Erstellt am: 8. 5. 2015 - 11:12 Uhr
Finishing the job
Wenn sich nichts und doch alles geändert hat.
Wenn David Cameron der Premierminster bleibt, jetzt sogar allein regiert, dabei aber vor einem wie mit einem Kuchenmesser säuberlich entzweiten Königreich steht, mit der SNP als Quasi-Alleinherrscherin nördlich der schottischen Grenze.
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Wenn Nick Clegg in seinem Wahlkreis überlebt hat, die Liberaldemokraten dabei aber fast völlig zermalmt wurden. Leute wie Danny Alexander, der fünf Jahre für Schatzkanzler George Osborne den gehorsamen Lakaien gab, und Vince Cable, der als Business Secretary die Austeritätspolitik mittrug, verloren allesamt ihre scheinbar sicheren Sitze.
Die Libdems wollten sich als der verlässliche Koalitionspartner verkaufen.
Jetzt sind sie nur mehr die sinnlose Partei.
Wenn Ed Miliband offensichtlich gehen muss (während ich das schreibe, sagt man im Fernsehen gerade, dass er was Wichtiges zu vermelden hat, was kann das schon sein).
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Wenn sein Schattenkanzler Ed Balls in seinem Wahlkreis abgewählt wurde.
Wenn es unübersehbar klar ist, dass seine Partei nie wieder eine absolute Mehrheit erreichen wird, solange sie sich nicht - vor allem in Schottland - völlig neu erfindet.
Und trotzdem: Selbst wenn ganz Schottland entgegen aller Voraussagen rot geblieben wäre, hätte Labour immer noch die Wahl verloren.
Noch einmal trotzdem: Die Analysen im Medienmainstreamfernsehen sagen bereits, Labour sei zu weit nach links gerückt. Die Realität in Schottland stimmt damit nicht überein, im Gegenteil: Die SNP war neben den Grünen (und verschwindend kleinen linken Splitterfraktionen) die einzige Partei in Großbritannien, die klar gegen Austerität auftrat.
Labour präsentierte sich dagegen bloß als der ein kleines bisschen humanere Sparmeister, in der Fehlannahme, dass man so „wirtschaftlich glaubwürdig“ erscheinen könnte.
Es steht zu befürchten, dass die Partei sich in diese Position verkrallt. In Deutschland kann man mit so einer Linie vielleicht noch den kleinen Koalitionspartner spielen, beim britischen Mehrheitswahlrecht braucht den aber, wie wir seit heute wissen, keiner.
Es ist wichtig, sich zu erinnern, dass die Libdems nur je in diese Position kamen, indem sie was völlig anderes versprachen (Abschaffung der Studiengebühren) als sie später in der Regierung mitverantworteten. Niemand außer den Konservativen hat im Namen des Austeritätskonsens gewonnen. Die alte „Schmied und Schmiedl“-Regel gilt also.
Übrigens hat UKIP auf nationaler Ebene 12,6 Prozent der Stimmen und damit nur einen Sitz erreicht (die SNP dagegen mit national 4,9 Prozent 56 Sitze, die Grünen mit 3,7 Prozent einen Sitz).
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Nigel Farage, der im Wahlkreis Thanet South trotz seiner Offensive doch offenbar klar geschlagen wurde (während ich das schreibe, reden Gerüchte vom dritten Platz, das Endergebnis steht noch nicht fest) hat nicht Unrecht, wenn er sagt, dass ein System, das solche Verzerrungen zulässt, eigentlich bankrott sei.
Was UKIP aber seine angepeilten lokalen Mehrheiten kostete (in Rochester & Strood verloren sie sogar den von Mark Reckless voriges Jahr in einer by-election gewonnenen Sitz), war wohl Camerons Appell, eine Stimme für UKIP würde Labour und damit über Umwege die SNP in Westminster an die Macht bringen.
Mit diesen Worten mobilisierte er den englischen Nationalismus und machte aus Nigel Farage Toast.
