Erstellt am: 25. 3. 2009 - 14:42 Uhr
Frust-Tagebuch: Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde
Vorweg: Im Oktober 2008 zogen meine Freundin und ich von Hamburg nach Halle (Saale). Sie wollte hier studieren, ich arbeiten, gemeinsam wollten wir eine neue Stadt erforschen, neue Freunde finden und viele Abenteuer erleben. Dann packte uns der Provinzfrust. Davon handelt dieses Frusttagebuch. Was es können soll und was nicht, erklärt der Beipackzettel.
Eigentlich hätte es in diesem Tagebuch ja vorrangig um Kleinigkeiten gehen sollen: Rote Haare, seltsame Bräuche und kleine Irritationen. Aber die vielen Kommentare in den letzten beiden Provinzfrust-Tagebüchern haben mir gezeigt: Neben dem ewigen Thema Ost/West (dabei liegt Halle ja in Mitteldeutschland) muss ich auch erstmal Grundlegendes und Persönliches zum Thema Ausländerfeindlichkeit (und in einem anderen Text auch noch Sexismus und Anti-Queer) in Halle sagen.
Sachsen-Anhalt ist eine Hochburg von Neonazis und anderen Rechtsextremen. Das zeigt der – im März 2009 noch aktuelle - Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt für das Jahr 2007. Nirgendwo in Deutschland werden pro 100.000 Einwohner mehr rechtsextrem motivierte Gewalttaten begangen. Für's ganze Bundesland rechnen die Verfassungsschützer mit etwa 1.460 rechtsextremen Personen, von denen 800 einem "gewaltbereiten, subkulturell geprägten Spektrum" zugeordnet werden können. 270 der sächsisch-anhaltinischen Rechtsextremisten bezeichnet der Bericht als Neonazis. Im Raum Halle können 60 bis 80 aktive Personen der "teilweise neonazistisch ausgerichteten rechtsextremistischen Szene" zugeordnet werden.
Wie rechter Alltag in Halle und Sachsen-Anhalt aussieht, beschreibt dieser beklemmende Spiegel.de-Artikel: Ich darf ihn noch nicht mal Mörder nennen.
Interessant in diesem Zusammenhang: Mit unter zwei Prozent liegt der Ausländeranteil in Sachsen-Anhalt deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von circa neun Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der Einwohner Hamburgs mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt bei 15, in Berlin bei 14, in Leipzig bei 6,3. In Halle (Saale) liegt der Ausländeranteil bei unter vier Prozent. Angesichts solcher Zahlen erscheinen "ganz normale" fremdenfeindliche Äußerungen, wie ich sie weiter unten beschreibe, weniger als ideologische Argumente, denn viel mehr hilflose Reflexe auf etwas Unbekanntes. Statt aber an einer Kultur des Verständnisses und der Aufgeschlossenheit zu arbeiten, versuchte man in Sachsen-Anhalt offenbar, das braune Problem einfach zu vertuschen.
Die Braune Brut will wieder heim
Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt versuchte im Jahr 2007, den braunen Sumpf mit manipulierten Statistiken öffentlichkeitswirksam trocken zu legen. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb im November 2007 die Bemühungen des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt, die Kriminalstatistik hinsichtlich Rechtsextremismus zu schönen. Der Dreh flog auf, der LKA-Chef kündigte und im nächsten Jahr stieg die Zahl der Delikte mit rechtsextremem Hintergrund laut Innenminister Holger Hövelmann im Vergleich zum Vorjahr um 30,4 Prozent auf 1.761 Straftaten pro Jahr. Bei den Gewalttaten gab es insgesamt einen Anstieg um 72 Fälle (55 Prozent) auf 203 Delikte, protokollierte DDP Anfang März auf einer Pressekonferenz des Innenministers.
Man darf sich nicht täuschen lassen, in Sachen rechtsextremistische Gewalt schenken sich die deutschen Bundesländer nicht viel. Nach absoluten Zahlen liegen die (bevölkerungsreichen) Länder Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen immer wieder in der Spitzengruppe, heißt es im Rechtsextremismus-Dossier auf tagesschau.de. Bei einer Befragung von knapp 5.000 Menschen im Bundesgebiet lehnten nur 16 Prozent der Befragten diese Aussage ab: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet". Die rechten Einstellungen bei deutschen Jugendlichen versuchte zum Beispiel das kriminologische Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) mit einer umstrittenen Studie zur Jugendgewalt festzustellen.
