Erstellt am: 27. 2. 2011 - 12:55 Uhr
Durch weites Land an Gottes Hand
Die Coen-Brüder setzen ihre Macht als Regisseure nicht selten mit Gott gleich. Keiner ist in ihrem Kosmos sicher, jeder kann sterben, jederzeit etwas Unvorhergesehenes eintreten. Ihr Gott ist das Chaos, ist der Zufall, ist die Unberechenbarkeit. Mit dramaturgisch raffiniert entworfenen Geschichten haben sie wenig am Hut: ihre Arbeiten beginnen mit den Figuren, auch mit den Schauspielern, die im Verlauf der mittlerweile fast dreißigjährigen Karriere der Coens verwachsen sind mit der Ätsch Bätsch-Attitude ihres Kinos. Das sind Leute wie Joel Coen-Ehefrau Frances McDormand, George Clooney und natürlich Jeff Bridges. Dem Charakterdarsteller verschaffen sie Ende der 90er-Jahre ein legendäres Comeback, indem sie ihm den Edel-Slacker „The Big Lebowski“ alias „The Dude“ auf den Leib schreiben.
Polygram Filmed Entertainment
Jetzt haben die Coens Bridges ein weiteres Mal verpflichtet: im zehnfach Oscar-nominierten Western True Grit tritt der „Dude“ in die Fußstapfen des „Duke“. Gemeint ist John Wayne, der bereits 1969 in Henry Hathaways erster Verfilmung des Stoffs beweisen musste, dass er echte Schneid' besitzt: zu einer Zeit also, in der das Genre des klassischen Western bereits am Untergehen war, von den stilistisch und moralisch extremeren Italowestern abgelöst worden ist. Nicht wenige Filme von Joel und Ethan Coen beziehen sich auf Bücher oder andere Filme, überhaupt sind ihre Arbeiten Referenz-Universen: weniger leidenschaftlich und geekig wie Quentin Tarantino, ist der Coen-Planet dennoch vollgesogen mit Liebhabereien und Querverweisen, mit Tributen und Kniefällen.
In Portis' Head
„True Grit“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Autors Charles Portis. Ein ehemaliger Marine-Soldat im Koreakrieg, ist Portis jemand, der die Americana, also das mythische Fundament der amerikanischen Folklore, gleichzeitig umarmt und von sich weg stößt. Seine Romane sind per se widersprüchlich, sind klassisch und künden gleichzeitig schon von einer Postklassik, die sich ironisch distanziert von der Absolutheit der Vergangenheit. Insofern ist „True Grit“ Seelenfutter für die Coen-Brüder, erscheint auf den ersten Blick wie für sie geschrieben.
UIP
Insofern ist es auch nicht eigenartig, dass sich Jeff Bridges' Physis und Phonetik schnell einpassen lässt in das Western-Korsett, dass er als einäugiger, grantiger U.S. Marshal Rooster Cogburn fest im Sattel sitzt – und dabei aussieht, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Schon allein für seine lakonisch durch den Bart gepressten Dialoge lohnt sich der Kinobesuch. An seiner Seite steht die 14-jährige Mattie Ross (Hailee Steinfeld). Die Halbwaise will den Mörder ihres Vaters, den steckbrieflich gesuchten Tom Chaney (Josh Brolin), dingfest machen und heuert dafür Rooster Cogburn an. Er soll gemeinsam mit ihr ins Indianergebiet reiten, um Chaney und seine Halsabschneiderbande auszuheben. Cogburn ziert sich zuerst, akzeptiert aber schließlich das Angebot der jungen Frau. Ihrer Partie schließt sich noch der naive Texas Ranger LaBoeuf (ein großartiger Matt Damon) an: eine ausgesprochen unorthodoxe Schicksalsgemeinschaft, die durch die aufregend aufbereiteten, gegen Klischees gebürsteten Bildräume von Kameramann Roger Deakins reitet.
UIP
The Day of the Hunter
Plotpunkte und gebräuchliche Dramaturgien interessieren die Coens nicht: auch „True Grit“ wabert ewig vor sich hin, konzentriert sich auf die langsamen, zaghaften und durchaus komischen Annäherungen zwischen dem von allen Idealen abgefallenen Cogburn und der Bibelzitate rezitierenden protestantisch-presbyterianischen Mattie. Eingeflochten in die täuschend handlungslose Geschichte ist allerdings ein Untergrundbrummen, eine Vorahnung, dass dieser Trek durch die Wildnis lebensverändernd enden wird.
Matties musikalisches Thema ist immerhin das Gospel-Lied „Leaning on the Everlasting Arms“, das von Komponist Carter Burwell in vielerlei Variationen und Färbungen eingesetzt wird, das aber vor allem eins bedeutet: ein Andocken von „True Grit“ an eine der mythischsten Aufbäumungen im amerikanischen Kino überhaupt, Charles Laughtons „The Night of the Hunter“. Darin gibt Robert Mitchum einen Kriminellen, der an einer Schlüsselstelle des Edel-Thrillers gemeinsam mit der von ihm bedrängten Lillian Gish das bekannte Gospellied singt. Gott ist jedenfalls Auslegungssache: im letzten Drittel von „True Grit“ stürzt Mattie dann gar rücklings in eine Schlangengrube, bevor der für die Coens untypisch melancholische Epilog den Wilden Westen endgültig unter sich begräbt.
UIP
Es ist erstaunlich, wie unaufdringlich die Bibel-Metaphern durch diesen Film geistern, wie essenziell und beiläufig „True Grit“ gleichzeitig wirkt. Fast scheint es so, als wollten die Coens ihre harte Geschichte nicht zusätzlich beschweren, als wollten sie den komödiantischen Aspekt durch die Western-Kunstwörter und die Prägnanz der Figuren heraus stellen, nicht den grimmigen Unterboden, aus dem sie gewachsen sind. Empfehlenswert ist der Film jedenfalls: für mich persönlich ist es der beste, weil am wenigsten ironisch zerklüftete Coen-Film seit „The Big Lebowski“. Kann aber auch sein, dass meine Zuneigung zu diesen beiden Filmen an der Mitwirkung von Jeff Bridges liegt.