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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

18. 6. 2011 - 17:32

All you need is love

Natur, Geburt, Leben, Tod: Mit "The Tree Of Life" nähert sich Ausnahmeregisseur Terrence Malick den ganz großen Themen. Eine persönliche Verbeugung.

Nichts ist leichter als diesen Film mit Häme zu überschütten, auszulachen oder schlicht als religiös gefärbten Irrweg einer einstigen Cineasten-Ikone abzulehnen. Schließlich wagt sich Terrence Malick mit "The Tree Of Life" an Bereiche heran, die wir in unserem zynischem Alltag höchstens noch im Rahmen philosophischer Diskussionsrunden im Spät-TV an uns heranlassen.

Ich rede vom Kreislauf des Lebens, vom abgetrennten Bezug des Menschen zur Natur, von unserer Position im Universum, du liebe Güte, vom Sinn unserer winzig kleinen Existenzen.

Einige Bekannte, deren Meinung ich grundsätzlich schätze, haben mir schlüssig erklärt, warum die Assoziationen Terrence Malicks zu diesen Themen sich bloß in den Reigen pseudospiritueller Ratgeber, christlicher Prediger und abgeschmackter Eso-Workshops einreihen.

The Tree Of Life

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Diesen spöttelnden Stimmen, die auch nach der Cannes-Premiere des Films laut wurden, stehen aber weitaus dringlichere, physische Empfindungen meinerseits gegenüber.

Herzklopfen, Ergriffenheit, Tränen im Vorführsaal, völlige Betäubtheit beim Taumeln ins Freie danach. Das Gefühl, echtes Kino gesehen zu haben, wo Licht, Ton, Sprachfetzen und Musik zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Und wo gleichzeitig, in jeder Sekunde, der Bezug zur echten Welt, außerhalb der zweieinhalbstündigen Eskapismuserfahrung, schmerzhaft bewusst wird.

Denn "The Tree Of Life" hat mich vielleicht auch deswegen so erwischt, weil eben beste Freunde derzeit in Spitälern an Schläuche angeschlossen liegen, andere sich erst vor kurzem von schweren Operationen erholten, weil geliebte ältere Menschen gerade stolpern und stürzen und gleichzeitig hochverehrte Frauen im neunten Schwangerschaftsmonat sind und in mir die gleichzeitige Konfrontation mit Geburt und Leiden und Todesängsten gerade höchst ambivalente Stimmungen auslöst.

The Tree Of Life

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Natürlich gibt es auf- und abgeklärte Positionen zu derartigen existentiellen Erfahrungen. Aber wenn uns die (Populär-)Kultur der letzten Dekade eine Errungenschaft hinterlassen hat, dann den Mut zum emotionalen Überschuss.

Ich meine die Gefahr, auch mal auf dem aalglatten Parket bestimmter tabuisierter Stilmittel auszurutschen, von der lange misstrauisch beäugten Euphorie, die sich auf dem Tanzboden endlich ihren Weg bahnte über das Bekenntnis zur zuckersüßen Pop-Melodie hin zur Serotonin-Trunkenheit vieler fantastischer Filme.

Nun haust wahrscheinlich niemand mehr von den Trends der Gegenwart abgeschirmter als der notorisch öffentlichkeitsscheue, mysteriöse 68-jährige Interviewverweigerer Terrence Malick. Trotzdem fügt sich das neue Werk des alten Mannes wunderbar in dieses Klima, in dem immer mehr jüngere Künstler die abgesicherten Gebiete der coolen Zurückhaltung verlassen.

The Tree Of Life

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Falsche Bescheidenheit fehlt "The Tree Of Life" gleich von Anfang an. Da steht ein Bibelzitat, flackern unwirkliche Lichterscheinungen auf, ertönt sakrale Musik.

Es folgen Ausschnitte einer ganz irdischen Familiengeschichte. Sonnendurchflutete Bilder zeigen eine texanische Kleinstadt in den späten fünziger Jahren, Brad Pitt ist der Vater, der seine drei Buben mit strenger Hand erzieht, Jessica Chastain die Mutter, die versucht mit Sanftheit entgegenzusteuern.