Bei all diesen Zahlen sollte klar werden: Rechtsextremisten und Neonazis sind die eine, rechte und rechtsextreme Einstellungen die andere Seite der braunen Medaille. In Halle bleiben mir die stumpfen Glatze-und-Lonsdale-Nazis verborgen in dem Maße, wie mir ganz normale rechte Einstellungen begegnen. Dieser ganz normale Fremdenhass, das sind auch die Blicke von Supermarktangestellten, das verächtliche Schnauben von Jugendlichen, die in der Bahn lieber stehen bleiben, als sich hinzusetzen, das Aufstellen von Pferdewurst-Schildern vor Lokalen, der Türsteher mit genauen Anweisungen, die Mauer aus Schweigen und das genaue Abzählen des Kleingeldes. Wie fühlen sich alltäglicher Rechtsextremismus und latente rechte Einstellungen in Halle (Saale) an?
Kaffee, Bücher, Revanchisten
Nach dem letzten Tagebuch-Eintrag etwas friedlich gestimmt (Kreide dämpft?) bekam ich dann gleich noch die dreiteilige, dicke Ladung Ausländerhass ab, die mir ordentlich die Stimmung verdarb. Nummer Eins: Auf dem Weg zum Pick-up-Punkt meiner Mitfahrgelegenheit überraschte mich das Bücher-Café, in dem ich mir hin und wieder einen zu starken Kaffee kaufe, mit einem Exemplar der "Deutschen Militärzeitschrift". Schön in der Auslage neben anderen Hobbyisten-Pamphleten. Titel: "Lebendige Geschichte: Waffen-SS im Einsatz."
knoke
Das Blatt wird von der deutschen Bundesregierung als rechtsextrem eingeschätzt, eine kurze Blätterei zeigte das übliche rechte Inventar: Dürftig chiffrierte Holocaust-Leugnung/Relativierung, Israel-feindliche Kommentare, derber Geschichtsrevisionismus. Ein Revanchistenblatt, das die Waffen-SS verherrlicht, in einem ganz normalen Straßencafé, in dem sich Studenten Kaffee und ein Lifestyle-Magazin kaufen? Das kannte ich noch nicht. Meine Konfrontation mit dem Café-Betreiber steht noch aus: Ich musste mich erstmal schlau machen, machte ein paar Bilder und versteckte die DMZ dann hinter Strickanleitungen.
Kaum, dass der Kamm abgeschwollen, dann schon der Schreck Nummer Zwo: Ich sitze im Auto Richtung Hamburg, am Steuer eine tolle Mitfahrgelegenheit: Ein netter Kerl in meinem Alter, den es beruflich von Halle nach Hamburg verschlagen hat. Wir unterhalten uns prima, haben viel Spaß. Als er mich rauslässt, frag ich ihn, warum er eigentlich wieder nach Halle zurückziehen will. "Hamburg ist doch wunderschön," meine ich.
"Das hat halt alles zwei Seiten," antwortete er: "Hamburg ist viel zu teuer, das kostet alles so viel." Die hohen Lebenskosten waren aber längst nicht alles, was meinen Fahrer an Hamburg störte: Zu laut, zu groß, zu gefährlich war ihm die Stadt. Und dann auch noch "dieses ganze Durcheinander" – also: "unsere ausländischen Mitbürger," wie er unumwunden zu verstehen gab. Mir verschlug es die Sprache, ich zahlte mein Fahrtgeld, stieg aus und ließ mir tausend bessere Antworten als mein gestammeltes "Ich mag es eher so, wenns so richtig bunt ist" durch den Kopf gehen.
Rückfahrt in die Gegenwart
Nach ein paar schönen Tagen in Hamburg werde ich dann auf der Rückfahrt im Zug noch Zeuge eines Dialogs zwischen Magdeburg und Halle (Saale). Zwei Mädchen aus Sachsen-Anhalt steigen zu und unterhalten sich über das Leben als Student. Hier die Partys, da die Prüfungen, dort neue Freunde. Schöner Studi-Alltag. Endlich ein paar Worte zur Wohnheim-Odyssee: "Und da lebte ich mit einer aus Peru. Uuuäh, war ich da schnell weg!" Naja, dachte ich, vielleicht hatte sie ja was gegen die Person, nichts gegen den Peruaner, die Peruanerin an sich. Weit gefehlt, denn ihre Erfahrungen im zweiten Wohnheim waren auch nicht besser: "Das war so... das reinste Asylantenheim, sag ich mal." Verständnisvolles Nicken der anderen. Klar, dass man da nicht wohnen will, sondern lieber zuhause auf'm Dorf.
So fühlt sich für mich alltägliche Ausländerfeindlichkeit in Halle (Saale) an.
Ist das ein Wunder bei einem so geringen Ausländeranteil? Ist das Furcht vor dem Fremden, Unsicherheit? Oder steckt da doch eine tiefsitzende Ideologie dahinter, eine Kultur des Hasses und der Abgrenzung?
Vor allem aber: Wie damit umgehen?