Erstellt am: 3. 2. 2009 - 10:41 Uhr
Wir sind Wir - die Mitte
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No Place Like Home
Einwanderungsland Österreich - Ein FM4 Programmschwerpunkt ab 1. Februar
In jeder Aufforderung zur "Integration", die im Alltag "Die sollen sich anpassen!" heißt und also Assimilation meint, wird unbenannt die fantastische Vorstellung beschworen, dass es etwas "Integriertes" (etwas "Integrales"?) gibt, das in sich einheitlich und ganz, widerspruchsfrei, harmonisch und geradezu ewiglich unveränderbar ist.
"Integration" bedeutet demnach, sich dieser Idee einer nationalen Monokultur unterzuordnen, sich in ein "Volk" von "eigenen, anständigen Leuten" einzureihen, oder (auf gut österreichisch) einfach ruhig zu sein und sich möglichst unauffällig zu verhalten.
Was aber, wenn das Unauffällige so extrem unauffällig ist, dass es schon wieder auffällt?
Im Rahmen der FM4 Schwerpunktwoche No Place Like Home stehen nun einige Versuche an, diese schweigend vorausgesetzte Norm, dieses "Wir sind Wir" selbst zu befragen.
Wer sind wir, wenn wir "wir" sind? Woran erkennen uns diejenigen, die nicht "wir" sind? Und wie wird österreichisch-Sein, "normal"-Sein, nationale Identität inszeniert?
Um diese Fragen zu ergründen habe ich mich vergangenen Freitag auf einen abendlichen Spaziergang durch die Wiener Innenstadt begeben. Es ist Ballsaison, und das Bündnis gegen den rechtsextremen WKR-Ball hat zu einem Protestumzug rund um die Hofburg und zu einem antirassistischen Straßenfest geladen. Temperatur und ewig gleiche platte Sprechchöre machen den Spaziergang beinahe unerträglich, wären da nicht auch eine tanzende Cheerleading-Gruppe und ein Wagen, der heißen Tee ausschenkt.
Radio FM4 / Tagwerker
Für einen Bericht über die Kontroversen um diesen Ball habe ich am Freitag Nachmittag versucht, eine telefonische Stellungnahme von Seiten des 1952 gegründeten Wiener Korporations Rings zu bekommen, dem gegenwärtig 19 deutschnationale Wiener Studentenverbindungen angehören, darunter Burschenschaften (Olympia, Teutonia, u.a.), Landsmannschaften (Cimbria, Kärnten), Corps (Posonia, Saxonia), sowie je eine Jägerschaft (Silvania), Sängerschaft (Barden), ein "Verein Deutscher Studenten" (Sudetia), eine "akademische Verbindung" (Wartburg) und ein akademischer Turnverein (WATV).
Bei den Burschenschaften, die ich erreichte, war man entweder in arger Zeitnot (Prüfungsstress) oder verwies darauf, dass man sich zum Ball nicht äußern könne, wolle oder gar nicht dürfe. Der einzige Herr seitens der Ballorganisation, dem etwas über den "unpolitischen" Charakter der Veranstaltung zu entlocken war, drohte damit mir seinen Rechtsanwalt zu schicken und zwar schneller als ich das Wort "Untersuchungsrichter" sagen könne, als ich ihn fragte, ob ich ihn zitieren dürfe.
Vielleicht hätte ich es also machen sollen wie die Kollegin vom Kurier, mir eine Ballkarte besorgen um dann hautnah berichten zu können.
Da mich aber schon bloße Erinnerungen an endlos steife Pfarr- und Schulbälle vom Gedanken an so einen embedded-journalism-stunt abturnen, muss ich mich der Ausgewogenheit zuliebe mit der Presseaussendung des WKR-Ballausschusses begnügen. Dieser nehme grundsätzlich nicht zu politischen Themen Stellung, da seine Aktivitäten "parteipolitisch ungebunden und daher auch nicht auf die Nähe zu irgendeiner politischen Bewegung ausgerichtet sind. Die Gäste des Balles sind daher auch in allen traditionellen politischen Lagern zu finden und schätzen durchwegs keine parteipolitische Einflussnahme von welcher Seite auch immer."
So finden sich unter den ungefähr 4.000 "aktiven" und "alten Herren" des deutschnationalen Korporationswesens in Österreich nicht nur bekennende Anhänger des so genannten "dritten Lagers", sondern auch illustre Herren wie der ehemalige ÖVP Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (Akademischer Turnverein Graz ) oder der Wiener Bürgermeister SPÖ Michael Häupl (war Mitglied der Jungmannschaft Rugia zu Krems).
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deutsch, hetero, männlich, weiß
Judith Butler sieht noch vor dem Inzestverbot ein Tabu der Homosexualität am Werk und sie beschreibt die Melancholie, die eine männliche Geschlechtszugehörigkeit aus der Weigerung hervorgehen lässt, um das Männliche als Liebesmöglichkeit zu trauern.
