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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

18. 2. 2014 - 15:23

Die wilden Siebziger

"Anchorman 2" und "American Hustle": Zwei Reisen in die Ära der wüsten Frisuren und wuchernden Bärte, der bröckelnden Fassaden und exzessiven Abstürze.

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Wenn sich die Revivalmaschine einmal zu drehen beginnt - und das tut sie dieser Tage immer rasanter - dann gehen Differenzierungen und Tatsachen bald unter. Da werden die Achtziger Jahres des vorigen Jahrhunderts schnell als neonverstrahlte Dekade der Schulterpolster, des Synthpop und der aufgetürmten Haare gefeiert oder verdammt. All die unzähligen Gegensätze und Zwischentöne, die wahren Errungenschaften und gesellschaftliche Einbrüche verschwinden im Retro-Rausch.

Die Siebziger dagegen, für viele Kinder der Gegenwart einfach verdammt lange her, wirken meist wie ein einziger Fiebertraum in Orange, Grün und Beige, in dem sich befreite Weiblein und Männlein mit Föhnwellen und Pornoschnauzern angockeln, zum Soundtrack kratzender Vinylschallplatten.

Anchorman 2 - The Legend continues

UPI

Anchorman 2 - The Legend continues

Tristesse und Dekadenz

Dabei gehörten zu den wirklichen siebziger Jahren weit mehr Grautöne und zwar optischer, akustischer und vor allen emotionaler Natur. Vor allem in der ersten Hälfte des Jahrzehnts machte sich, nach dem Scheitern der Sixties-Ideale, dem anhaltendem Vietnamkrieg, ersten gravierenden Ölpreisanstiegen und diversen Korruptionsskandalen eine Ernüchterung in der westlichen Welt breit.

Die Popkultur reagierte auf sehr unterschiedliche Weise. Zum einen spornte die paranoide Atmosphäre viele Künstler zu radikalen Kommentaren an. Die New Hollywood Ära erlaubte Regisseuren wie Martin Scorsese, Francis Ford Coppola oder Robert Altman unerhört desolate Stimmungsbefunde, der Neue Deutsche Film mit seinen defekten Utopien florierte. Auf der anderen Seite zelebrierten Glamrocker wie David Bowie oder auch der in schwarzes Leder gekleidete Lou Reed, passend zu Filmerfolgen wie "Cabaret", das Krisenklima als schwülstigen Tanz auf dem Vulkan.

Überhaupt mündete die Frustration oft in eine verschwitzte Gier. Pornografiegesetze wurden gelockert, die Konsumindustrie vermarktete den Spirit der sexuellen Revolution, die Drohung von AIDS war noch fern. Geld wurde auch von einstigen Vertretern der Gegenkultur ohne schlechtes Gewissen angehäuft und hinausgeworfen, angestachelt von Politikern, denen keiner mehr traute und härteren Drogen, die die Rücksichtslosigkeit puschten.

Zu den Achtzigern hin spitzte sich gesellschaftlich und künstlerisch alles zu. Disco und Punk passierten nahezu gleichzeitig, die einen ließen sich von der Dekadenz treiben, die anderen badeten in der Tristesse. Jetzt sind zwei höchst unterschiedliche US-Filme, die aber mit wüsten Frisuren, wuchernden Bärte, bröckelnden Fassaden und heftigen Abstürzen dann doch einiges gemeinsam haben, genau in dieser Phase angesiedelt.

American Hustle

Tobis Film

American Hustle

Grenzenlose Absurdität

Im schon etwas länger bei uns angelaufenem Klamaukprunkstück "Anchorman 2 – The Legend continues" treibt es Nachrichtensprecher Ron Burgundy vom heimatlichen San Diego in die Metropole New York. Man schreibt das Jahr 1979 und der Big Apple wirkt auf den Provinzdandy wie ein Glamourparadies. Ron, frisch getrennt von seiner Frau Veronica, durchstreift mit seinen alten Kollegen vom Newsteam aber nicht nur die Nachtclubs, um die neue Freizügigkeit zu genießen. Vor allem sollen die vier Freunde für den neuen 24-Stunden-Newskanal GNN eine Nachrichtenshow moderieren.

Regisseur Adam McKay und Produzent Judd Apatow bemühen sich mit dem erprobten Irrwitzteam Will Ferrell, Paul Rudd, David Koechner und Steve Carrell von der ersten Szene an, das bewährte "Anchorman"-Feeling aufkommen zu lassen. Tatsächlich braucht die Fortsetzung, die zehn Jahre auf sich warten ließ, aber ein gehöriges Weilchen, um wirklich in die Gänge zu kommen. Zu umwerfend war das Original mit seiner beispiellosen Schenkelklopf-Dichte, um nun direkt daran anzuknüpfen.

