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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

30. 11. 2012 - 14:36

Sanftes Töten auf Bestellung

In „Killing Them Softly“ porträtiert Ausnahmeregisseur Andrew Dominik erneut mörderische Männer. Die Grenzen zwischen Kriminalität und Kapitalismus verschwimmen dabei vollends.

Wenn ein Filmemacher, den man schon länger verfolgt und schätzt, eine Liste mit seinem zehn Lieblingswerken veröffentlicht, ist man natürlich gespannt. Überschneidet sich die Aufzählung der Leinwand-Favoriten zum Großteil mit den eigenen Top-Ten, dann wird einem allerdings richtig warm ums Herz.

„Apocalypse Now“, „Badlands“, „Barry Lyndon“, „Blue Velvet“, „Marnie“, „Mulholland Drive“, “The Night Of The Hunter“, „Raging Bull“, „Sunset Boulevard“ und „The Tenant“: Die Streifen, die Andrew Dominik auswählte, als ihn das britische Magazin „Sight & Sound“ nach seinen Alltime-Lieblingen befragte, charakterisieren ein Filmverständnis, dem ich nur euphorisch zustimmen kann.

Auch in seinen eigenen Arbeiten steht der 45jährige Australier für ein Kino, in dem perfektes Genrehandwerk und künstlerische Ambition gänzlich unangestrengt verschmelzen, in dem eindringliche Bilder ebenso regieren wie extreme Emotionen und durchgeknallte Antihelden stets im Mittelpunkt stehen. Ich sag’s euch, Andrew Dominik, he's da' man.

Andrew Dominik

Thimfilm

It’s Chopping Time

Im Jahr 2000 versucht sich der Filmstudent aus Melbourne erstmals seinen Ikonen wie Martin Scorsese oder Stanley Kubrick anzunähern. Mit einem Mörder-Movie weit abseits ausgetretener True-Crime-Klischees. "Chopper" hebelt einerseits die Magengrube aus und umgeht zum anderen mit rabenschwarzem Humor simple Mystifizierungen.

Andrew Domink: "Making movies is hard. If you can avoid working you should do it. Ridley Scott can't take more than two weeks between movies or he starts going bananas. I don't understand those guys at all. You have to get up at five o'clock in the morning, it's political, and you feel like you're failing 90 per cent of the time. It's a tough job."

Andrew Dominiks Streifen basiert auf der Bestseller-Autobiografie des 19-fachen Mörders Mark "Chopper" Read und zeichnet dessen Karriere innerhalb und außerhalb des Knasts nach. In grellen Szenen entlädt sich das Psychogramm eines Killers, der sich zum größten Verbrecher Australiens hochstilisieren will und bei aller Dumpfheit tatsächlich mit seinem Charisma fesselt. Diese Zwiespältigkeit und die zynische Tatsache, dass jemand, der erst schießt und dann redet oder sich eiskalt selbst beide Ohren abschneidet, Celebrity Status erhält, fängt Dominik ein: mit Brutalität und abgründiger Lächerlichkeit.

Für die Hauptrolle holt sich der frühere Musikvideo-Regisseur einen australischen Komiker, dem zuvor niemand eine solche Rolle zutraut. Eric Bana spielt seinen Part beklemmend bravourös und startet eine beeindruckende Hollywoodkarriere. Den Soundtrack liefert Nick-Cave-Mitmusiker Mick Harvey, der auch schon andere großartige Filme australischer Herkunft vertonte.

Chopper

Beyond Entertainment

Outlaw-Drama in Zeitlupe

Nicht nur Eric Bana bekommt nach „Chopper“ attraktive Angebote, auch der Mann im Regiesessel wird plötzlich von amerikanischen Produzenten kontaktiert. Andrew Dominik schlägt allerdings alle Anfragen in Richtung Blockbuster aus und entscheidet sich für ein diffiziles Projekt.

„The Assassination Of Jesse James By The Coward Robert Ford“ heißt der Neo-Western, der viele Kritiker begeistert, aber leider 2007 an den Kinokassen floppt. Schuld dürfte wohl der elegische Tonfall sein, den Dominik nach seinem mit manischer Energie aufgeladenen Vorgängerfilm anschlägt.

Dabei blitzt in dem Zeitlupen-Werk die wirkliche Meisterschaft des Filmemachers auf. In bewusst bedächtigen Szenen dringt „The Assassination Of Jesse James“ unter die Oberfläche der amerikanischen Mythenwelt, zitiert vorsichtig den genialen Sam Peckinpah (der mir in Dominiks Liste übrigens abgeht) und geht doch ganz eigene Wege. Den melancholisch einlullenden Score, der ganz zentral für die schlafwandlerische Stimmung ist, steuert diesmal Nick Cave himself bei, der auch einen Kurzauftritt im Film absolviert.

