Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Möglichst unbequem, thank you very much."

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

21. 5. 2015 - 19:00

Möglichst unbequem, thank you very much.

Die neue Normalität in Großbritannien 14 Tage nach der Wahl: Ein bisschen Menschenrechte weg da, ein bisschen Anti-Immigranten-Razzia dort, und ja kein Widerspruch.

Ihr meint, zwei Wochen nach diesen Wahlen hier kann ich mich wieder vorsichtig ans Sonnenlicht wagen?

Kaum tu ich das, empfängt mich schon die Schlagzeile zum Tage: Die britische Regierung will die Polizei dazu berechtigen, die Einkommen illegaler Einwander_innen zu beschlagnahmen.

Man liest das und denkt kurz einmal darüber nach, was es in der Praxis bedeutet. Nachdem es für Schwarzarbeit logischerweise keine Gehaltszettel und Honorarnoten gibt und illegale Einwander_innen grundsätzlich kein Geld verdienen dürfen, darf die Exekutive Leute ohne die richtigen Papiere nun also einfach legal von der Straße weg ausnehmen. Wie viel dabei beschlagnahmt wird, beziffern die Beschlagnahmenden.

Was kann da schon schiefgehen?

Aber wie Innenministerin Theresa May gerade sagte, als ich heute morgen das Radio aufdrehte, geht’s dem Staat hier sowieso nicht ums Geld, sondern um „die Abschreckung“ und darum, das Leben für illegale Einwander_innen „möglichst unbequem“ zu machen („Thank you very much“, sagte die Interviewerin zur Innenministerin, so als wär’ das alles normal und grundvernünftig).

Und dann ging May am späteren Vormittag selber mit David Cameron den Schauplatz einer Razzia besuchen. Eine volksnahe Geste.

Man hört das also und denkt sich, das sei wohl der kleinherzigste, fieseste Zugang, den man sich zum Problem Schwarzarbeit und Aufenthaltsrecht je einfallen lassen könnte. Und dann liest man die BBC-News-Online-Story dazu und stolpert über den Satz:

*die hier verlinkte BBC-Story wurde seither mehrfach verändert, der Satz ist mittlerweile verschwunden.

„Labour begrüßte diese Aktion, sagte aber, dass sie nicht weit genug geht.“*

Willkommen im Großbritannien des Mai 2015, dessen politisches Geschehen dieser Tage zielstrebig darauf ausgerichtet zu sein scheint, mich mit seinem flächendeckenden Szenario der größtmöglichen Trostlosigkeit direkt in die Arme des blinden Eskapismus zu treiben (Reissues bei Fopp um drei Pfund. Mingus!).

Irgendwie muss man sich schließlich einrichten mit der Realität, man kann nicht den ganzen Tag nur den Kopf auf die Tischplatte knallen.

Eine kurze Zusammenfassung. Was wir in den letzten 14 Tagen konservative Alleinregierung bisher so hatten (und wovon vor den Wahlen interessanterweise niemand gesprochen hatte):

Erste Vorbereitungen zum Austritt Großbritanniens aus der europäischen Menschenrechtskonvention, die, wie Konsument_innen britischer Medien wissen, schließlich alleinig zum Schutz ausländischer Krimineller und Hassprediger existiert.

Ein neues Gesetz gegen "Extremismus" und "Radikalisierung", weil Großbritannien schon viel "zu lange eine passiv tolerante Gesellschaft" gewesen sei (Cameron).

Ein Streikverbot, falls nicht mindestens 40 Prozent aller Gewerkschaftsmitglieder dafür gestimmt haben (und das von einer von 25 Prozent aller Stimmberechtigten gewählten Regierung).

Eine strikte Weigerung, an einer EU-weiten Flüchtlingsquote teilzunehmen.

Und zu all dem keinerlei sicht- oder hörbare Opposition.

So wie es aussieht, wird sich daran auch so bald nichts ändern.

Denn bei Labour scheint man eingesehen zu haben, dass sich in der britischen Medienlandschaft gegen deren xenophob euroskeptischen und austeritätsbesessenen Konsens keine eigene Agenda aufbauen lässt. Dafür gibt es durchaus statistisch haltbare Argumente.

Doch anstatt eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, was in Zeiten sozialer Medien zumindest einen Versuch wert wäre, kehrte man zu Trick '97 zurück und spannte nach dem (verständlich) übereilten Rücktritt des medial gemeuchelten Ed Miliband, dem nach versagter Rache nur die Aussicht auf komplette Erniedrigung blieb, hurtig wieder dieselbe alte totgespielte Notenrolle der Ära Blair ins mechanische Klavier.

Gleich drehten die ehemaligen Granden der New Labour-Phase, Veteranen des glorreichen Dreifach-Siegs '97/'01/'05 (an Details des Verfalls ihrer Mehrheit wollen wir nicht rühren) kräftig an der Kurbel, und wie dem Pawlow sein Hund begannen beim Erklingen der alten Leier alle prompt wieder ganz nostalgisch wie früher einmal rührselig die Melodei der „Modernisierung“ zu summen. Ich warte ja nur drauf, dass irgendein schmieriger Alleinunterhalter sich ein Herz fasst und uns noch den Jahrhundertschlager vom „Dritten Weg“ vorsingt, aber selbst das wäre heute wohl schon zu outré.

