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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

24. 8. 2009 - 14:58

Frusttagebuch: Wer essen will muss leiden

In der Speisehölle an der Saale muss man sich gar nicht erst auf die Suche nach einem netten Abendessen auswärts machen. Hier kamen selbst den Gourmets von Gault Millau das Würgen.

Das ganze Grauen Halles lässt sich mit der Suche nach einer schönen Gelegenheit zum Abendessen zusammenfassen. Die anfängliche Gewissheit, dass es - natürlich! - ein nettes Restaurant mit gutem Essen gibt, weicht nach vielem hin und her der Erkenntnis: Da ist nichts, nichts, nichts. Dochnoch aufkeimende Hoffnung, und mit ihr einhergehender Tatendrang, werden grob niedergewalzt und durch ein Einsehen in das Unausweichliche, das Halle-Mantra ersetzt: Wolle nichts, werde nichts, versuche nichts.

Die vergebliche Suche nach etwas Zufriedenheit wurde im ewigen Lästerfüllhorn Halleforum.de schon ausführlich besprochen. Da schrieb etwa einer davon, dass es nicht schwer sei, in Halle kulinarisch enttäuscht zu werden: “Das Problem ist, man ist nahezu nirgends vor Überraschungen sicher.” Ein anderer belächelt das “mehr hallisch-unbeholfenes 'Feingetue' als wirklich gute, geschweige feine Küche.” Und ein dritter hat bemerkt, dass es in Halle keine “Elite” gebe, die sich gutes Essen leisten könne: “Die Elite, die da hin geht, fehlt in Halle.”

Dieses Problem haben auch die Restaurantkritiker von Gault Millau ausgemacht und am Beispiel “Zanzibar” in einem leider längst gelöschten Hallerundumschlag abgearbeitet. Bei Gault Millau hieß es unter anderem: “Zu den deutschen Großstädten, denen die kulinarische Bedeutungslosigkeit nichts ausmacht, gehört Halle sehr demonstrativ. Was soll auch besser werden, wenn selbst den Akademikern die angesagte Location und die niedrigen Preise wichtiger sind als die Güte der Küche und kundiger Service.” In der Zanzibar sei die Speisekarte “reich bekleckst”, das Angebotene seien “bloß wohlklingende Gerichte”, wenigstens treffen “die Einrichtung und Farben den Zeitgeist”, die Weine seien moderat kalkuliert.

Dabei geht es mir gar nicht einmal um besonders feine Küche, das möchtegern gehobene Publikum kann mich auch am Arsch lecken. Ich wollte eine intelligente, leckere, gekonnte Küche, die mir nicht mit Schmiere, Genöle und Unverstand den Abend schlecht macht. Danach musste ich lange suchen in Halle - und wurde natürlich nicht fündig. So, wie ich am Frühstück scheiterte, musste ich auch am Abendessen scheitern. Scheitern von früh bis spät. Das ist mein Halle.

Das eine Haus wollte offensichtlich einen auf traditionelle, feine Küche machen, preußischer Touch, ein Ober mit Serviette überm Arm und der teuer erkaufte, aber sauschlecht ausgewählte Wein in einem Holzgestell (siehe: Singender Fisch) auf den Tisch gestellt. Der Salat war Kantinenfraß mit geriffelten Gurkenscheiben, Karottensalat aus der Dose, mein Fisch eine trockene, traurige Angelegenheit mit weichgespülten Kartoffelbergen; Würgemüse. Meine Freundin kotzte die Nacht lang die schlechten Pilze in die hallenser Kanalisation.

Das zweite Haus war ein hübsches Eckrestaurant mit - dort sagt man so - Freisitz im Grünen. Es war Spargelsaison und wir wollten Spargelsuppe. Dose auf, Mikrowelle an, altes Knoblauchbrot danebengelegt. Dazu fieser Pseudoapfelsaft a la Lift. 8 Euro pro Person.

Die Empfehlung zum dritten Haus entnahm ich dem Halleforum-Thread: “total lecker, ganz frische ware, top service, abwechslungsreiche karte.” Und tatsächlich: Unsere Bedienung war nett, fast schon aufdringlich nett und die Küche gab sich ganz klar reichlich Mühe, den Input aus der “Kreatives Kochen”-Fortbildung umzusetzen: Eigentlich ja lecker, aber das tolle Gemüse schwamm in Tüten-Hollandaise, der frische Salat (wieder mit Kantinengurken) in pappigem Plastikflaschen-Balsamico. Der Wein war teurer als gut und unser Wackeltisch war eingenommen von einer gigantischen, absurden Pro-Idee-Kerzenkonstruktion.

Warum sitzen in Halle eigentlich alle Leute drinnen, wenn sie die Wahl zwischen drinnen und draußen haben?

Leider konnten mir auch weder Freunde noch Onlinerecherche bei der Suche nach etwas abendlichem Genuss helfen. Es scheint eine geheime Verabredung unter den Hallensern zu geben, gut zu finden, was billig ist und viel: Preis/Häufung statt Preis/Leistung. Oder überhaupt Leistung. In einer Stadt in der Billigbananen und Hackfleisch regiert, in der der Wein statt mit dem Namen mit dem Preis bestellt wird, in der sich toll gerierende Texmex-Läden ungestraft (texmexikanische Rockerbande, Tequilafolter) über meine geliebten veganen Burritos lächerlich machen dürfen, in der “italienisch essen” Pasta und Pizza a la Aldi bedeutet, in der Kellner eine Empfehlung mit den Worten “Der ist besonders billig” schließen, in der durch die Bank nicht einmal einfache Ofenkartoffeln gelingen (hier ist die Kartoffel nicht durch, dort der Quark zerfallen, dort nurmehr 5-€-Kohlenreste in der Alufolie), in der Abwechslung bedeutet, sich nicht beim “Chinesisch-Thai-Vietnamesisch-Asiarestaurant”, sondern beim Lieferdienst “Hallo Smiley” eine Portion Fettreis mit Gemüseresten zu bestellen, in der Öko-Kantinen mit schlechten Titel-Wortspielen wirklich nur Ökofraß statt lecker veggie-vegane Küche bieten, in der eiskalter Weißwein und brühwarmer Rotwein, eiskalter Rotwein und lauwarmer Weißwein ausgeschenkt werden, in der morgens mehr Familien im McDonalds stehen als im Bäcker, da möchte ich nicht essen. Da möchte ich nicht mal fehlen.

Schön für mich: Denn seit zwei Wochen leb ich jetzt nicht mehr in Galle Halle, in der Hölle an der Saale. Aber da es da noch zwei drei Sachen gibt, die ich loswerden muss, bevor ich Halle endlich ganz aus meinem Kopf streichen kann - und ich außerdem die fürstliche Vergütung für diese Tagebucheinträge bitter nötig habe (Ikea, Latte, Sushi) - werde ich, äh, jetzt weiß ich nicht mehr, wie der Satz weitergeht, weiterschreiben, bis ich mich dann auch ins Berliner Getümmel werfen kann. Aber über Berlin schreibt ja hier - direkt und indirekt - jeder Zweite, weswegen ich mir dann was neues Suchen muss. Willkommen in der Individualgesellschaft, liebe Hallenser. Und zu genau dem widerlichen “Wir” der Hallenser (also dem “Ihnen”) muss ich dann das nächste Mal ein paar Worte loswerden und das spannende “Bonjour Tristesse”-Blog rauskramen.