Erstellt am: 22. 3. 2013 - 18:10 Uhr
Tits 'n' Ass
In einer schlechteren Welt wäre Harmony Korine vielleicht VICE-Redakteur (Ich liebe euch eh alle!) geworden. Oder schon tot. Wirklich viel hätte dazu nicht mehr gefehlt. Ende der 90er-Jahre, als seine Ästhetik der Selbstentäußerung und Seelenverschwendung nachdrücklich für salonfähig erklärt worden ist, versumpft er vollends in der Drogensucht: mit seinem Spezi, dem vergleichbar entrückten britischen Magier David Blaine, versucht Korine, sich mit Freiwilligen auf der Straße zu prügeln.
Fight Harm! soll das Filmprojekt heißen, das abgebrochen werden muss, nachdem der zu Brei geklopfte Regisseur ins Krankenhaus eingeliefert wird. Eine räudige Glamour-Packung wie den nun durch unsere Kinos pumpenden Spring Breakers hätte damals niemand mehr für möglich gehalten. Wobei Glamour in Bezug auf diesen Film natürlich nicht stimmt.
Constantin
Korine und sein belgischer Kameramann Benoît Debie, der bereits Hirnwindungsmassagen wie Gaspar Noés invertierten Rape-Revenge-Albtraum Irréversible und den metaphysischen Tropen-Schocker Vinyan gedreht hat, arbeiten hart daran, alle verfügbaren Oberflächen des zeitgenössischen Pop-Geschäfts so bruchlos wie nur irgend möglich auf die Leinwand zu übertragen. Schon die unfassbare Eröffnungsmontage, ein Slo-Mo-Bewusstseinsstrom gebaut aus wippenden Hinter- und schaukelnden Vorderteilen, präsentiert als veritables Buffet der kapitalistischen Körper und serviert mit fetter Skrillex-Musiksoße, lässt einen die Augen weit aufreißen.
Constantin
Hyper-Pop
Was da über die Leinwand flirrt, zuckt und spritzt ist nicht mehr und nicht weniger als das Manifest der Pop-Industrie, angezogen als möglichst attraktives und geiles Pop-Produkt, das die Anti-Establishment- und Underground-Beschaffenheit von Harmony Korine - einem Radikalkünstler - in den Mainstream einschleust. In Social Networks mehren sich aktuell zwar schon Beschwerden von jugendlichen, meist männlichen Partyschweinen, die ein unreflektiert-hedonistisches Abfeiern ihrer Teilzeit-Exzesskultur im Zuschnitt einer korrupten Komödie wie Projekt X erwartet haben und stattdessen von inhaltlichen Ellipsen, exzentrischer Stilisierung, Wiederholungsschleifen und einer unerhörten Verschmelzung von High- und Low-Culture niedergebügelt worden sind.
Spring Breakers wird sein Publikum dennoch finden. Nicht zuletzt, da mit High School Musical-Absolventin Selena Gomez und Disney Channel-Veteranin Vanessa Hudgens zwei Teenie-Pop-Ikonen Eingang in Harmony Korines Universum gefunden haben - und ein eingebautes Publikum mitbringen. Und dann ist da ja auch Jour James Franco, der als Gangster-Rapper Alien mit Cornrows auf dem Kopf und Fake-Ghetto-Speak für einige Wow-Effekte sorgt.
It's Britney, bitches!
Baut man "Spring Breakers" auseinander, also analytisch, oder denkt man länger darüber nach - was man eigentlich nicht machen dürfte - dann bemerkt man schnell, dass Korine seinen Film nicht nur, aber vor allem auf einer Künstlerin aufgebaut hat, die wie keine zweite die der Pop- und Event-Industrie immanente Tragik zum Ausdruck gebracht hat: Britney Spears. James Franco hat schon in diversen Interviews darauf hingewiesen, dass es "Britney, Britney und nochmals Britney" war, womit sie sich alle auf den Dreh eingestimmt oder eingepeitscht haben.
theblemish.com
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Die Referenzen sind zahlreich: Gomez und Hudgens wurden wie Spears vom Maus-Konzern hochgezüchtet als perfekte Performerinnen, die maschinengleich funktionieren, auf der Bühne, unter Scheinwerfern, im Blitzlicht. Zweimal werden sogar Spears-Songs gesungen: einmal "Hit Me Baby One More Time" von den Girls selbst und dann "Everytime" von Alien. Die Korruption des grundamerikanischen Wertekanons durch die Ruhmgesellschaft - personifiziert von Francos predigendem Rapper - und das Aufgehen der Spring Break-Girls in einem alternativen Lebenskonzept: all das lässt sich locker und lässig als Paraphrase von Britney Spears‘ Auf und Nieder lesen.
Constantin
Utopia mit Neon-Bikinis
So reizvoll all das ist, sollte man dabei allerdings nicht auf die generelle Stoßrichtung von Harmony Korines Kino vergessen: bereits sein Regiedebüt Gummo (1997) konzentriert sich auf Außenseiter, die jenseits der Gesellschaft, jenseits von Moral existieren. Am deutlichsten wird die alternative Gesellschaftsvision, die anti-soziale Utopie dieses Regisseurs in Trash Humpers (2010): der auf VHS aufgenommene Film begleitet eine Truppe von Freaks bei ihren gesellschaftsschädigenden Aktivitäten. Sie ficken Mülltonnen in Suburbia-Hinterhöfen, hauen Fernsehgeräte kaputt und begehen Morde. All das ohne Grund, ohne Reue, ohne Schuldgefühl.
Auch die Spring Breakers kommen an diesem Ort an. Sie gehen auf in den Oberflächen, werden zu Oberflächen, also Pop-Figuren. Dieser Film jedenfalls leuchtet wie kein zweiter durch die Welt. Ganz egal, was sonst noch passiert in diesem Kino-Jahr, an "Spring Breakers" wird nichts mehr heran reichen.
Gewinnt den Soundtrack zu Spring Breakers
Wir verlosen acht Soundtrack-CDs zum Film "Spring Breakers" unter all jenen, die folgende Frage richtig beantworten können:
Welcher Regisseur hat bereits zwei mal in Korine-Filmen mitgespielt?
Die richtige Antwort: Werner Herzog