Judith Butler in: Psyche der Macht. Subjekte der Unterwerfung (Blick ins Buch )
Wie anders lässt sich diese überaus unlockere Performance von Männlichkeit erklären, für die Burschenschaften sicher nicht das einzige, wohl aber ein anschauliches Beispiel sind?
Während Burschenschafter stolz auf ihre kameradschaftlichen Tugenden wie "Freundschaft, Freiheit, Ehre, Vaterland" sind, merken KritikerInnen an, dass die strengen Verhaltensregeln, Rituale und Exerzitien (wie das Fechten der Mensur) auf die Anerziehung von autoritären Charakterstrukturen ausgerichtet sind, die Rangordnungen und Hierarchien von Befehl und Gehorsam verinnerlichen sollen. Eine solche psychische Konstitution verbinde das Ducken nach oben und das Treten nach unten gegen alles als "schwach" und "unmännlich" stigmatisierte, vor allem Frauen, Minderheiten und soziale Randgruppen.
Geschichte
1815 gründeten Studenten in Jena die erste deutsche Burschenschaft. Unter dem Banner "Ehre, Freiheit, Vaterland" verbanden sie von Anfang an bürgerlich demokratische Ideen mit völkisch-nationalem, rassistischem und antisemitischem Gedankengut. So wurden schon 1817, beim Wartburgfest, das von Burschenschaften als legendäres Gründungsfest angesehen wird, Bücher von unter anderem antinationalen und jüdischen Autoren verbrannt.
Heinrich Heine, auch ein Mitglied der Burschenschaften, beschreibt das Wartburgfest folgendermaßen:
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"Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! (...) Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen 'die Altdeutschen' kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!"
1933 organisierten korporierte Studentenschaften gemeinsam mit der SA die zweite deutsche Bücherverbrennung. 1938 lösten sich Österreichs deutschnationale Burschenschaften feierlich selbst auf und gliederten sich in den Nationalsozialistischen Studentenbund ein. Zu den zahlreichen Burschenschaftern, die im NS-Staat Karriere machten zählten u.a. der Haupttheoretiker der NS-Rassenideologie Alfred Rosenberg und SS-Führer Heinrich Himmler.
Auch nach 1945 rühmen sich Burschenschafter "die jüdischen Elemente entfernt" zu haben.
Die Burschenschaft Olympia (1961 behördlich aufgelöst, da mehrere Mitglieder in Bombenanschläge in Südtirol verwickelt waren, 1973 neu konstituiert) lud u.a. im November 2005 den britischen Holocaust-Leugner David Irving nach Wien und pflegt Kontakte zu aktiven Neonazis.
"Völkische Elite"
Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands lehnt eine pauschale Charakterisierung aller deutschnationaler Korporationen in Österreich als "rechtsextrem" ab, auch wenn als rechtsextrem einzustufende Burschenschaften wie die Olympia im WKR tonangebend seien. Darüber hinaus könne der Begriff des Rechtsextremismus unter anderem auch irreführend sein.
Link-Tipps
- malmoe # 44: "Wir nennen es rechtsextrem"
- Linksammlung: Hintergründe zum WKR-Ball
- Wikipedia: Extremismus der Mitte
Der soziologische und ideologische Ort, in welchem Rechtsextremismus in der Regel festgemacht wird, ist der "Rand". Demgegenüber kann gar nicht oft genug betont werden, dass rechtsextremes Gedankengut eine militante Steigerungsform der zentralen Werte und Ideologien spätkapitalistischer Gesellschaften darstellt. An erster Stelle wäre hier das Erfolgs- und Konkurrenzdenken zu nennen, das im rechtsextremen Diskurs zum Sozialdarwinismus radikalisiert wird. Das meint die bekannte Rede, wonach der Rechtsextremismus in der "Mitte" der Gesellschaft entspringt.
(Heribert Schiedel in: Universität und Rechtsextremismus)
Genauso wie Patriarchat, Heterosexismus, männerbündische Strukturen und Militarismus keine Randerscheinungen der östereichischen Gesellschaft sind, sondern staatstragend und zentral für das nationale Selbstverständnis sind (das wiederum in sich paradox ist, Staat Österreich vs. "deutsches Kulturvolk"), genauso wenig kann Rassismus auf die Anschauungen von rechten Parteien oder Verbänden reduziert werden. Jede Saisonarbeiterin und jeder Flüchtling, dem die ganz selbstverständlichen Rechte eines Staatsbürgers vorenthalten bleiben, kann davon erzählen.
Radio FM4 / Tagwerker
Dass das Repräsentationsgebäude der Republik, die Wiener Hofburg also für einen Ball "national-freiheitlicher" bis rechtsextremer Elitenreproduktionsvereine zur Verfügung gestellt wird, kann verwundern, muss aber nicht.
Immerhin regte sich heuer bereits im zweiten Jahr öffentlich Widerspruch.