Erstellt am: 31. 3. 2014 - 16:30 Uhr
Everyday Robots
Während ich über die Einleitung zu diesem Text hier nachdenke und mir den zweiten Kaffee koche, tue ich es, wiederholt. Wie ein willenloser Junkie wechsle ich immer wieder zu Facebook hinüber, kontrolliere den Erfolg meiner aktuellen Postings, verteile selber das eine oder andere Like, lese Geschwätzigkeiten und Belangloses.
Ich bin im Grunde genau einer von denen, über die ich mich in dieser Hinsicht mokiere. Jemand, der bisweilen spätnachts im Bett noch auf sein Smartphone starrt, beim Essen oft das Ipad daneben liegen hat, an der Straßenbahnhaltestelle hektisch seine Mails checkt, in der U-Bahn meist auf ein Display starrt, statt wie früher in ein Magazin oder gar auf die Menschen rundherum.
Weil ich gleichzeitig alles andere als ein Digital Native bin, mich ganz im Gegenteil zu den Technologiekritikern und Gegenwartsskeptikern zähle, sammelt sich dabei ganz schön viel an schlechtem Gewissen an. Zumindest befinde ich mich diesbezüglich aber in bester Gesellschaft.
Der Ausnahmemusiker Damon Albarn liegt, laut „Spex“, im „Clinch mit der Moderne“ und widmet sein erstes Soloalbum „Everyday Robots“ den Verlockungen und Bedrohungen von Internet und Kommunikationstechnik. Auch Regiedarling Spike Jonze nähert sich in seinem neuen Film diesem Thema und zelebriert dabei absurde Widersprüchlichkeiten.
Warner
Mensch <3 Maschine
Wenigstens die Siri Software habe ich auf meinen iPhone nie aktiviert, denke ich mir angesichts der sanften Dystopie „Her“. Wer gerne ironisch grinsend mit seinem Apfeltelefon spricht, dem führt Spike Jonze vor, wie aus Spaß bittersüßer Ernst werden kann.
Theodore, fantastisch gespielt von Joaquin Phoenix, ist ein gut verdienender Mittelklasse-Mann in einer nahen Zukunft, die unsere westliche Gegenwart sein könnte. Noch immer an den Nachwirkungen einer schmerzhaften Trennung leidend, weicht der schrullige Einzelgänger Frauen eher aus, mit seiner Nachbarin (Amy Adams) führt er bloß freundlichen Smalltalk. Stattdessen kauft er sich ein neues interaktives Betriebssystem für seinen Computer, das auf den Namen Samantha hört. Samantha spricht nicht nur zu Theodore, sie gibt in langen Gesprächen vor, ihn zu verstehen.
Die folgende Liebesgeschichte zwischen Mensch und Maschine könnte Stoff für eine überzogene Komödie sein, oder auch ein dunkles Science-Fiction-Epos. Spike Jonze wählt aber einen anderen Weg, einen der Zurückhaltung und fragilen Melancholie. Zärtlich schleicht sich das hochintelligente Betriebssystem in das Leben des einsamen Mannes, mit der rauchigen Stimme von Scarlett Johansson. Der Verlust der Realität passiert, wie in deiner und meiner Realität, freiwillig und mit offenen Armen.
Warner
Bobo Paradise City
„Her“ zeigt aber nicht nur die private Welt von Theodore, sondern auch ein Los Angeles, in dem Umweltprobleme halbwegs gelöst scheinen, Freundlichkeit angesagt ist und Pastellfarben das Straßenbild dominieren. Unterwegs sind dort Menschen, die pausenlos in Headsets sprechen, die ununterbrochen online und ständig beschäftigt sind. Welcome to the Bobo Paradise City.
