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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

18. 4. 2009 - 12:26

Frust-Tagebuch: Lächeln verboten

Das Leben in Halle ist rauh und ungewohnt. Mit Freundlichkeit darf man nicht rechnen - und sollte es im Verkaufsgespräch auch nicht versuchen. Wer nett ist, ist nicht vertrauenswürdig.

Vorweg: Im Oktober 2008 zogen meine Freundin und ich von Hamburg nach Halle (Saale). Sie wollte hier studieren, ich arbeiten, gemeinsam wollten wir eine neue Stadt erforschen, neue Freunde finden und viele Abenteuer erleben. Dann packte uns der Provinzfrust. Davon handelt dieses Frusttagebuch. Was es können soll und was nicht, erklärt der Beipackzettel .

Über die Berliner Freundlichkeitsoffensive kann ich nur lachen. Sollen die nur mal nach Halle kommen - und scheitern. Selbst das - ich weiß, da lehn ich mich aus dem Fenster, aber ich habe keine Höhenangst - grantige Wien muss vor Scham erblassen: In Sachen Unfreundlichkeit im Servicebereich erreicht Halle die Meisterschaft. Das wissen auch die Hallenser, die mich noch vor meinem Umzug umfassend und häufig auf diesen Missstand hinwiesen, "aber keine Angst, gewöhnste dich dran." Nur ein Jahr soll ich den Servicekräften und ihrer Grantigkeit Zeit geben, dann schmerze es nicht mehr. Noch aber schmerzt es und fühlt sich etwa so an:

Das Sofa-Beispiel: Der Markt für Gebrauchtwaren in Halle ist ein ungünstiger. Wer was hat, verkauft es für Flohmarktpreise an die allgegenwärtigen "An&Verkauf"-Läden, die den Kram quasi zum Neupreis weiterverkaufen. Wir brauchen aber dringend ein Sofa, also gehe ich zum A&V, Stöpsel im Ohr, direkt zur Bedienung. Ich sage "Hallo!" und sie schaut mich leer an. Ich denke, sie denkt, ich höre sie mit den Stöpseln eh nicht, nehme die Stöpsel ab und sage nochmal freundlich: "Hallo!" Wieder keine Reaktion. Verzweifelnd versuche ich es mit Reizwörter: "Ich will ein Sofa kaufen, wo find ich die denn?" Sie reagiert mit einem Geräusch, zeigt mit dem Finger in eine Ladenecke. Ich werde nicht fündig und frage: "Habt ihr auch Sofas?" Schnauzig: “Nein." Ich verlasse den Laden.

knoke

Bei mir um die Ecke. Ein Zen-Rätsel.

Ist das also die berüchtigte hallenser Unfreundlichkeit? Das Problem sitzt tiefer. Das Artischocken-Beispiel:

Ich bin, unter Missachtung aller Jahreszeiten, auf die Suche nach frischen Artischocken gegangen. Die gibt es als Import ganzjährig, sonst ab Juli frisch. Das wusste ich nicht, umnachtet vom Rezept-Vorschlag Artischocke mit Orangensoße und Gnocchi aber stürmte ich los. Eine Niederlage nach der anderen. Grummeln im Supermarkt, Mmmmmm im Gemüseladen, stilles Kopfschütteln im Delikatessladen. Erst ein Italiener kommt auf die Idee, mir eingelegte Artischocken samt Rezeptidee vorzuschlagen. Gute Idee, mach ich!

Das Eis-Beispiel vom Nachbartisch, den ich gerade belauschte: Sie will ein Vanille-Eis mit heißen Beeren. Die (nette!) Bedienung sagt: Beeren gibt es nicht. Die Frau fragt nach: "Und einfach nur ein Eis?" Gibt es auch nicht. Die Frau kehrt konsterniert zurück: "Sie hat mir nicht mal einen Gegenvorschlag gemacht." Den, das machte die Frau ihrem Partner klar, hätte sie natürlich angenommen, schließlich wollte sie ja zwar erstrangig Vanille-Eis mit Beeren, zweitrangig aber einfach nur irgendwas Süßes. Das Pärchen verließ das Café.

Man greift zu kurz, wirft man den Hallenser Verkaufskräften einfach nur Unfreundlichkeit vor. Es ist vielmehr eine eigene Auffassung von "Service", die zunächst keine persönliche Ausdehnung hat. Jemandem wie mir, dem jede gespielte Freundlichkeit lieber ist als jedes noch so echte Rumgegrantele, stößt das trotzdem sauer auf. Ich kauf mir meinen Kaffee und dazu ein bisschen Entspannung. Ein Lächeln reicht da schon. Aber das Lächeln der Verkäufer/innen musste ich mir in Halle hart erkämpfen - und dafür mein unbeschwertes Lächeln opfern.

Das Würstchen-Beispiel: F., ein Hallenser, erklärt die Point-of-Sale-Barschheit mit "der DDR". Typisch alte Schule, gab ja nix zu verlieren und nix zu gewinnen. Man mache halt seinen Job. T. schiebt differenzierter hinterher, dass das, was ich als Service verstehe, auch als "Falsch und Verschlagen" interpretiert werden könnte. Wer nett ist, ist gefährlich? P. hat die passende Wurst-Anekdote parat:

Am Würstchenstand beschwert sich die Kundin massiv: "Das Würstchen schmeckt scheiße." Die Verkäuferin reagiert vorhersehbar ungehalten und motzt zurück: "Müssen Se ja nicht essen!" Anstatt jetzt aber einen blutigen Streit um Pellenzähigkeit und Fettgehalt auszutragen, sind beide Parteien plötzlich - und für den Neu-Hallenser P. unerwartet - beste Freunde. Eine aufrichtige Kritik, eine schlagfertige Antwort, damit sind die Fronten geklärt, die Waffen offenbart. So kann man dann gemütlich über das Wetter plaudern und sich ein schönes Wochenende wünschen.

Ich sprach mit Bekannten über meine Erfahrungen. Sie erlebten schon oft ähnliche Geschichten. Einer sagt: "Wenn du oberflächlich-nett was willst, dann wirst du schnell übersehen." Ein anderer mutmaßt, dass es hier eine Mentalität des "Man kriegt nichts geschenkt" geben könnte: Wer was will, muss drum kämpfen. Wer nicht aufmuckt, will auch nichts - und wird missachtet.

Was heißt das für mich? Ich wagte das Spargel-Experiment. Auf dem permanenten Wochenmarkt forderte ich barsch "Spargel!" reichte dem grummeligen Verkäufer eine Tüte und schob ein “hmmmm" hinterher. Ich erwartete gebückt das Allerschlimmste. Der Verkäufer schaute griesgrämig in die Tüte, seine Augen blitzen und er sagt: “Legen Sie die wieder hin!" Ich stutze. Ist das also die Abfuhr? Er aber beugt sich verschwörerisch über die Gemüsewage zu mir: "Ich hab hier was besseres, mach ich ihnen nen Sonderpreis für." Es folgten Befehle an seinen Gehilfen, der eifrig ein neue Spargeltüte füllte. Währenddessen gab er mir eine Einführung in die Zubereitung von Spargel, die Vorzüge von Hydroversiegelung und den gängigen Zubereitungsfehlern während hinter mir zeternde Einkäuferinnen warteten. Mit was hatte ich mir das bloß verdient? Ich fühlte mich falsch und verschlagen ...

Irgendwann demnächst: Straßenbahnen des Todes, Hallenser Hyperfertilität und das Krokodil im Spaßbad. Ach ja: Und natürlich das Frisurenwunder!