Einer der Burschen, gespielt vom faszinierenden Newcomer Hunter McCracken, wird später zu einem frustrierten Architekten heranwachsen, dem Sean Penn sein zerknautschtes Antlitz leiht. Dieser Abschnitt des Films, angesiedelt in einer anonymen Metropole, einem feindlichen Wirrwarr aus Glas und Stahl, ist mit seiner platten Zivilisationskritik der eindeutige Schwachpunkt von Malicks epischer Arbeit.

The Tree Of Life

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"The Tree of Life" verknüpft die diversen Stränge der Story aber bestenfalls lose, springt zwischen den Zeitebenen hin und her. In den Gänsehaut erregendsten Szenen spüren wir nochmal, der entfesselten Kamera Emmanuel Lubezkis folgend, zentralen Kindheitserfahrungen nach. Erstes Ertasten, Kennenlernen, Umarmen. Der Geruch sommerlicher Wiesen, Wasser von einem Schlauch trinken, Herumblödeln mit den Eltern, Endorphinschübe.

Die Natur spielt schon immer eine Hauptrolle in sämtlichen Filmen von Terrence Malick, nahe an der mystischen Verklärung. Hineingeworfen in die tiefgrünen Wälder ("Badlands"), scheinbar unberührte Dschungelgebiete ("The Thin Red Line"), in die Maisfelder in der blutroten Abenddämmerung ("Days Of Heaven") sind die Menschen mit ihren Fehlern und Schwächen und Bosheiten.

Stets ist es eine bestimmte Form der Unschuld, an der Malick mit sturer Naivität festhält, gepaart mit der omnipräsenten Bedrohung. Mindestens so eindringlich wie die Glückserfahrungen, die der Regisseur seinen kindlichen Protagonisten schenkt, sind die Einbrüche in das Kleinstadtgefüge. Ein verhafteter Verbrecher, der die bürgerliche Idylle durchbricht, ein Bub, der nach einem Feuerunfall ein Brandmal trägt, das Andere und Fremde wird mit offenen Kinderaugen bestaunt, der Tod eines der Brüder bringt schließlich einen dauerhaften Schatten über die Familie.

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Zwischen diesen privaten Fragmenten leistet sich Terrence Malick einen schwindlig machenden Ausflug ganz weit zurück. Wir sehen den Urknall, den Anfang des Universums, Fragmente der Evolution, CGI-Dinosaurier inbegriffen. Seit Stanley Kubricks "2001" hat sich niemand mehr so weit an den Ursprung des Seins herangetraut.

Und was ist nun der Sinn des Ganzen, wenn nicht des Lebens, dann zumindest dieses Films? "The Tree Of Life" liefert keine leicht dechiffrierbare Antwort.

Malick hat eine filmische Meditation geschaffen, die zwar mit den Überwältigungstrategien des Katholizismus und bestimmten esoterischen Motiven flirtet. Lässt man sich aber auch als Atheist, Agnostiker oder Skeptiker auf den Rausch der Kamera, der Klänge und Ideen ein, warten einfache und bestechende Wahrheiten. "The only way to be happy is to love", flüstert Jessica Chastains Figur in einem Off-Monolog, "unless you love, your life will flash by".

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Ich bin bald nach der Pressevorführung mit meiner Band in ein Studio mitten in der steirischen Einsamkeit gefahren, um dort ein Album aufzunehmen. Immer wieder spazierte ich dort alleine hinaus in die lauschige Sommernacht. Und beim Blick hinauf in den sternenklaren Himmel wurde mir nicht nur bewusst, dass meine Gedanken zur Unendlichkeit noch immer die eines ahnungslosen kleinen Buben sind.

Mir kamen auch die ganzen Tragödien in meinem Umfeld in den Sinn und dazwischen mischten sich Bilder aus "The Tree Of Life". "Someday we'll fall down and weep", meint Brad Pitts Vater einmal, "and we'll understand it all, all things.

Terrence Malick macht, was viele bedeutende Künstler im Augenblick auszeichnet: Er riskiert den ganz großen, maßlosen Kitsch. Und der findet in diesem Wagnis Momente simpler Weisheit und betäubender Schönheit.

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