Spike Jonze, dem wir auch Meisterwerke wie „Being John Malkovich“ oder „Where The Wild Things Are“ verdanken, schüttet dabei aber keine Häme über seinen Protagonisten aus und schwenkt nicht den warnenden apokalyptischen Zeigefinger. Man kann die bewusste Harmlosigkeit, die in „Her“ stellenweise den Ton angibt, deshalb leicht zur Seite schieben, den Film als putzig-pinkgetönte RobotCom abhaken.
Wer aber nicht ganz abgestumpft ist und sich auch nur in Ansätzen darin wiedererkennt, wird Spike Jonzes neuen Streifen nicht mehr los. Denn da draußen, macht uns „Her“ im Flüsterton der wunderbaren Scarlett Johansson klar, in all den Schlafzimmern, die nur von Bildschirmen und Displays erleuchtet sind, lauert eine Leere, die sich vielleicht irgendwann in ein schwarzes Loch verwandeln wird.
Warner
Vom Segen zum Fluch
Weitaus drastischer muten die Szenarien in der britischen Serienanthologie „Black Mirror“ an. Da wird etwa in einer Folge die englische Königstochter am hellichten Tag entführt, ein Video auf Youtube stellt eine unmissverständliche Forderung. Entweder begeht der britische Premierminister vor Livekameras einen extremen Akt der Perversion oder die junge Frau stirbt. Bevor sich die Polizei Strategien überlegen kann, fallen auf Facebok und Twitter bereits die Entscheidungen.
In einer anderen Episode zeigt uns „Black Mirror“ eine an der Oberfläche ganz normale Welt, in der allerdings Menschen ihre Erlebnisse aufzeichnen können, ohne einen verlorenen Moment. Am Beispiel eines banalen Beziehungsdramas, das zur Katastrophe ausartet, lernen wir aber schnell, wie sich der vermeintliche Segen in einen Fluch verwandelt.
Auch Castingshows, die über Leben und Tod entscheiden, E-Mails aus dem Totenreich oder Menschen, die mit ihren Smartphones wie filmende Zombies umherstolpern, tischt der Serienschöpfer Charlie Brooker auf. Der britische Hardcore-Satiriker, zuvor durch kleine bissige Geniestreiche wie die Hipster-Sitcom „Nathan Barley“ oder die untote Big-Brother-Version „Dead Set“ aufgefallen, überzeichnet den virtuellen Alltag bis zu dem Punkt, wo sogar abgebrühten Kulturpessimisten noch Angst und Bange wird.
BBC
Twilight Zone für Technophobiker
Dabei agiert Charlie Brooker, wie Spike Jonze oder Damon Albarn auch, nicht von der Position eines analogen Elfenbeinturms aus und tippt seine Manuskripte nicht auf der Kofferschreibmaschine. Die Idee zu „Black Mirror“ entstand angeblich, als sich der TV-Macher einen Film zuhause anschaute, inzwischen Mails checkte und parallel auf dem iPad surfte. Es ist ein Süchtiger, der die eindringlichste Fernsehserie über das digitale Heroin geschaffen hat.
„Black Mirror“, benannt nach den kalten schwarzen Displays der Smartphones und Flatscreens, besteht bislang aus zwei Staffeln und sechs abgeschlossenen Minispielfilmen. Eine Anthologie des Schreckens, eine „Twilight Zone" für Menschen wie meine Wenigkeit, die sich nicht vor Geistern, Dämonen und blutigen Splattermovies fürchten, sondern vor Facebook-Algorithmen, Google-Glass, Trash-TV und asozialen Talentewettbewerben.
Nach sechs Folgen „Black Mirror“ sehnt man sich nach kuscheligen Apokalypsen wie „The Road“ oder „The Walking Dead“. Okay, die Welt ist darin nur mehr ein Scheiterhaufen voller lebender Leichen, aber wenigstens gibt es Körperkontakt, wenn man gefressen wird. Und glücklicherweise funktionieren die Handynetze und das Internet nicht mehr. In der wirklichen Hölle, lernen wir von „Black Mirror“ und letztlich auch von „Her“, da gibt es nämlich perfektes W-Lan.
BBC