Erstellt am: 1. 3. 2013 - 10:41 Uhr
Meister-Stück
Nun sind also auch die beiden Schauspieltitanen im Mittelpunkt dieses Films leer ausgegangen. Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman wurden bei der Oscar-Verleihung ebenso ignoriert wie Regisseur und Autor Paul Thomas Anderson bereits bei den Nominierungen.
Große Hoffnungen dürfte sich der 42-jährige Ausnahmekünstler im Vorfeld für "The Master" allerdings nicht gemacht haben. Die Academy, man weiß das ja, bevorzugt gefällige Inszenierungen, am besten in Verbindung mit einer Agenda, einer klar formulierten Botschaft. Filme, die sich diesbezüglich versperren, mit Brüchen und Schwebezuständen arbeiten und in einer inhaltlichen Grauzone bewegen, haben kaum ein Chance, ausgezeichnet zu werden.
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Genau diesen Weg schlägt Paul Thomas Anderson aber seit einigen Jahren ein. "There Will Be Blood", dieses verschwitzte und zugleich eisige Epos über einen texanischen Ölbaron und seine religiöse Nemesis in Gestalt eines jungen Predigers, verweigerte schon eine eindeutige Parteinahme. "The Master", wieder ein Psychodrama rund um zwei antagonistische Männerfiguren, forciert nun geradezu das Widersprüchliche und bewusst Uneindeutige.
Es gibt keine Message, die man mit nach Hause nimmt, wenn man zweieinhalb Stunden lang im Kinosaal die Konfrontation des hypernervösen Ex-Soldaten Freddie Quell (Phoenix) mit dem manipulativen Sektengründer Lancaster Dodd (Hoffman) verfolgt hat. Keine Aussage wird einem eingehämmert. Kein eindeutiges Ziel verfolgt. Auch wenn Dodds Figur vom Scientology-Gründer L. Ron Hubbard inspiriert ist, hatte Anderson nie einen kritischen Aufdeckungsfilm im Sinn. "The Master" macht die Rätselhaftigkeit zum Programm.
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Der Nachhall von Pulp und Pop
Gleichzeitig – und das ist das Aufregende an Andersons Filmen – spürt man bei allem konsequenten Eigensinn immer noch seine tiefe Verwurzelung in der amerikanischen Popkultur durch. Frühere Werke wie "Hard Eight", Boogie Nights und "Magnolia" leben zu einem nicht geringen Teil von Neongeflacker und TV-Trashshows, falschem Las-Vegas-Glamour und abbröckelndem Hollywood-Glanz, schwülstigem Funk und melancholischem Indierock.
Aber auch in einer hermetischen, entschieden strengeren Arbeit wie "The Master", mit einem ganz anderen Look, ahnt man die Verlockungen des Pop und Pulp noch. Manchmal halt nur wie einen Song, den es aus der Ferne heranweht.
An diesem Punkt teilen sich die Fronten der Generationen und Faszinationen. Wer wie meine Wenigkeit die Coolness-Versprechungen der angloamerikanischen Kultur von Kindheit an aufgesogen hat, wird sich dem Schaffen von Paul Thomas Anderson immer näher fühlen als dem von, sagen wir mal, Michael Haneke.
Während der Österreicher (um einen Vergleich von johnleehookerelectro hier aus dem Forum aufzugreifen) nämlich felsenfest in einer Tradition aus europäischem Kunstkino, Hochliteratur und klassischer Musik verankert ist und dieser Kanon seine Filme bisweilen trostloser wirken lässt als die enthaltene Beschäftigung mit Tod und Gewalt, zehrt Anderson vom Kontrast zwischen High- und Low-Art, ist verliebt in beide Welten.
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Der Streber und die Ekstase
In dieser Besessenheit von zwei scheinbar konträren Richtungen liegt vielleicht überhaupt der Schlüssel zu Paul Thomas Andersons Filmen. Sicher ist der gebürtige Kalifornier kein irrlichternder régisseur maudit, sondern ein überambitionierter pingeliger Bastler. Was daran schlecht sein soll, werde ich allerdings nie verstehen.
Gegner von "The Master", die von prätentiöser Leere faseln und hinter dem Perfektionismus des Regisseurs einen bürgerlichen Musterschüler wittern, sollten sich wieder einmal "Boogie Nights" ansehen.
