Erstellt am: 17. 3. 2014 - 12:00 Uhr
Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs
"It’s all about the characters“ lautet das leidlich bekannte Mantra, das seinerzeit von den Machern von "Lost“ – ebenso wie von vielen Fans der Show zum Zwecke der Selbstbeschwichtigung – anlässlich eines nach sechs langen Staffeln von vielen als zumindest vergurkt, teils gar als Betrug und persönliche Beleidigung begriffenen Show-Finales gerne wiedergekaut wurde. Ein Finale, das viele Fragen offen ließ und den Ausweg durch einen beherzten Griff in den menschelnden Schmalztopf suchte.
Dass die von HBO produzierte Show "True Detective" – vor sieben Wochen schon, jetzt im Rückspiegel betrachtet, nach wie vor das Show-Ereignis des Jahres – kein Interesse daran haben dürfte, triumphalen Mehrwert in der knifflig gebauten Resolution seines Plots zu generieren, war schon bald abzusehen. Man musste sich das nicht erst mit Ende des vor einer Woche ausgestrahlten Finales von Staffel 1 kopfnickend eingestehen. Mittlerweile haben hoffentlich alle Menschen die acht Episoden der ersten Season von "True Detective" gesehen – wer nicht, möge an dieser Stelle aufhören zu lesen und sein Internet bedienen, um das nachzuholen.
HBO
Auch für "True Detective" gilt also die für sich genommen bloß von geringem Erkenntniswert belebte Maxime, dass der Plot sich aus den Motivationen, Spinnereien, Makeln, Manierismen und blöden Ideen der Figuren heraus entwickelt. Und eben nicht anders herum, dass die Charaktere hölzerne Erfüllungsgehilfen eines Plots sind, an dessen Ende eine überraschende Verschwörung, kosmische Magie oder immerhin ein Monster stehen muss. "True Detective" hat stets an den Pforten des Phantastischen gekratzt, ein paar kleine Zehen ins Wasser des Metaphysischen gesteckt und mit kompletter Absicht die Möglichkeit geisterhafter, außerweltlicher und spiritueller Hintergründe für seine Geschichte verschwörerisch im Raum stehen lassen.
Trotzdem ist "True Detective" bei allem Teasen, Triezen und (rückblickend vielleicht: zu) gefinkelten Locken immer – auch des Öfteren von Autor Nic Pizzolatto und Regisseur Cary Joji Fukunaga in Interviews beteuert – dem Realismus verpflichtet geblieben. Schon von Anfang war auf einem der offiziellen Plakate zu "True Detective" in großen Lettern der Slogan zu lesen: "Man Is The Cruelest Animal". Es bedarf keiner Gespenster. Es handelt sich um ein Zitat aus Nietzsches "Also sprach Zarathustra": "Der Mensch nämlich ist das grausamste Tier. Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden. " Davon hat Rust Cohle sicher schon gelesen.
HBO
In "True Detective" heißt "man“ aber eben nicht bloß "Mensch", sondern auch und vor allem: "Mann". Exemplarisch vorgeführt von den beiden zu Recht schon mit allerlei Lob bedachten Hauptdarstellern Woody Harrelson in der Rolle des Martin "Marty" Hart und Matthew McConaughey als Rustin "Rust" Cohle. "True Detective“ handelt also freilich vom Verhältnis dieser beiden ungleichen Partner zueinander, von ihren Weltsichten, ihren Mankos, ihrem Versagen, ihrer Entwicklung über 17 Jahre hinweg und, letztlich, ihrer Erlösung.
Marty Hart beschwört Tag ein, Tag aus das Wort und den Wert "Family", müht sich, ein guter Vater zu sein und an die Gläubigkeit immerhin zu glauben. Indes betrügt er seine Ehefrau, neigt zur Gewalttätigkeit und dazu, Frauen als Spielzeug wahrzunehmen, das doch bitteschön nur ihm alleine gehören darf. Partner Rust Cohle hingegen ist gezeichnet vom Leben und lässt es die Welt gerne wissen: Vor Jahren hat er durch einen Unfall seine Tochter verloren. Die Ehe ist zerbrochen, ein sinnvolles – falls es denn so etwas überhaupt geben kann – Leben für ihn verwirkt. Seither übt sich Rust Cohle in selbstherrlicher Wortkargheit oder besserwisserischem Schwadronieren über die absolute Bedeutungslosigkeit allen menschlichen Tuns.
