Erstellt am: 26. 12. 2015 - 13:54 Uhr
#rewind2015: bunny peace, at least
Rewind 2015
Der FM4 Jahresrückblick
Ein unbedeutender, aber bezeichnender Moment diesen November im Foreign Office in London beim Besuch des österreichischen Außenministers: Die kleine Traube österreichischer Journalist_innen wartet länger als vorgesehen in einem Nebenzimmer auf das Statement der Herren Kurz und Hammond, und die Stille im Raum nötigt die zur Betreuung abgestellte Beamtin des Foreign Office zu ein bisschen Small Talk.
Was, will sie wissen, sei eigentlich der korrekte deutsche Ausdruck für "ever closer union"?
So auf Anhieb wusste das keine_r von uns, was die Beamtin uns wiederum nicht so recht glauben wollte. Wieder so eine zentraleuropäische Schrulle, kuriose Kontinentale, tun glatt so, als wär sie nicht in aller Munde, die tatsächlich (ich hab dann nachgeschaut) in einer Präambel des EU-Vertrags festgeschriebene "immer engere Union", die die Briten im Zuge der Neuverhandlungen ihres Verhältnisses mit der EU entfernt sehen wollen.
Ganz ehrlich, versuchten wir der Beamtin zu erklären, dass diese EU sich immer enger zusammentut, ist jetzt gerade nicht so wirklich das Problem. In einer Zeit, wo schon lange keine gemeinsamen Lösungen für gar nichts mehr gefunden werden, wo allüberall wieder der Nationalismus sprießt und sich in Kombination mit Islamophobie, Antisemitismus und gewöhnlichem Rassismus zu neuen Formen des kollektiven Wahns verbindet, die frappant an überwunden geglaubte alte erinnern, stehen die Briten mit ihrem selbstgemalten Pappschildchen an der Straßenecke und warnen die Passant_innen vor den unaufhaltsamen Kräften der Integration.
Calling Johnny Delusional, you're wanted at the front desk.
Die selektive Weltsicht im Zeitalter der globalen Kommunikation war für mich als bilingualer Medienkonsument sowieso der unlustige Running Gag des Jahres, wobei im Zuge der sich entspinnenden griechischen Finanzkrise anfänglich ja eher der deutschsprachige Teil der Medienblase in Richtung einer in sich abgeschlossenen paranoid-hybristischen Parallelwelt abgeschwirrt war.
Irgendwo am Übergang zwischen den beiden Deutschland-Selbstbildern von der Disziplinierung säumiger Südländer und Merkelscher Großmut gegenüber syrischen Flüchtlingen war ich angelsächsisch abgelenkt, denn da ereignete die britische Unterhauswahl, entschieden nicht zuletzt durch die konsequente öffentliche Demolierung des Ed Miliband und die taktische Neuerfindung der Tories als englische Nationalpartei auf Kosten UKIPs bzw. unter bewusster Inkaufnahme einer verschärften Spaltung zwischen England und Schottland.
Das war schon vor der Wahl tendenziell abzusehen, manifestierte sich aber nach David Camerons sogar für ihn selbst überraschendem Sieg noch stärker als befürchtet in einer Absoluten für die Tories in Westminster und einem Beinahe-Monopol der SNP auf schottische Sitze im Unterhaus.
EPA
Darin liegt nun auch der wahre Grund, warum instinktiv europhobe Konservative auf Seite der Regierung (einstweilen noch) die vorgegebene Linie pro Verbleib in der EU halten.
Falls England für einen EU-Austritt und Schottland dagegen stimmt, würde Schottland nämlich wohl doch lieber bei Europa als bei einem isolierten Großbritannien bleiben. Aber was ist schon ein bisschen Verfassungskrise, wenn man sich eine neue schreiben kann, wie Chris Bryant von Labour den Tories im New Statesman nicht unschlüssig unterstellt.
Was die Labour Party anging, sah es ja zuerst eher so aus, als würden sie den Tories zu ihrem Wahlsieg mit dem größten aller Komplimente, nämlich dem leicht verschämten Plagiat gratulieren. Auf europäischer Ebene dagegen drohte die britische Linke mit dem Einsatz ihres ultimativen Kampfmittels, der solidarischen Trotzpose.
Einstweilen saßen die paar tausend Gestrandeten, die auf der Flucht aus dem Nahen Osten und aus Afrika bis an den Eingang des Kanaltunnels nach Calais vorgedrungen waren, vor einem ständig höher werdenden Zaun der Abweisung.