Die Kandidat_innen, die dazu Entschlossenheit mimen, unterscheiden sich in Genital und Haarschnitt (zweiteres marginal), kaum aber in ihrer banalen Diktion.

In monotonem mantrischen Gleichklang huldigen Yvette Cooper, Liz Kendall, Mary Creagh und Andy Burnham (Klon-Kameraden Chuka Umunna und Tristram Hunt sind bereits vorzeitig ausgeschieden) dem Prinzip der „Aspiration“, sprich dem in jeder Möchtegern-Meritokratie hochgehaltenen mythischen Drang, was aus sich zu machen.

Unisono beklagen sie, ihre Partei habe keine Botschaft für diejenigen gehabt, die hoch hinaus wollen. All das Gerede über soziale Ungleichheit sei zu negativ gewesen, und vor allem nicht „pro business“ genug. Dass man in Schottland gegen den entschiedenen Anti-Austeritätskurs der SNP verloren hat, passt nicht in dieses Bild, also wird’s eben der Nationalismus gewesen sein, der plötzlich in die primitiven Schott_innen gefahren ist.

Andy Burnham, der Kandidat mit dem nordenglischen Akzent, daher bodenständig, wird von der Labour-Linken auf meiner Timeline bevorzugt (unter anderem auch, weil er die NHS vor weiterer Privatisierung bewahren will, das hebt er jetzt als Kandidat aber nicht gar so sehr hervor).

Niemand stößt sich daran, wenn Burnham meint, David Cameron solle doch die EU-Abstimmung möglichst schnell abhalten, damit man durch „weitreichende Neuverhandlungen“ der „Besorgnis der Öffentlichkeit über Einwanderung“ Rechnung tragen könne. Das kann eigentlich nichts anderes als die Beschneidung der Bewegungsfreiheit als Bedingung für einen Verbleib in der EU bedeuten. Ein Gefühl im großen Zeh sagt mir jedenfalls, dass meinesgleichen Besorgnis über die Einstellung der EU zu tausenden Ersoffenen im Mittelmeer eher nicht gemeint sein dürfte.

Die Forderung nach einer möglichst schnellen Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft (Labour war bisher immer konsequent gegen eine solche eingetreten) kam übrigens auch von Liz Kendall, der jungen Blairistin, zu deren Kampagnen-Website Lizforleader.com sich gestern eine inoffizielle Geschwistersite gesellte, die in ihrem absurden Humor (danke für den Hinweis, @thddnk) auf bisher gutartigst mögliche Weise den Tiefgang des Labour-Führungsstreits reflektiert (keine Gewähr dafür, was da gerade passiert, einen Klick ist es aber vermutlich wert).

Clevere Strategie seitens der Labour-Kandidat_innen: Opposition durch Zustimmung mit Nachdruck. Schließlich hat Cameron selbst gleich nach der Wahl eine Vorziehung des EU-Referendums angekündigt. Kendall und Burnham kommen einem vor wie bedauernswerte Schauspieler_innen, die glaubhaft schlau dreinschauen müssen, obwohl ihnen ein_e Drehbuchautor_in für die dramatische Szene den beliebt blöden Satz „Im Gegenteil! Wir machen genau das, was sie von uns erwarten!“ in den Mund gelegt hat.

Darauf folgt dann, wie wir alle wissen, das Blutbad, und alles ist aus. Man nennt sowas eine positive Message. Genau das, was Labour eben gefehlt hat im Wahlkampf mit all dem aspirationsfeindlichen Gerede über soziale Ungleichheit und höhere Steuern für Superreiche.

Immerhin ein Trost für alle Beteiligten: Sie sind nicht UKIP.

Deren Chef Nigel Farage, der seinen eigenen Wunschsitz in Thanet South bekanntlich nicht erobern konnte, trat zuerst wie für diesen Fall versprochen zurück („ich bin ein Mann meines Wortes“), und überlegte es sich dann wieder anders. Angeblich habe ihn die eigene Partei oder zumindest deren potenteste Spender bekniet, doch nicht aufzuhören. Farages Wirtschaftssprecher Patrick O'Flynn, Ex-Politik-Chef des Daily Express, der den Chef „dünnhäutig und jähzornig“ nannte, ist mittlerweile schon weggesäubert, genauso wie die Vize-Chefin Suzanne Evans, die den Aufstand gegen Farage geprobt haben soll.

UKIPs Zerwürfnisse sind leicht verständlich. Es wird zunehmend schwerer für diese Partei, eine Linie rechts von den Tories und Labour zu finden. Aber die schaffen das schon, da hab ich großes Vertrauen.

Und was ist mit den Greens? Neulich bin ich im Bahnhof St Pancras zufällig ihrer Parteichefin Natalie Bennett begegnet. Da fiel mir auf, dass ich in den Medien seit den Wahlen keinen Mucks mehr von den Grünen gehört hatte. Bennett durchquerte die Bahnhofshalle schnellen Schritts mit der geduckten Haltung eines vorzeitig ausrangierten Ex-Reality-TV-Stars.

Man konnte es ihr nachfühlen.