Erstellt am: 18. 3. 2009 - 17:37 Uhr
Provinzfrust-Tagebuch: Halle-Hass und Ost-Frost?
Vorweg: Im Oktober 2008 zogen meine Freundin und ich von Hamburg nach Halle (Saale). Sie wollte hier studieren, ich arbeiten, gemeinsam wollten wir eine neue Stadt erforschen, neue Freunde machen und viele Abenteuer erleben. Dann packte uns der Provinzfrust. Davon handelt dieses Frusttagebuch.
Nie hätte ich gedacht, dass eine Zustandsbeschreibung so viel Kritik und Unverständnis hervorbringen kann, wie mein erster Tagebucheintrag zu Halle, den ich eher noch vorsichtig und nüchtern formulierte, mit zwei, drei Frustspitzen in Richtung Kaffee und schlechtem Wetter.
Die eigentliche Kritik, die Frustgründe werde ich erst in den nächsten Teilen peu à peu angehen: Die vielen unfreundlichen Menschen, schlechte Erlebnisse in Clubs, in Kneipen und ja, auch das - bislang bis auf eine rühmliche Ausnahme, einer "spanischen" Tapas-Bar - miese Kaffee-Angebot.
Ich wollte einen persönlichen Blick auf eine Stadt richten, meine Erlebnisse als jemand, der vom Land in die Städte, von der Stadt in die Provinz gezogen ist, zur Diskussion freigeben. Ich wollte mich annähern an eine, zumindest in Deutschland, berüchtigte Kleinstadt: Halle - und das Dorf in mir.
Aber ich merke: Ohne Ost-West-Diskussion geht das nicht. Das aber ist ein Problem, denn diese Diskussion will ich nicht führen. Weil sie an dieser Stelle leidlich ist - zumindest mir so erschien und noch immer erscheint. Vor allem aber, weil ich mich damit schlicht nicht auskenne. Quasi null Theorie; ich erlebte die Wende, habe reichlich Familie "im Osten", aber schlug mich in den letzten Jahren der DDR vor allem mit Babybrei und Windeln herum, statt mir Systemgedanken zu machen.
Jetzt kann man nicht in den Osten ziehen, ohne dass jeder Zweite irgendwie auf die Klischees des DDR-Ostens zu sprechen kommt, auf verfallene Häuser, verlassene Landschaften, auf Dorfnazis und Spießertum, auf skurrile Menschen mit heller Stimme und natürlich die rätselhafte Ostalgie. Es lassen sich prächtig Witze machen über den Osten. So versteh ich dann auch die aufgebrachten Reaktionen von Hallensern und Halloren in den Kommentaren der letzten Geschichte: Als Reaktion auf die Verniedlichung, die gern "im Westen" mit Blick in den Osten betrieben wird. Ich denke, der Ossi denkt, der Wessi denkt, der Ossi ist eine undankbare Witzfigur.
Auf diese Diskussion hab ich aber keine Lust. Weil sie vor allem auf dieser seltsamen "Du denkst, ich denke"-Ebene geführt wird, freilich oft ohne das auszusprechen. Und ich habe auch keine Lust drauf, weil ich mich natürlich selbst oft genug erwische, wie ich Verhalten zusammenfasse als "typisch Ost". Typisch ist da nichts, außer die Art und Weise, wie man (ich) sowas denkt. Also: Aus psychohygienischen Gründen verbiete ich mir zum Beispiel hier solche Gedanken.
Vor allem aber will ich mich hier auf keine politische Diskussion der Vergangenheit einlassen. Das ist interessant, hilft aber meinem aktuellen Leben in der Stadt auch nicht weiter. Das heißt auch, dass ich mir nicht viele Gedanken machen will über das, was Halle nicht ist. Ich will Halle nicht als "Großstädter" mit einer Großstadt vergleichen.
Ich bin schließlich ohne Zwang nach Halle gezogen - billige Wohnungen gibts auch in Berlin - und ich bin vor allem auch nicht aufs Geratewohl hier her gezogen, sondern nachdem ich mehrmals dort war und mir ein Bild von der Stadt machte. Ich dachte, es kann nicht schaden, mal einen Kleinstadt-Versuch zu starten. Mir war immer klar, dass das nur auf Zeit ist, aber auch irgendwie mal für mich notwendig. Ich bin 20 Jahre lang auf dem Land, genau genommen am Bodensee, aufgewachsen, bevor ich es in einer vierjährigen Bewegung bis nach Hamburg schaffte - und da erstmals Freiheit verspürte. Großstadt-Romantik, gerade von einem Landei wie mir, hin oder her: Ich ging durch die Straßen und traf lustige Menschen, ich ging in Kneipen und sie spielten Musik, von der ich nie für möglich gehalten habe, dass sie öffentlich mit zustimmendem Publikum aufgeführt wird, ich setzte mich auf die Straße und es setzten sich Leute dazu - ich fühlte mich endlich zuhause.
Was hat das mit Halle zu tun? Frei nach Schamoni: Trägt man für immer sein Dorf mit sich rum? Fühlte ich mich in Hamburg so wohl, weil Hamburg so gut war oder weil ich dachte, damit meinem inneren Dorf zu entkommen? Der Umzug nach Halle war freilich nur ganz wenig ein Experiment. Trotzdem fand ich diese Fragen spannend und plante, mich bei dem Umzug/Rückzug in die Provinz zu beobachten und dabei etwas über das Verhältnis Stadt, Land, Provinz herauszufinden. Denn vieles, was mir hier in Halle negativ auffällt, ist in anderen Kleinstädten und auf dem Land nicht anders. Deswegen hat es mich ja erst in die Stadt verschlagen, weil ich es in der Provinz nicht aushielt. Unterschwellige und offene Ausländerfeindlichkeit, dumpfer Sexismus und unverholene Anti-Queer-Einstellungen sind dort Alltag. Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass mir in einer Uni-Stadt - die Halle mit 10 Prozent Studis sicherlich sein könnte - diese Themen so schnell über den Weg laufen.
Ich freute mich auf Halle, versprach mir großes Abenteuer, viele Menschen, die gerade in einer Stadt, die vor und nach der Wende vieles mitgemacht hat, etwas aufbauen wollen. Und so zog ich hier her, ging raus, auf Streifzüge, auf der Suche nach meiner neuen Stadt Halle. Aber diese Suche war frustrierend - und davon handelt dieses Frusttagebuch.
Was ich will ist ein Versuch: herauszufinden, warum Halle so ist, wie es ist und warum es das mit mir macht, was es mit mir macht.
Wie ist das mit der scheinbar nötigen Ost-West-Diskussion in Übereinstimmung zu bringen? Für mich wurde sie erhellend in den Kommentaren geführt. Und so werde ich zukünftig im Frusttagebuch immer ein wenig aufschreien, wenn mir ein vermeintlicher Ost-West-Konflikt über den Weg läuft (zum Beispiel im baldigen Beitrag über Wessi-Witze) und mich sonst gepflegt im Blogbeitrag raushalten und in den Kommentaren ins Getümmel werfen.
Ich hoffe, das ist für alle ergiebiger. Vielleicht kann mir dort dann auch jemand mal erklären, warum Supermarkt-Bananen in Halle so unverschämt billig sind.
Update1: Und warum es mehr Fleischsorten gibt als in Frankreich Käse.
Update2: Über die billigen Bananen schrieb der Spiegel schon 1994.