergessen die Sex Jams, die schon beim legendären South By Southwest aufgetreten sind und dieses Jahr eine ausgedehnte "Kinds In America"-Tour aufgestellt haben - etwas, das auch nicht jede US-Band zusammenbekommt.

Der Einfachheit halber kann man - zumindest bis ins Jahr 2000 - in dem umfangreichen musikhistorischen Werk "Wien Pop" nachschlagen und sich vergegenwärtigen, wie bunt und vibrierend die österreichische Musikszene immer schon war. Und trotzdem ist der Hype, der sich dieses Jahr über unsere Landesgrenzen hinaus entwickelt hat, bemerkenswert.

Bilderbuch Backstage beim Amadeus Award

Daniela Derntl

So streifen Bilderbuch dieses Jahr den FM4-Award bei Amadeus ein. Grund ist nicht zuletzt die gelbe Maschin, ein Song, der beim Donauinselfest 2014 auf der FM4 Bühne Tausende dazu gebracht hat, die ersten Textzeilen aus vollen Hälsen mitzusingen. Konzerterprobt gehen die Jungs dann 44 Tage mit den Beatsteaks auf Tour und - schwupps - schon lächeln uns Bilderbuch vom Jahresrückblick-Cover der intro entgegen. Denn auch 2015 wird mit Erscheinen des lang ersehnten Albums sicher ein Bilderbuch-Jahr werden.

Plattencover "Amore" der Band Wanda

Wanda/Problembär Records

Austropop, freigelegt

Die anderen Darlings der deutschsprachig-ausländischen Musikpresse sind Wanda, das frech-frische Quintett aus Wien. Mit ihrem Debüt "Amore" erobern sie nicht nur die Herzen der Indie-Gemeinde im Sturm. In der Jahresliste der zehn wichtigsten Alben 2014 von msn.com stehen Wanda neben U2, Pharell Williams oder auch den Foo Fighters. Die Spiegel-Online-Redaktion schwärmt ebenso von der Band, die "Erinnerungen an den Austropop freilegen", wie auch die Focus-Redaktion, die vom "Geniestreich des Jahres" spricht.

Und schließlich titelt der deutsche Musikexpress "Aufstand aus den Ruinen - Austropop zwischen Wurst, Wien und Wanda" und bringt eine mehrseitige Reportage über die neu erstarkte Popstadt Wien. Bis auf die schöne Alliteration ist der Titel jedoch etwas irreführend, legt er doch nahe, dass die heimische Szene nach dem Niedergang des früheren Austropop in Trümmern lag - was natürlich weit gefehlt ist. Schließlich meint Hannes Tschürz, Musikliebhaber und Chef der Ink-Music-Truppe im Interview mit dem Musikexpress, dass Musik aus Österreich wie eine kleine Pflanze jahrelang gewachsen ist, bis sie nun so groß geworden ist, dass sie über den Blumentopf hinausragt und auch von außen wahrgenommen werden kann.

Plattencover "Chop Shop 2 - Singende Klingende Unterwelt" von Brenk Sinatra und Fid Mella

Hectormacello Records

Dem kann ich mich voll anschließen und gleichzeitig macht sich in mir ein Gefühl breit, dass es jetzt auch wirklich die richtige Zeit für Musik ist, die sich ohne Ressentiments der eigenen Geschichte bedienen kann. Bespiele dafür wäre das Projekt Worried Man & Worried Boy. Dahinter verbergen sich Schlagzeuger Sebastian Janata (von Ja, Panik) und Vater Herbert Janata, der 54 Jahre lang Sänger und Frontman der Worried Men Skiffle Group war. Gemeinsam covern sie unter anderem die Songs jener Band, die Anfang der Sechziger Jahre den amerikanischen Skiffle mit cleveren, Wienerlied-ähnlichen Texten verbunden hat. Und dann wäre da noch das Projekt von Brenk Sinatra und Fid Mella, die sich durch die Untiefen ihres österreichischen Platten-Archivs gegraben haben, um ihre famosen Tracks unter dem Titel "Chop Shop 2 - Singende Klingende Unterwelt" zusammenzufassen und zu veröffentlichen.