Immer wieder wird bemängelt, dass in "True Detective" neben der großartigen Michelle Monaghan in der Rolle von Martys Ehefrau Maggie Frauen hier bestenfalls in Kleinstrollen wie beispielsweise als Prostituierte oder als Opfer auftauchen. Das ist richtig, eben aber ein gewichtiger Punkt der Show: Die Niedertracht einer von Männern dominierten Gesellschaft verbildlichen. Männer in ihrer oft unappetitlichen Moral-Vorstellung, die sie sich schönreden müssen, zeigen. Männer, die jeden, alles und sich selbst in den Abgrund reißen. Als Rust in Episode 4 den Bikerclub-Hangout infiltriert, wird zur Untermalung nicht ganz zufällig der Melvins-Song "A History Of Bad Men" zu hören sein.
HBO
Natürlich will das alles nicht bedeuten, es sei in "True Detective" kein Plot vorhanden: All die schöne Charakterstudie und zwei hervorragende Schauspieler allein erwecken nicht das Getöse und das Verkultungspotenzial, das spätestens ab Episode 3 in fast schon "Lost"-haftem Ausmaße im Netz rumorte. Trigger für ein in diesem Maße lange nicht gesehenes Aufsehen auf allen Kanälen war das geschickt platzierte Motiv des nebulösen "Yellow King" und die begleitend eingeführte Idee der mythenumrankten Stadt "Carcosa". Der "Yellow King" – ist er der große Mastermind einer Mördersekte? Bloß ein Konzept? Oder doch der Betreiber der Asia-Fastfood-Snackbude, vor der sich Marty und Rust in Episode 3 Frittiertes in den Mund schieben und dabei im jovial-angepissten Schlagabtausch gegenseitig darüber beflegeln, was denn nun tatsächlich das ausschlaggebende, sie unterscheidende Charaktermerkmal sei?
Gut dokumentiert greift das Motiv "Yellow King" aus "True Detective" auf die real existierende Kurzgeschichtensammlung "The King in Yellow" von Robert W. Chambers aus dem Jahr 1895 zurück: Eine Sammlung von Gruselgeschichten, die lose durch die wiederholte Erwähnung des fiktionalen, also speziell für jenes Buch ersonnenen Theaterstücks "The King in Yellow" miteinander verwoben sind. Im Buch "The King In Yellow" ist vom erfundenen Theaterstück "The King In Yellow" gut geheimniskrämernd nur in kurzen Auszügen zu lesen – und selbst die stammen bloß aus dem ersten Akt des Stücks. Akt Zwei nämlich, so geht die überlieferte Legende, beinhalte nicht fassbare und unerträgliche Wahrheiten über den Kosmos und die Menschheit, so gewaltig, dass jeder Leser dadurch in den Wahnsinn getrieben würde.
Das Motiv des "King In Yellow" und auch jenes der Stadt Carcosa (die sich Autor Robert W. Chambers wiederum selbst aus einer Story von Ambrose Pierce geborgt hatte) lieferten im Laufe der Jahrzehnte Futter für nachfolgende Autoren und tauchen so da und dort gerne explizit oder bloß auch als kurze Anspielung immer wieder in der Horror-/Fantasy-Literatur auf. Beispielsweise in dem erst 2012 erschienenen Sammelband "A Season in Carcosa" widmen sich in diversen Storys unterschiedliche Autoren einzig der Weiterführung des Mythos des "King In Yellow".
Bemerkenswert ist dabei, dass in "True Detective" die beiden Ermittler selbst den Konzepten "The Yellow King" und "Carcosa" nicht allzu viel Beachtung schenken: "Nutjob!" meint Marty bloß, als er und Rust in Episode 2 im Tagebuch des ersten (gefundenen) Opfers das erste Mal auf diese unheilverheißenden – und mit soviel potenzieller Bedeutung geladenen – Begriffe stoßen. Für die beiden sind sie kaum mehr als konfuse Gedanken und Kritzeleien einer Frau, die von den Drogen um den Verstand gebracht worden ist. "The King In Yellow" und "Carcosa", sicherlich nicht die essenziellsten Einträge der Literaturgeschichte, aber eben nicht gänzlich unbekannt oder superobskur, und die damit verknüpfte Mythologie scheinen in der Realität von "True Detective" nicht zu existieren.
Diese auf historisch verbrieften und eindeutig zu identifizierenden Texten beruhenden Kennworte und die Symbolik – nicht zu vergessen auch die immer wieder, beispielsweise in Zeichnungen, Tattoos, auftauchenden "Black Stars" – werden so präsentiert, als wären sie eine Art geheimer Handshake, den sich die Mitglieder des mörderischen Kults in besonders zugedröhnter Stunde selbst ausgedacht haben.
