Erstellt am: 8. 4. 2014 - 11:10 Uhr
Die Darsteller-Tycoone
fm4.ORF.at/film
Schauspielerporträts, Filmrezensionen und Interviews mit Regisseuren
Es war einmal, in einer lange vergessenen Ära, nennen wir sie die Hochblüte des Hollywood-Studiosystems. Mächtige Mogule saßen damals an monumentalen Schreibtischen und lenkten das Filmgeschäft. Die Firmenbosse von beispielsweise MGM oder Warner Brothers kontrollierten Produktion, Verleih und Abspielstätten, betreuten Drehbuchautoren mit Themen und verteilten die fertigen Stoffe an passende Regisseure. Erst am Ende der Kette wurden die vertraglich dem Studio verpflichteten Stars ausgesucht.
Weil diese Tycoone wie Louis B. Mayer sowie David O. Selznick bei aller autoritärer Diktatorenhaftigkeit auch ein Gespür für die Magie des Kinos hatten, entstanden etliche grandiose Klassiker während ihrer Regentschaft. Spätestens in der Aufbruchsstimmung des New Hollywood gewannen dann aber Autorenfilmer und Regie-Rebellen die Macht. Ob der Kunst verhaftete Typen wie Martin Scorsese und Francis Ford Coppola oder schamlosere Blockbuster-Erfinder wie George Lucas und Steven Spielberg: Die obsessive Leidenschaft für das Medium Film verband die miteinander verbandelte Clique.
Heute haben sich die Machtverhältnisse längst wieder verschoben. In der Traumfabrik geben die guys in suits den Ton an, straighte und spröde Businessabgesandte jener Riesenkonzerne, in denen die Major-Studios aufgegangen sind. Ohne irgendeinen Bezug zum fiebrigen Geschehen auf der Leinwand und ausschließlich der Wirtschaftlichkeit verschrieben, setzen die Anzugträger auf gigantomanische Eventfilme.
Das spannende Mittelfeld aber, jenes nicht gerade spottbillige, aber dennoch künstlerische und ambitionierte Kino, liegt in den Händen der einflussreichen Schauspieler. Willkommen im Starprinzip 2.0: Ohne die Mithilfe diverser großer Namen können auch kleinere Arbeiten, die dann aber schon mal zehn Millionen Dollar kosten, nicht mehr produziert werden.
Universal
Eine Hand wäscht kreativ die andere
Die Karriere des erwähnten Martin Scorsese etwa wäre wohl irgendwann im Sand verlaufen, wenn nicht Leonardo DiCaprio Interesse an einer Zusammenarbeit angemeldet hätte. Das Riesenprojekt "Gangs of New York" konnte Anfang der Nullerjahre nur finanziert werden, weil der damalige "Titanic"-Superstar die Hauptrolle spielte. Umgekehrt darf sich DiCaprio rühmen, dass er durch Scorsese einen künstlerischen Ruhm geerntet hat, der auch beinharte Skeptiker wie meine Wenigkeit schwer beeindruckt.
Fünf Filme lang, bis zum fantastischen "The Wolf Of Wall Street", hat sich das Duo auf diese Weise gegenseitig schon geholfen, nach dem Motto: Eine Hand wäscht kreativ die andere. Längst macht Leonardo DiCaprio etwas diffizilere Filme aber nicht nur durch seine Präsenz erfolgreich, er produziert auch tatsächlich mit. Der etwas ältere Brad Pitt pendelt ebenso wie Mark Wahlberg und etliche Kollegen vor und hinter der Kamera.
Letzterer steckt als Fädenzieher hinter TV-Serien wie "Boardwalk Empire" oder "Entourage", ersterer kann überhaupt als Musterbeispiel des neuen Startypus gelten. Es geht einem Brad Pitt als Produzenten tatsächlich nicht bloß ums Geld, sondern um künstlerisches Prestige und riskante Rollen. Ohne ihn würde es gewagte Filme von Andrew Dominik ("Killing Them Softly"), Steve McQueen ("12 Years A Slave") oder Terrence Malick ("The Tree of Life") gar nicht geben.
Concorde
Ich bin ein Star, ich helf euch aus
Überhaupt Terrence Malick: Der alte Regiegott kann es sich leisten, philosophische Experimentalfilme auf höherem finanziellen Niveau zu drehen. Denn die Stars stehen seit seinem Comebackstreifen "The Thin Red Line" Schlange und unterstützen ihn massiv. Christian Bale, Rooney Mara, Michael Fassbender, Natalie Portman, Cate Blanchett, Val Kilmer, Benicio Del Toro und Ryan Gosling treten für das noch "Untitled Terrence Malick Project" vor die Kamera, das angeblich, wenn man es glaubt, im heurigen Herbst anlaufen soll.
Schlüsselmitglieder von Hollywoods Fördergilde, wie ich sie mal nennen würde, finden sich in dieser Besetzungsliste. Der Goslinger etwa ermöglichte schon seinem Kumpel Nicolas Winding Refn die Herstellung von herrlich publikumsfeindlichen Arbeiten wie "Only God Forgives", sein Name überredet kopfschüttelnde Geldgeber. Christian Bale wiederum dreht nicht nur mit Malick ("The New World") und Werner Herzog ("Rescue Dawn"), er gehört abseits seiner Blockbuster-Auftritte bekanntlich auch zum Stammensemble von David O. Russell.