Bewegte, bewegende Bilder

Ein weiterer Grund für die Musik-Euphorie sind die vielen Musikvideos, die dieses Jahr durch die sozialen Plattformen geflimmert sind. Allen voran das witzige und überraschende "No Estate To Remind" der Salzburger Olympique, in dem sich die Band in unzählige, große Filmmomente hineinretouchiert hat. Einer der finalen Schachzüge eines sehr langen und harten Musikplans des Trios, das drei Jahre an ihrem Debüt "Crystal Palace" gefeilt und dazu ein stimmiges Gesamtkonzept entwickelt hat.

PLattencover M185 "Everything Is Up"

M185 / Siluh Records

Herausgestochen aus den Videos des Jahres hat auch Franz Adrian Wenzels Glücksdrachenflug" zum Kreisky-Song "Pipelines". Das Stück, das vom skurrilen Sound und Songaufbau ein Paradebeispiel für die experimentelle Kreisky-Platte "Blick auf die Alpen" ist.

Oder das großartige Video mit dem wandelnden Gitarrenverzerrer zum Song "Soon" der Wiener M185, die dieses Jahr mit "Everything Is Up" eine hervorragende Gitarren-Noise-Pop-Platte veröffentlicht haben.

Sogar der Schlager hat dieses Jahr im Indie Fuß gefasst, mit dem grenzgenialen Werk von Fuzzmann & The Singing Rebels, wobei das Video zu "Leb Wohl Cherie" in seinem trashigen Style derart liebenswürdig ist, das man nicht anders kann, als auch "auuuuh" mitzujaulen.

Aus der Tiefe der gebrochenen Elektronik scheint das unbewusste Klanguniversum von Léyya zu kommen, einem heimischen Duo, das im November zum Soundpark Act des Monats gekürt wurde. Ihre atmosphärisch dichte und musikalisch reduzierte Welt findet mit dem Video "Wolves" die perfekte visuelle Entsprechung.

Polkov Albumcover

Polkov

Die Überraschung 2014 ist für mich aber das Musikerkollektiv Polkov, das sich mittlerweile zu einer fixen sechsköpfigen Band entwickelt hat. Ihre musikalisch luzide Träumerei haben die Masterminds Laurenz Jandl und Paul Pfleger auf dem Debüt verewigt, das hymnischer und epischer kaum sein könnte. Wobei "Kamaro's Song", zu dem es ein schönes Video gibt, wohl der Song mit dem größten Ohrwurmpotential ist. Auch das wundervolle Musikfilmchen zu "Promised Land" liefert berührende Bilder zum herrlichen Refrain mit Trompeten und Bläsersätzen.

Die Sache mit den W's

Das war das österreichische Musikjahr 2014:

Die FM4 Soundparknacht am 29. Dezember ab 01:00 Uhr früh blickt fünf Stunden lang auf das vergangene Musikjahr zurück. Mit Alexandra Augustin, Clemens Fantur, Andreas Gstettner-Brugger, Christian Pausch und Stefan Trischler.

Wie jedes Jahr könnte ich in der "Jahresrückblicksgeschichte" unaufhörlich österreichische Acts aufzählen, die mich und viele Menschen begeistert haben. Sei es durch ihren ganz eigenen Sound, durch ihre kraftvollen Live-Gigs, durch beeindruckende Videos oder durch Songs, die man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Aber das ist alles kein Grund, wieder von einem neuen "wir" zu sprechen oder von #stolzdrauf. Und dennoch wird das unweigerlich im kommenden Jahr weiterhin Thema sein, wenn Österreich das Gastgeberland des ESC ist und - wie es show-immanent ist - sich "nach außen" zu präsentieren hat.

Bei all dem zählt aber nicht die Nationalität, sondern die Musik. Und deshalb mache ich mir um unsere "homegrown" Szene auch 2015 auch keine Sorgen - ESC hin oder her - sondern freue mich schon jetzt auf ein spannendes Jahr, das mehr als sonst vom Scheinwerferlicht des großen Musikbusiness angestrahlt wird.