Wenn der Film dann aber seinen Groove gefunden hat, was in einem erhöhten Ausmaß den surrealen Eskapaden von Wetteransager Brick und dessen Techtelmechtel mit der fantastischen Kristen Wiig zu verdanken ist, dann entwickelt "Anchorman 2" einen unwiderstehlichen Sog.

Von grenzenloser Absurdität - siehe den Mittelteil, in dem Ron als blinder Eremit in einem Leuchtturm wohnt - bis zur diesmal wirklich bissigen Medienkritik am aufkeimenden Verblödungsfernsehen der Privatsender reicht das schillernde Spektrum. Wenn der bizarrste Showdown der jüngeren Kinogeschichte dann nahtlos in liebevoll rührenden Kitsch mündet, ist alles wieder gut im Land von Ron Burgundy.

Anchorman 2 - The Legend continues

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Anchorman 2 - The Legend continues

Weirdos with Hairdos

"American Hustle", der neue Film von David O. Russell, nähert sich den späten siebziger Jahren nicht ganz so grotesk. Überzogene Witze hagelt des dennoch und gewisse Geschmacksgrenzen werden schon von der Eröffnungssequenz an bewusst überschritten. Wir beobachten da minutiös, wie Irvin Rosenfeld (Christian Bale in unerwartet komischer Höchstform) seine Glatze mit ausgetüftelten Combover-Tricks zu kaschieren versucht und die Wampe in einen zu engen Anzug quetscht.

Die Szene steht für das zentrale Motiv des Films: Es geht um das perfekte Schummeln und Vortäuschen, egal ob das nun andere betrifft oder man sich permanent selbst anschwindelt. Ein Thema, dass sich übrigens auch durch die wichtigsten heutigen TV-Dramen zieht, von "Mad Men" bis "Breaking Bad". Tatsächlich wirkt Irvin Rosenfeld wie ein tollpatschiger Vorläufer der Antihelden aus diesen Serien, die sich bis zum Zusammenbruch hinter falschen Fassaden verstecken.

Ende der Siebziger genießt die Kunst des Lügens und Betrügens jedenfalls noch ungebrochen eine hohe Attraktivität. Weshalb die hübsche Sidney Prosser (Amy Adams) auch von dem beleibten Waschsalon-Besitzer Irvin äußerst fasziniert ist. Als partners in crime laufen die beiden schnell zur schlitzohrigen Höchstform auf und ziehen mit falschen Krediten naiven Schuldnern das Geld aus der Tasche.

Die kriminelle Idylle wird mehrfach gestört: Da ist Irvins junge und nicht ganz unkomplizierte Frau Rosalyn (Jennifer Lawrence reißt in einer kleineren Rolle beinahe den Film an sich), die sich einer Scheidung aggressiv verweigert. Und als der überambitionierte FBI-Agent DiMaso (Bradley Cooper) dem Gaunerpaar auf die Schliche kommt und sie als Lockvögel einsetzen will, wird die Situation erst recht kompliziert.

American Hustle

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Läuterung nach dem Absturz

Psychotisch angehauchte Ersatzfamilien und dsyfunktionale Ensemblestudien sind das Spezialgebiet von David O. Russell. Von "I Heart Huckabees" über "The Fighter" bis zum letztjährigen Triumph "Silver Linings Playbook" bewegte sich der amerikanische Ausnahmeregisseur dabei meist an der Grenzlinie von Komödie und Tragödie. In "American Hustle" schlägt das Pendel nun eindeutig auf die humoristische Seite um. Dabei drängt sich bei dem rabenschwarzen und fast dreistündigem Pointenfeuerwerk natürlich der Vergleich mit Martin Scorseses "Wolf of Wall Street" auf.

Während das Broker-Epos allerdings bewusst auf jeden Ansatz von Reue bei seinen geldgeilen Protagonisten verzichtet, geht Russell - ebenfalls einem wahren Fall folgend - in die andere Richtung. Seine Filme handeln stets von den Momenten der Läuterung nach dem Absturz, vom kleinen Katharsis-Glück und einer Romantik, die inmitten des Wahnsinns erblüht.

Hartgesottene Naturen mögen diese Tendenz belächeln, aber mich kriegt der US-Regisseur jedesmal mit seinen Erzählungen von letztlich liebenswürdigen Neurotikern. Was "American Hustle" tatsächlich stellenweise sanft schwächeln lässt, hat auch mit Martin Scorsese zu tun. Akribisch bis ins Detail stellt David O. Russell die filmische Sprache seines Vorbilds nach, bis die Hommage manchmal wie eine Kopie wirkt. Andererseits geht es im Film ja um Fälschungen und Nachahmungen. Und solange unter der Oberfläche aus Haar-Desastern, Schlaghosen und Glitzerkostümen ein dermaßen großes Herz schlägt wie "American Hustle", kann man ganz locker darüber hinwegsehen.

American Hustle

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