Während sich in der echten Welt die Kurzgeschichtensammlung "The King In Yellow" von Robert W. Chambers während der kurzen Laufzeit von "True Detective" zu einem Bestseller entwickelt hat, wissen Marty und Rust von all dem nichts. Phantastische Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts dürfte nicht zur Grundausbildung eines Cops in Louisiana gehören – man hätte aber vielleicht einmal im Internet nachschauen können. Oder, im Jahr 1995, einen kauzigen Literaturprofessor dazu befragen, was denn dieses "Carcosa" sein könnte. Oder bevorzugt im Halbdunkel durch morsche Bibliotheken streifen und alte Schinken durchforsten.
HBO
Was spätestens seit David Finchers "Se7en" scheinbar unverzichtbares Element eines jeden Serienkiller-Films mit behauptetem mythologischen Unterbau ist – das Buddeln in literarischen Archiven, die explizite Ausweisung von Bibelstellen, das großspurige Daherphilosphieren unter ausdrücklicher Nennung der Quellen – fehlt bei "True Detective". Anderswo muss ein angeblich hyperintelligenter Mörder seine Taten durch die Tatsache aufladen, dass Nietzsche doch dieses und jenes gesagt hätte. Und er muss es den Cops und dem Publikum auch ausführlich erklären, dass Nietzsche dieses und jenes gesagt hätte.
Das ist kein Fehler von "True Detective". Die Show weiß, dass die Geschichte beim Zuseher fertig gemacht wird. Die Bedeutung – oder eine Vermutung, dass es so etwas geben könnte – liegt außerhalb. Kaum eine Show bisher hat so sehr so gut gewusst, dass das Internet existiert – ohne dass dieses jedoch in der Show selbst – abgesehen vielleicht für die Überprüfung von Steuerdaten – eine Rolle spielen würde. Auch so ein schönes Detail, das mit aller Kraft versucht die Show beiläufig ein bisschen seiner extremen Anspannung zu entladen und zu sagen: "Leute! Easy, easy".
Den entscheidenden Hinweis über den Aufenthaltsort des Täters finden unsere Helden recht beamtisch durch die Nachverfolgung einer öden Finanz-Transaktion am Rechner. Und nicht etwa mithilfe eines Details auf einem gigantischen, jahrhundertealten Schlachtengemälde im Louvre oder in den rückwärts gesprochenen Zauberversen einer blinden Voodoo-Priesterin. Müde sitzen Rust und Marty im Licht des Monitors in einem tristen und viel zu leeren Büro zwischen Aktenordnern und leisten topgefährliche Arbeit, wie einst Denzel Washington, Tom Cruise und Sandra Bullock (oder Matthew McConaughey, "Die Jury") in einem John-Grisham-Film.
Dadurch, dass die Show die Mythologie des "Yellow King" selbst kaum hochkocht, stiehlt sie sich natürlich aus der Verantwortung, mit einer "Lösung" mit überraschendem, verwirrendem und dabei komplett logischem Twist um die Ecke kommen zu müssen, die auch noch den letzten Literatur-Detektiv und Fantasy-Nerd zufriedenstellen würde.
Gleichzeitig wirft "True Detective" in vollem Bewusstsein so viele Köder (was hat es mit der ständigen Angel-Metaphorik auf sich?) ins Publikum aus, so viele visuelle Clues, Referenzen, kleine am äußersten Bildschirmrand für eine Sekunde befestigte Kinderkraxeleien, dass die Verantwortlichen das Generieren von Wahnsinnstheorien und das Herbeipostulieren weirder Zusammenhänge in aller Ruhe getrost der Außenwelt überlassen können. Davon, dass von Seiten der Show anonym und inoffiziell in relevanten Foren komische und hanebüchene Ideen, Beobachtungen und Bemerkungen zu den Geschehnissen auf dem Bildschirm lanciert wurden, um den Hype und die Diskussion anzuheizen, ist aber auszugehen. Selten war die Rezeption so überdeutlich elementarer Bestandteil des Kunstwerks.
Die true detectives Hart und Cohle stellen ihre Ermittlungen in staubigen Aktenordnern im Polizeiarchiv an, nicht in der Horror-Abteilung im Bücherladen. Um Informationen zu erschwindeln, gibt Marty in einer Szene vor, Autor werden zu wollen, und zwar Autor von "True Crime"-Büchern. Der belesene Rust liest vornehmlich – aus dem Büchersortiment in seiner karg möblierten Wohnung zu schließen gar: ausschließlich – Kriminal-Psychologisches und Philosophie.