Nicht dass die Regisseure machtlos in diesem Spiel sind. Aber wenn man aufschnappt, dass sogar Ikonen wie David Cronenberg ohne einen Robert "Twilight" Pattinson kein ordentliches Budget auf die Reihe bekommen, dann wundert einen wenig. Zum Beispiel, dass ein Regie-Shootingstar wie Scott Cooper ("Crazy Heart") bloß deswegen immerhin 22 Millionen für seinen Sozialthriller "Out Of The Furnace" zusammengekratzt hat, weil Christian Bale und Woody Harrelson für relativ wenig Geld mitwirkten.
Tobis
Soziale Tristesse und persönliche Katastrophen
Man darf annehmen, dass das Casting bei "Auge um Auge" - so der deutsche Verleihtitel - wohl wieder einmal nach dem Domino-Prinzip funktionierte. Mit den Superstars im Gepäck konnten auch Zoë Saldana, Casey Affleck, Willem Dafoe und Sam Shepard blitzschnell gewonnen werden.
Christian Bale, dem Regisseur Cooper die Hauptrolle auf den Leib schrieb und wegen dessen Zeitplan der Dreh über ein Jahr verschoben wurde, muss ausnahmsweise einmal nicht den Getriebenen spielen, der mit dem Rücken zur Wand steht. Diesen Part übernimmt in "Out Of The Furnace" nämlich Casey Affleck . Die beiden Ausnahmeakteure brillieren als ungleiche Brüder, der eine ein bodenständiger Stahlarbeiter, der andere ein traumatisierter Irakkrieg-Veteran.
Die Gegend, in der Russell und Rodney Blaze leben, schenkt ihnen allerdings beiden nichts. North Braddock, Pennsylvania, ist eine Stadt am Abgrund, wer als Mann nicht in den Stahlwerken schuftet, hat keine Chance auf Arbeit. Dabei mischt sich die allgegenwärtige soziale Tristesse in "Out Of The Furnace" konstant mit persönlichen Katastrophen.
Produktions-Rebellen in Hollywood: Die Indie-Fädenzieher
Und dann gibt es auch noch Megan Ellison, die schwerreiche Erbin des Oracle-Firmengründers Larry Ellison. Mit ihrer Firma Annapurna Pictures produziert die Endzwanzigerin die wildesten und progressivsten Kinoträume von Regiegöttern wie den Coen Brüdern, John Hillcoat oder Spike Jonze: "True Grit", "Lawless", "Killing Them Softly" (zusammen mit Brad Pitt), "The Master", "Spring Breakers", "Zero Dark Thirty", "American Hustle" und "Her" gehen auf das Konto der jungen Filmfanatikerin, die an die Studio-Mäzene goldener Hollywood-Zeiten erinnert.
Tobis
Schwierige Themen und neurotische Figuren
Affleck alias Rodney lässt sich als Zubrot in illegalen Faustkämpfen verdreschen, das bodenständige Bruderherz Bale ringt als Russell mit dem bettlägrigen Vater, einer heftig verpfuschten Beziehung und einem von ihm verursachten fatalen Autounfall. Am Stadtrand wartet Woody Harrelsons brutaler Bandenchef Harlan DeGroat, um die Opfer der diversen Krisenszenarien einzusammeln wie ein ganzkörpertätowierter Rattenfänger.
A24 wiederum ist eine amerikanische Produktions- und Vertriebs-Firma, die von den Verleihveteranen Daniel Katz, David Fenkel und John Hodges gegründet wurde, um ebenfalls die Kunst in den Kommerz zu bringen. Filme wie Roman Coppolas "A Glimpse Inside the Mind of Charles Swan III", Sofia Coppolas "The Bling Ring" und vor allem "Under The Skin", Jonathan Glazers Kandidat für das verstörendste Meisterwerk des Jahres, verdanken sich dem A24-Konglomerat.
Schuld, Rache und Vergebung: Die Themen, die Scott Cooper abhandelt, sind so alt wie die Countrysongs, die der sympathische Regisseur privat zurecht liebt. Aber irgendwie gibt es dann doch von allem zuviel in diesem Film, zuviel Unglück, zuviele geschundene Kerle und am Rand leidende Frauen. Auch Harrelson, der im TV-Wunder "True Detective" jüngst so immens rockte, weil er zurückhaltend agierte, wirkt als überzogener Hillbilly-Bösewicht einfach zuviel des Guten wie Schlechten.
"Out Of The Furnace" erweist sich jedenfalls, unabhängig von diesen Schwächen, als eines jener beschriebenen Schauspielervehikel, die sich Hollywoods Stars als ambitionierte Spielwiese leisten. Tatsächlich sind es auch die Akteure, die diesen Film dann doch ziemlich sehenswert machen, allen voran der unglaublich intensive Casey Affleck mit ständig geballter Faust.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Niemand will mehr millionenschwere Filme bezahlen, in denen es um schwierige Themen oder neurotische Figuren geht. Stars lieben aber schwierige Themen und neurotische Figuren. Das edgy Entertainment der Gegenwart liegt in ihren Händen, sie sind die neuen Mäzene und Mogule. Und solange Brad Pitt und Kollegen alles richtig machen, können wir uns nicht beklagen. Nur ein paar neue, unverbrauchte Gesichter wären auch mal ganz schön.
Last but not least sollte man Adi Shankar nicht vergessen. Der kaum dreißigjährige Produzenten-Shootingstar ist der Mann für das ambitionierte Gewaltkino in Hollywood. Mit dem existentialistischen Überlebensthriller "The Grey" positionierte er sich 2011 als jüngster Independent-Producer im amerikanischen Kino. "Dredd", "Machine Gun Preacher", "Killing Them Softly" (schon wieder) oder "Broken City" tragen seine Handschrift.
Tobis