Niemand sah da noch den Mann mit dem zerknitterten Gesicht kommen, dessen völlig unvorhergesehene Wahl zum Labour-Chef am Ende des Sommers ein paar sonnige Wochen lang den politischen Diskurs des Landes in Richtung einer Aufweichung der konsequenten Anti-Flüchtlingspolitik und einer lange fälligen Thematisierung der wachsenden sozialen Ungleichheit im medialen Mainstream zu drehen schien.
Robert Rotifer
Der Moment, als Jeremy Corbyn direkt von seiner Kür durch die Labour-Mitglieder gegen den Widerstand der eigenen Parlamentsfraktion zur "Refugees Welcome"-Demo ging, war schon ein ganz ein spezieller. Er fühlte sich gleichzeitig so an, als würde jetzt alles anders werden, und so, als könnte er nicht lange währen.
Letzteres sollte eintreten.
Spätestens seit Corbyn die Debatte mit Cameron und seinem eigenen Schattenkabinett über Bombardements in Syrien verloren hat, übertreffen sich die eigenen Genoss_innen darin, über ihren Chef herzufallen, nicht zuletzt als jener im Dezember bei einem Fundraising Dinner der Stop The War Coalition sprach, deren Co-Chair er bis zu seiner Übernahme des Labour-Vorsitzes gewesen war.
Die anti-imperialistische Plattform der Friedensbewegung hatte sich nämlich nach den Gräueln von Paris zu einem Statement herabgelassen, das einer Rechtfertigung der Anschläge gefährlich nahe kam (was übrigens auch Caroline Lucas, die einzige Parlamentarierin der Greens zu ihrem Austritt aus der Koalition veranlasste).
Andererseits hätte es ohne diese nach 9/11 gegründete Stop The War Coalition keine der großen Londoner Friedens-Demos der letzten 14 Jahre gegeben, auch nicht den Millionenmarsch 2003 gegen die Invasion des Irak (der zugegebenermaßen dann auch nichts änderte).
Was mich wieder zu dem Vorsatz bringt, hier 2016 nun endlich wirklich den lange angekündigten, oft angefangenen und nie ganz ausformulierten Blog über die aus österreichischer und deutscher Perspektive leicht missverständlichen Zusammenhänge von Anti-Imperialismus, Anti-Amerikanismus bzw. den schmalen Grat zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus in Großbritannien zu schreiben. Geht aber auch nicht ohne eine Randbemerkung dazu, warum der Umgang eines Jeremy Corbyn ein so viel brennenderes poltisches Thema zu sein scheint als beispielsweise britische Waffen-Deals mit den Wahhabiten in Saudi-Arabien.
Aber wie gesagt, dazu demnächst mehr. Versprochen.
Fakt ist indessen, dass die Briten seit Beginn ihres Bombardements in Syrien keine einzige der davor als so unverzichtbar dargestellten, smarten Brimstone-Raketen eingesetzt haben, sondern ausschließlich billigere, dumme, aber umso undifferenzierter tödliche Bomben.
Und dass sie keine Anstalten machen, sich künftig konstruktiver an der Beherbergung der Flüchtlingsströme zu beteiligen, die zu einem nicht unwesentlichen Teil aus den von ihnen so enthusiastisch geführten Konflikten resultieren (Anfang Dezember hörte ich in den Nachrichten, die Stadt Brighton, sei stolz, "a city of sanctuary" zu sein. Die Stadt hatte zwei - in Zahlen: 2 - syrische Flüchtlingsfamilien aufgenommen. In Brighton gibt es Gratis-Yoga-Stunden für Flüchtlinge.)
Zum Abschluss noch die englische Weihnachtsgeschichte des Jahres:
J und P, zwei weibliche Kaninchen in Aufsicht der Familie dieses Korrespondenten haben sich nach neun Monaten offener Feindseligkeit und blutiger Zweikämpfe (das Tierheim hatte behauptet, sie gehören zusammen, sie waren anderer Meinung), gefolgt von wochenlangen Friedensverhandlungen auf dem Küchentisch, nicht bloß ausgesöhnt, sondern sind die besten Freundinnen geworden und bewohnen nun glücklich einen gemeinsamen Hasenstall.
Es gibt also noch Hoffnung auf eine friedliche Welt bzw. nehmt das, Katzenfotograf_innen!
Robert Rotifer