Ohne auch nur einen winzigen Hauch auf seine proletarischen Figuren herabzusehen, durchwandert Anderson 1997 in seinem flirrenden Durchbruchsstreifen die (Un-)Tiefen der kalifornischen Pornoindustrie. "Boogie Nights" ist ganz nahe an seinem desperatem Personal dran, an ihrer Haut, ihren Gesichtern, ihren Herzen. Wie Quentin Tarantino im durchaus vergleichbaren "Pulp Fiction" gibt sich der Regisseur damals noch den Verlockungen von Retro-Klamotten, fetzigen Soundtracks und hysterischen Schusswechseln hin. Paul Thomas Anderson benutzt die geilen Fassaden des Pop aber nur, um auf das wirkliche, tragische Leben zu verweisen, es gerade in seinen abgründigen Augenblicken zu feiern.
Natürlich, das machen die virtuosen Schnitte und packenden Kameraeinstellungen in "Boogie Night" deutlich, ist hier ein Musterschüler – der damals erst 27 Jahre alt war und keine Filmschule besucht hat – am Werk. Allerdings ein Streber, der die Ekstase, den Rausch und die Agonie bestens versteht.
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Schau- und Hör-Lust
Dass sich Anderson Schritt für Schritt vom Popkino abgewandt hat, er mittlerweile formal nach Reduktion und Klarheit strebt und inhaltlich nach mehr Verschwommenheit, ist in einer Gegenwart der inflationären, aggressiven und aufgepimpten Zeichen und Codes verständlich.
Wie bereits festgestellt, verschwunden ist die einstige Sinnlichkeit glücklicherweise nicht. Der Regisseur scheint sich bewusst, dass eine Filmkunst des reinen Minimalismus ebenso schnell in einer Sackgasse enden kann wie in der Musik das Motto "Die Stille hörbar machen" oft für muffige Fadesse steht.
Noch die störrischsten Momente in Paul Thomas Andersons neueren Filmen setzen sich deshalb mit einem herrlichen Drang zum Pathos von spröden Regiepuristen ab. Auch in einem Hang zum emotionalen Beben und Tosen und zur Exaltiertheit macht sich das Erbe seiner grellen filmischen Vergangenheit bemerkbar.
Nicht zuletzt geht es bei Anderson oft um pure Schau- und Hör-Lust. Von der rhythmischen Montage in "Boogie Nights" mit ihrem speziellen Groove bis zum opulenten 70-Millimeter-Format, mit dem "The Master" die Ästhetik des Nachkriegskinos evozieren will, von früheren sleazy Disco-Hits über melancholische Aimee Mann-Balladen zur experimentellen Klangwelt von Radioheads Johnny Greenwood und alten Jazz-Tracks: Oft will man sich von der Schönheit des Projizierten und den dazugehörigen Melodien einfach nur treiben lassen.
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We are men
Und die Inhalte? Die haben sich im Grunde seit "Boogie Nights" nicht wirklich verändert. Auch in diesem Fall sind es Gegensatzpaare, die Anderson fesseln: der Ausbruch und die Kontrolle, das Chaos und die Ordnung, das Archaische und das Disziplinierte.
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Die hedonistischen Pornodarsteller, die in "Boogie Nights" von der gesellschaftlichen Spur abkommen, die Kokser, Sexsüchtigen und pillenschluckenden Großstadtneurotiker in "Magnolia", Adam Sandlers von irrationalen Wutausbrüchen geplagte Figur in "Punch-Drunk Love", der gewalttätige, menschenhassende Daniel Day-Lewis-Charakter in "There Will Be Blood", sie alle passen zu Joaquin Phoenixs rastloser Drifterfigur Eddie, die tobsüchtig durch "The Master" wütet.
Manische Männer, angetrieben von einer unbändigen Sexualität und einem Hang zum Selbstverlust, stehen im Zentrum des amerikanischen (Alb-)Traums, deutet Anderson an. Gelingt es ihnen mit Hilfe eines Therapeuten, Predigers oder Scharlatans,ihre Triebe zu unterdrücken, teilweise zu bändigen oder im besten Fall kreativ umzuleiten, winkt die Macht. "I am the one who's in charge", brüllt (ausgerechnet) Tom Cruise als Cock-Guru in "Magnolia". "It is biological. It is animal. We are men!"
Auch Philip Seymour Hoffmans cleverer Lancaster Todd versucht die asozialen Energien des exzessiven Freddie zu zähmen. Die Ideologie, die hinter der Scientology-artigen Sekte "The Cause" aufflackert, verzichtet auf all den spirituellen Ballast gängiger Religionen und ist auf Erfolgsmenschen ausgerichtet.
Bei aller Mysteriosität verleiht "The Master" dem Œuvre von Paul Thomas Anderson endgültig eine politische Dimension. Diese umwerfenden Filme erzählen nicht zuletzt von der Geburt des modernen Kapitalismus aus dem Geiste der sexuellen Kompensation.
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