Großartig und mir fast lieber als seine letzten Arbeiten mit den Bad Seeds sind natürlich auch Nick Caves Soundtracks zu "The Proposition" und "The Road", beide im Verbund mit Warren Ellis komponiert.

In den Hauptrollen des Outlaw-Psychodramas faszinieren Casey Affleck und Brad Pitt als ungleiche Gegenspieler. Mit dem letzteren Superstar und Produzenten verbindet den Regisseur nach dem Film eine Freundschaft, die ihm trotz ausbleibenden Erfolg die Laufbahn sichert.

The Assassination Of Jesse James

Warner Bros

Kleine Morde unter Freunden

Auch in „Killing Them Softly“ spielt Brad Pitt, inmitten eines umwerfenden Ensembles, erneut die Hauptrolle, wieder geht es um Ganoven und Gewalt, ohne dass die einschlägigen Knöpfe des Actionkinos gedrückt werden.

Einen Film über das Geld wollte Andrew Dominik drehen, frei nach einer Vorlage des Hard-Boiled-Autors George V. Higgins, über schmutzige Geschäfte und korrupte Transaktionen. Die verschachtelte, aber im Grunde äußerst minimalistische Story spielt zwar in der Unterwelt von New Orleans, im Grunde handelt der Thriller aber von der Wirtschaftskrise und den eiskalten Männern dahinter.

Ganz bewusst siedelte der Regisseur den Film im Jahr 2008 an, pessimistische Börsenanalysen und die Wahlkampfreden Barak Obamas kommentieren das Geschehen wie ein griechischer Chor. Die Kamera begleitet zunächst zwei verwahrloste Junggauner (fantastisch: Scoot McNairy, Ben Mendelsohn), die durch New Orleans taumeln, dass nach Katrina einem Kriegsgebiet gleicht.

Auftragskiller Jackie (Brad Pitt): „They cry, they plead, they beg, they piss themselves, they cry for their mothers. It gets embarrassing. I like to kill 'em softly. From a distance.“

Gierig nach schnellen Kicks kommt ihnen ein dubioser Auftrag gerade recht. Frankie und Russell sollen eine illegale Pokerrunde überfallen und die teilnehmenden Mafiosi um ihr Geld erleichtern. Der Überfall gelingt, das Vertrauen der Gangster in die regelmäßig stattfindenden Kartenspiele ist dahin. Ein Auftragskiller (Brad Pitt) versucht die Ordnung wieder herzustellen und begibt sich auf die Spur der beiden Burschen.

Killing Them Softly

Thimfilm

Der amerikanische Albtraum

Schier endlose Dialoge unter knochenharten Mafiosi. Schwere Kanonen, schwarze Lederjacken, zurückgeklatschte Frisuren. „Killing Them Softly“ hätte einer dieser übercoolen Gangsterfilme werden können, im Gefolge von Quentin Tarantino oder Guy Ritchie. Aber das braucht niemand mehr wirklich.

Der Ausnahmeregisseur Andrew Dominik benutzt stattdessen die Stilistik und die einschlägigen Gesichter des Genres (Ray Liotta! James Gandolfini!) für eine düster dahinschleichende Meditation über den Kapitalismus. Die Grenzen zwischen organisiertem Verbrechen und dem Bank(un-)wesen verschwimmen vollends.

Eine spröde Auseinandersetzung mit dem Niedergang Amerikas ist „Killing Them Softly“ deswegen noch lange nicht geworden. Denn abgesehen von den superen Schauspielern ist der Streifen allein schon auf visueller und akustischer Ebene ein Traum.

Was ich mir von Andrew Dominik wünschen würde: Einen Film, in dem Frauen viel mehr als nur Randfiguren sind. Mit seinem geplanten Marilyn-Monroe-Biopic „Blonde“ könnte das in Erfüllung gehen. Naomi Watts soll die Hauptrolle spielen.

Das Wechselspiel aus starren Einstellungen und hypnotischen Gewaltexplosionen, grandios ausgeleuchtet und von einem atemberaubenden Sounddesign unterstützt, wirkt stellenweise wie eine Kollaboration von David Fincher und Ulrich Seidl. Ein komischer, trauriger, eleganter und abgefuckter Film, ein kleines brutales Meisterwerk.

Killing Them Softly

Thimfilm