Der Schriftsteller Thomas Ligotti ist vor allem für seine belletristischen Beiträge zum Genre "Horror" und dessen Nebenfelder bekannt, sein philosophisches – und sprechend betiteltes – Werk "The Conspiracy Against The Human Race" aber darf als einer der Basistexte für "True Detective“ gesehen werden. Vor allem für die Charakterzeichnung des Rust Cohle. Autor Nic Pizzolatto hat Ligottis Einfluss auf "True Detective" unumwunden zu Protokoll gebracht; Rusts nihilistische, alles menschliche Leben verneinende Monologe scheinen ihm teils wie wortwörtlich aus Ligottis Buch in den Mund gepflanzt.
Auch in diesem Falle wird in der Show Ligotti nicht als Urheber genannt, gleichzeitig haben Rusts Ausführungen immer die Aura des Angelesenen. Er mag verbittert und durch einen schweren Schicksalsschlag zerstört sein – es sind nicht seine Gedanken, mit denen er Freund Marty bedeutungsschwanger in den Ohren liegt. Es liegt sehr viel Arroganz in diesem gar bitteren Antihelden, der sich doch auch so gerne selbst beim Reden zuhört. "For a guy who sees no point in existence, you sure do fret about it a lot" meint Marty zu Rust, als dieser in Episode 3, während des Besuchs bei Wanderpriester Joel Theriot, alle Religion an sich als eskapistischen Unfug verhöhnt, sich gleichzeitig aber selbst eine Zauber-Philosophie zusammenfantasiert – um den Schmerz zu betäuben.
HBO
Dass nun das Finale (das, was auch immer in kommenden Seasons folgen mag, diesen Handlungsstrang abschließt) von Staffel 1 ein optimistisches, gar schon komödiantisches Ende findet, muss als eben doch überraschender Plot-Twist gelesen werden. Rust muss sich nicht – wie es zu erwarten gewesen wäre – zum Heil der gesamten Welt symbolisch opfern, sondern ist nach einer Nahtoderfahrung gleich zum Punkt der Wiederauferstehung übergegangen. Als er sich im Krankenbett sitzend mit zerzaustem Bart und langem und – zum ersten Mal in "True Detective" – offenem Haar so in der Spiegelung des Fensters beeindruckt selbst betrachtet, kann auch er nicht anders, als ein paar bedeutsame Augenblicke lang an Jesus zu denken.
Man kann dieser mit aller denkbarer Finesse gebauten Show, die über acht Stunden Spieldauer kein Gramm Fett transportiert, die fallweise von einer Episode zur nächsten für ganz und gar neu strahlende, nervenaufreibende, vor Druck kaum verkraftbare 60 Minuten Tempo und Stimmung komplett neu aufstellt und nebenbei mit dem jetzt schon legendären (ja, es ist schon auch ein bisschen ein ostentatives Muskelspiel, but, sure, why not?) 6-minütigen Tracking Shot am Ende von Episode 4 die beste Sequenz des Fernsehjahres zu verantworten hat, deshalb ein bisschen böse sein. Weil hier alle schwarze Philosophie der Verzweiflung als bloße Staffage ausgehebelt wird. Weil sie zu smart zu viel heraufbeschwört und es sich mit der Ausfahrt gar leicht macht.
Weil dann am Ende doch ein pseudoreligiöser Weg ins Licht führen muss. Das ist das größere Risiko. Genauso kann man mit dem Ende der ersten Staffel von "True Detective" einer Wandlung und Besserwerdung zweier Gestrauchelter beiwohnen. Das versöhnliche Ende ist das Ende, das schwerer zu ertragen ist. Für eine Show wie "True Detective" liegt in einem dergestalt altmodischen und zukunftsfrohen Ende der wahre – also auch prickelnde – Skandal.
Die Botschaft, dass dann vielleicht doch noch jeder Verbeulte irgendwie seinen Frieden – alleine oder mit einem anderen verkorksten Typen – finden können wird, mag ein wohliges Licht leuchten wollen, ist in "True Detective" erfreulicherweise aber von Skepsis behaftet. Einsam werden sie - bei allem momentanen Glücksgefühl – später genauso noch sein. Und an ihrem Ballast nagen. Mit großer Fürsorglichkeit wird im Finale der Moment beleuchtet, in dem Marty Hart Kollegen Rust Cohle zum ersten Mal als "My Friend" bezeichnet. Gemeinsam humpeln und rollen sie davon in ein vermeintlich schöneres Morgen. Und alles was davor war, mag gar nicht so viel bedeutet haben.