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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

24. 5. 2009 - 10:48

Frust-Tagebuch: Ohrensausen statt Flausen

Vor lauter Lärm hör ich meine Frustration nicht mehr: In Halle tobt der (vergebliche) Kampf um Schuhkunden. Innerlich ringe ich jedoch um körperlichen Zusammenhalt.

Vorweg: Im Oktober 2008 zogen meine Freundin und ich von Hamburg nach Halle (Saale). Sie wollte hier studieren, ich arbeiten, gemeinsam wollten wir eine neue Stadt erforschen, neue Freunde finden und viele Abenteuer erleben. Dann packte uns der Provinzfrust. Davon handelt dieses Frusttagebuch. Was es können soll und was nicht, erklärt der Beipackzettel

Die letzten Tage in Halle waren wunderschön. Ich war in Hamburg und in Berlin. In Hamburg griff mich mein Ex-Mitbewohner tätlich an, in Berlin ging ich mit meiner Freundin auf frustrierende Wohnungssuche. Zwei spannende Wochenenden. Aber: Wir ziehen also weg. In die Hauptstadt. Das sagen manche Leute tatsächlich so. Ich weiß aber nicht, ob das Nicht-Deutsche so dürfen, können, wollen.

Denn das "Hauptstadt", das sagt man mit reichlich Stolz in der Stimme, die auch kündet von Gefahr und Ekstase. Als ob's nichts anderes gäbe. Das bedeuten so viel wie: Ich habe es geschafft. Zentrum der Welt und so. Von Berlins historischen Aufgeladenheit springt dann hoffentlich auch was über auf den Hauptstädter. Wo, wenn nicht hier. Blabla.

Blablabla … Schuhe… Blablabla… Achzigprozentmeinedamen … Blablabla. Schreiben kann man bei so einem Lärm nicht. Vor unserer Haustür wirbt der Schuhmarkt für Schuhe. Dafür hat sich der Eck-Schuhmarkt einen Alleinunterhalter mitsamt "Promo-Mobil" eingeladen. Der Alleinunterhalter spielt Schlager und gibt hin und wieder Wissenswertes zu Schuhen, Schuhmärkten, Schuhverkäufern preis. Natürlich schaut kein Mensch vorbei und lässt sich auf "Kaffee, Rabatte und noch was anderes" einladen. Die ansonsten für Promo-Gedöns durchaus aufgeschlossenen Hallenser (mein Liebling: "Jetzt MIT Schufa-Test" an der Tür eines Handy-Ladens) hören nicht auf den Promomann, der von zehn Uhr morgens bis sieben Uhr abends die immer gleichen Sprüche ("In der Statistik steht, dass Männer kaputtere Schuhe haben und weniger Schuhe kaufen als Frauen.") abreißt. Der einzige, der wohl ernsthaft über einen Besuch nachdenkt, bin gefühlt: ich.

Haus vor Halle

@knoke

Vor den Toren der Stadt, quasi ein Teaser auf die hoffentlich bald folgende Kinder- und Schwimmbadgeschichte ...

Meine verzweifelten Anrufe beim Schuhmarkt verhallten ungehört. Das Ordnungsamt nimmt auch nicht ab. Von meinem französischen Balkon aus könnte ich mit Bananen werfen oder meinen eigenen Körper ins Spiel bringen, Full-body-Mayhem in diese Schlager-Senkel-Sohlen-Hölle bringen. Dem dummen Bass und seinem dreisten Verkünder zeigen, was ein Bierbauch ist. Ich will ein Donnerwetter sein.

Dafür fehlt mir freilich die Kraft. Ich erlebte in den letzten Monaten eine ganzkörperliche Regression hinein ins animalische, botanische. Im Wohnzimmer vegetieren wie die Tieren. Im Park langsam verdursten. Dem eigenen Zerfall beiwohnen. Noch ein Bier, noch eine Weinschorle, noch ein Milchkaffee.

Meine Freundin und ich lösten uns in den letzten Monaten auf. Nach und nach fielen alte Wünsche, Hoffnungen und Träume von uns ab und machten dem Öffentlich-rechtlichen Fernsehen Platz. Dinge, die uns einst als wichtig erschienen, zerfielen vor unseren müden Augen. Wir waren soziale Gerippe. Die Hohlräume füllten ausführliche Fressorgien. Am Ende hielten uns nur noch Spaghetti und Broccoli-Suppen zusammen. Wir waren Fresstiere, die Eisenkugel am Ende der Nahrungskette die unsere verwundeten Fersen – MACH DIESE MUSIK AUS, PROMOTIONMANN!

Bei "Moskau, Moskau" und "Skandaaaaal" und "Hai-hai-Hai" geht das alles nicht. Eigentlich wollte ich heute von G. und M. erzählen, unseren neuen Freunden. Der eine ist ein Ethnologe, der andere Misanthrop. Der eine hasst deutsche Supermärkte, der andere liebt die Menschen, relativiert aber die Menschheit gegenüber dem Individuum und andersrum. Beide haben sie tolle Sachen über Halle, österreichische Trachten und Mitmenschen zu sagen. Aber bei diesem Lärm höre ich noch nicht einmal meine eigenen Gedanken. Am Dienstag kommen unsere Nachmieter zum Essen vorbei. Das sind die nettesten Menschen, die wir seit Monaten kennenlernten. Ich wünsche mir, dass der Promotionmann bis dahin weg ist. Dann gibt's was auf die Leserbacken, au weia, Halle. Im Google Cache lauert wahre Frustration: Hölle an der Saale.

Das nächste Mal: Hoffentlich endlich das Kinderproblem, gefährliche Straßenbahnen und ungefährliche Gewaltintellekuelle.