Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Provinzfrust-Tagebuch: Ab nach Halle"

Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

16. 3. 2009 - 09:21

Provinzfrust-Tagebuch: Ab nach Halle

Es erschien als gute Idee von Hamburg in die ostdeutsche Kleinstadt Halle (Saale) zu ziehen. Ein Vierteljahr später regnet es noch immer; ein Frusttagebuch aus der ostdeutschen Provinz.

Letztes Jahr im November zog ich zusammen mit meiner Freundin von Hamburg nach Halle an der Saale. Mithilfe eines Webstory-Tagebuches will ich meine Erfahrungen mit der ostdeutschen Provinz verarbeiten. Für mich als in einer propperen südwestdeutschen Urlaubsgegend aufgewachsenen ist der karge Dunkelosten (Dunkeldeutschland, Unwort des Jahres 1994) ein gehöriger Schock. Halle an der Saale, das ist nicht das bunte Leipzig oder das rege Dresden. Halle ist ein Beispiel, wie es schief laufen kann im Osten.

Halle liegt im Schatten Leipzigs, nur 150 Kilometer von Berlin, 200 km von der tschechischen Grenze, vier Zugstunden von Hamburg, München, Frankfurt entfernt. Halle ist per ICE, S-Bahn, Flughafen und nahe gelegenen Autobahnen verkehrstechnisch gut angeschlossen.

Die vielen Verbindungsmöglichkeiten nutzten in den Jahren nach der Wende viele Menschen, um der Stadt, ihren gigantischen Leuna-Chemieanlagen den Rücken zu kehren. Halle verlor fast ein Drittel der einst 317.000 Einwohner (Stand: 1990). Heute leben nur noch 234.000 Menschen hier, traditionell aufgeteilt in gebürtige Hallenser, alteingesessene Halloren und hinzugezogene Hallunken.

Knoke

So etwa sahen die Halle-Werbeplakate aus, westdeutsche Version! Wie das Plakat in Halle aussieht, kann ich hoffentlich im zweiten Teil zeigen ...

Halle ist eine Uni-Stadt, fast zehn Prozent der Einwohner sind Studenten: 17.500 laut Halle-Website. Um noch mehr Studenten ringt die Stadt im deutschen Bundesgebiet: Mit Werbung in westdeutschen Städten versucht man zukünftige Studenten in die Stadt zu locken. Meine Freundin war eine davon. Von Plakaten lächelte es auf sie hinab: "Sei klug, studier in Halle." Geringe Semestergebühren, keine Studiengebühren, eine moderne Uni. Dazu reichlich Wohnraum, angeblich 30.000 Leerstände. Gute Argumente.

Unsere 100qm-Luxuswohnung kostet 450 Euro kalt, es gibt WG-Zimmer für unter 100 Euro. Wer mit Kohle heizen will, lebt extragünstig. Dass Halle trotz hohem Studentenanteil keine Studentenstadt ist, ist eine der auf den ersten Blick unerklärlichen Eigenheiten dieser Stadt.

Halle, das muss man als Österreicher wissen, hat keinen guten Ruf in Deutschland. "Was willst Du denn in Halle, bist Du dir sicher, dass du nach Halle ziehen willst, bin mal gespannt, wie lange Du das aushältst."

Die größte Kritik äußerte eine Freundin, die nach einem Jahr frustriert aus der Stadt zog, ausgerechnet nach Hamburg: "Einen Tag länger und ich wäre depressiv geworden. Zieh nicht nach Halle." Und dann, mit Verve: "Galle Halle!" Ich nahm sie nicht ernst. Die Leute in Halle kennen die Kritik: "Am Anfang will jeder so schnell wie möglich wieder weg. Aber nach einem Jahr fühlt man sich hier richtig wohl, will nicht mehr fortziehen," tröstete mich ein Freund, der seit acht Jahren in Halle lebt.

Das örtliche Planetarium soll mit Guerilla-Werbung gerettet werden. Auch: Typisch hallenser Fatalismus

Knoke

Das hallenser Planetarium soll gerettet werden. Oder: Typisch hallenser Fatalismus.

Ich lebe jetzt ein Vierteljahr in dieser Stadt und weiß: Nein, ich werde es nicht so lange aushalten. Aber ich will mich beim Scheitern an dieser Stadt beobachten und versuchen, irgendwas über die Unterschieden und Gemeinsamkeiten, heimlichen Unterschieden und heimlichen Gemeinsamkeiten von Stadt und Provinz herauszufinden. Auch, weil das ganz gut ablenkt ...

Aber all dieser Frust muss das nächste Mal raus. Ich trink jetzt noch schnell nen Kaffee, den einzigen guten Kaffee der Stadt. Selbst der ansonsten prächtige McDonald’s-Kaffee schmeckt hier nicht. Willkommen in Galle Halle.

Das nächste Mal: Die Hallenser Version der "Sei schlau"-Plakate, rote Haare, Alltagsnazis und Musik-Misverständnisse. Bis dahin kann man sich auf Halle-ist-schoen.de von den guten Seiten dieser Stadt überzeugen.