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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

4. 6. 2014 - 16:25

Der Kampf ums Revolutionsjahr

Burschenschaften kämpfen um einen Platz in der Öffentlichkeit und um die Deutung der Geschichte. Nicht ohne Widerspruch.

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Deutschnationale Burschenschafter treffen sich heute in Wien, um ein "Fest der Freiheit" zu feiern, das die Errungenschaften der Revolution von 1848/49 wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung rücken soll. Nun sind die 166 Jahre, die seit 1848 vergangen sind, nicht unbedingt ein Jubiläum, das sich aufdrängt, noch spielte das heutige Datum, der 4. Juni, eine besondere Rolle während der Revolution, die im März 1848 in Wien ausgebrochen ist, im Oktober ihren blutigen Höhepunkt erreichte und auch niedergeschlagen wurde. Warum also halten die Burschenschaften diese Feier ab?

Burschenschafter beim Fest der Freiheit

FM4 / Michael Fiedler

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Kampf um Legitimität und Relevanz

Der Politikwissenschaftler Bernhard Weidinger, der über Burschenschaften dissertiert hat, nennt in einem Interview mit dem Standard Imagekorrektur als zentralen Zweck für die Veranstaltung. Schon im Jänner hat Weidinger im Interview mit FM4 davon gesprochen, dass sich Burschenschaften seit 1945 in Legitimationsnot befänden, weil sich ihr Deutschnationalismus nicht so leicht vom Antisemitismus lösen ließe. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs würden die Burschenschafter daher marginalisiert und führten einen Kampf um gesellschaftliche Relevanz, in dem Veranstaltungen an zentralen Plätzen der Republik eine wichtige Rolle einnähmen.

Burschenschafter

FM4 / Michael Fiedler

1848 als Ausnahme

Indem die Burschenschaften das Jahr und die Revolution von 1848 hochhalten, stellen sie sich in eine Tradition der bürgerlich-demokratischen Revolution. Damals haben sich die burschenschaftlich organisierten Studenten gemeinsam mit Arbeitern gegen das repressive System gewandt. Sie können stolz darauf verweisen, bürgerliche Freiheiten wie Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit erkämpft zu haben, auch wenn sie bald danach wieder verloren gingen.

1848 stellt allerdings eine Ausnahme in der Geschichte der Burschenschaften dar. Was sie jetzt gerne verschweigen ist, dass sich schon die Urburschenschaft von 1815 gegen eine liberale Position gegründet hatte und auch, dass sie historisch in den meisten Fällen Partei gegen die Demokratie ergriffen hat.

Demo vor der Hauptuni Wien

FM4 / Michael Fiedler

Zahlreiche Gegendemos gegen den Burschenschafteraufmarsch sind für heute angekündigt, zum Beispiel hier an der Hauptuni Wien

Historiker wehren sich gegen Vereinnahmung von 1848

Österreichische Historiker Helmut Konrad und Dieter Binder, beide Professoren an der Uni Graz, sowie der Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, wollen den Burschenschaftern die Deutung über das Revolutionsjahr 1848 nicht so einfach überlassen. Die Forderungen der Revolutionen von 1848 nach politischer Mitbestimmung, bürgerlichen Freiheitsrechen, nationaler Selbstbestimmung, Demokratie etc. seien überall in Europa die selben gewesen und keine Erfindungen der Burschenschaften.

Die Historiker verstehen die gesamteuropäische Revolution als Geburtsstunde unserer heutigen modernen Gesellschaft, die jedoch auch bereits die ersten Momente jenes nationalen Wahns gezeigt hätte, der Europa im 20. Jahrhundert so grauenvoll devastieren sollte. Deshalb dürfe man die Erinnerung an 1848 auch nicht rechten Gruppierungen überlassen, heißt es in der Stellungnahme:

"Wenn wir heute, mit vollem Recht, die Ereignisse des Jahres 1848 als die eigentliche Basis des europäischen Einigungsprozesses und als die Grundlage der Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Tradition betrachten, so gilt es vor allem auch eine zentrale Lehre zu ziehen: Wir dürfen unter keinen Umständen zulassen, dass sich eine autoritäre, demagogische und populistische Rechte dieses Erbes erneut bemächtigt."