Ein großer Teil des konservativen Votums entspringt dem Wunsch nach Sicherheit in einer komplizierten Zeit: So schlimm ist es nicht, an der Foodbank stehen andere, behindert und pflegebedürftig bin ich selber auch nicht, und ich spür zwar nichts davon, aber man sagt, mit der Wirtschaft geht’s bergauf, und irgendwann muss das doch auch bei mir ankommen, also lassen wir's lieber, wie's ist.
Dass dieser scheinbare Aufschwung wieder einmal auf einer unhaltbaren Immobilienblase (welche die Wohnraumkrise essentiell bedingt) und auf Individualverschuldung beruht, ist heute noch nicht sichtbar.
Was die Versprechen der Konservativen, 12 Milliarden Pfund von einem bereits stark reduzierten Sozialbudget einzusparen, konkret bedeuten werden, weiß auch noch niemand.
„Finishing the job“, das haben Cameron und George Osborne im Fall eines Wahlsiegs versprochen, das klingt harmlos und lässt sich frei interpretieren.
Tatsächlich bedeutet ihre knappe konservative Mehrheit aber, dass sie statt den ihre Austeritätsagenda milde bremsenden Libdems nun intern die rabiat europhobe Rechte mit saftig rotem Fleisch bei Laune halten müssen.
Das bedeutet zumindest mit Sicherheit das angedrohte EU-Referendum, bei dem es Cameron schwer fallen wird, der eigenen Basis Neuverhandlungserfolge in Brüssel als Argument für den Verbleib in der Union zu verkaufen.
Wenn ihm dies nicht gelingt, wird er sich vor der Abstimmung wohl auf die gewinnende Seite schlagen: Okay, dann eben nicht, die Europäer spinnen doch alle und reden mit komischem Akzent, wir treten aus.
In diesem Fall steht 2017 das pro-europäische Schottland gegen das anti-europäische England.
Nicola Sturgeon sagt, sie wird kein weiteres Unabhängigkeitsreferendum lancieren, wenn es nicht zu einer „grundlegenden Veränderung“ der politischen Verhältnisse in Großbritannien komme.
Ein Nein zur EU wäre so ein Fall.
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Ein anderer wäre die inzwischen von Boris Johnson als vermeintliches Zugeständnis an die SNP angedeutete zusätzliche Souveränität. In der Praxis könnte das zum Beispiel eine „fiskale Unabhängigkeit“ bedeuten, allerdings bei Entzug der Förderungen an Schottland aus Westminster.
Sturgeon würde das als Betrug werten und eine neue Abstimmung vom Zaun brechen.
Ein Wort noch zu den Meinungsforscher_innen. Man sagt, sie haben sich blamiert.
Das stimmt und auch wieder nicht, denn prozentmäßig liegt das Ergebnis eigentlich im gröberen Rahmen des Vorhergesagten: Die Konservativen erreichten ungefähr 36 Prozent der Stimmen, Labour über 30 Prozent. Der Unterschied zum vorausgesagten Kopf-an-Kopf-Rennen liegt einerseits in der kurz vor dem Wahltermin geschürten Angst vor einem Pakt Labours mit der SNP, andererseits in den Launen des Mehrheitswahlrechts.
Bisher ging man davon aus, dass die Arithmetik dieses Systems für Labour spricht, siehe Tony Blair, der mit einer noch schmaleren Mehrheit als der jetzigen der Tories eine bequeme Mehrheit im Unterhaus erzielte.
Das ist aber jetzt, insbesondere nach den Veränderungen in Schottland, eben nicht mehr der Fall. Dies hat die Meinungsforschung nicht vorausgesehen, vielleicht nicht voraussehen können.
Die vom aus Australien importierten konservativen Wahlstrategen Lynton Crosby gesteuerte, von der britischen Presse mitgetragene Linie, Miliband lächerlich zu machen und die Angst vor Veränderung zu schüren, war jedenfalls auf ganzer Linie erfolgreich.
Mit allen möglichen Konsequenzen für die britische Union und für die ungewisse Zukunft Labours.