Erstellt am: 28. 11. 2014 - 18:49 Uhr
Endstation Schlepper-Prozess, bitte alle aussteigen
Das Verfahren hat am 17. März begonnen. Den acht Männern aus Pakistan, Indien und Afghanistan wird Schlepperei zur Last gelegt. Sie sollen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung bei der illegalen Einschleusung von Menschen mitgeholfen haben.
Es ist 9:10 Uhr: Am Landesgericht Wiener Neustadt eröffnet Richterin Petra Harbich zum 42. Mal die Verhandlung im großen Schwurgerichtsaal. Man grüßt sich mittlerweile formlos, das Anfangsprozedere wird heruntergerattert. Die Anwesenheit wird festgehalten: Alle sitzen auf ihren Plätzen.
Die acht Angeklagten haben ihre Aufteilung gefunden, fünf auf den Bänken links vor der Richterin, drei auf der rechten Seite, jeweils davor bzw. dahinter ihre jeweiligen AnwältInnen. Dazu noch die drei Dolmetscher links auf der Richterbank, GerichtsdienerInnen und die Schöffen rechts. Selbst im Publikum sitzen die BeobachterInnen und JournalistInnen immer am selben Platz. Alles hat seine Ordnung.
Aurora Orso/FM4
Die Schlepper-Posse
Seit Prozessbeginn am 17 März 2014 sind mittlerweile 256 Tage vergangen, seit der Verhaftung der acht Angeklagten knapp ein Jahr und vier Monate. Damals im Juli 2013 transpirierten die Redaktionen des Landes gerade über Schlagzeilen zum heißesten Tag des Jahres. Um die Flüchtlings-Proteste der "Refugee-Bewegung" hingegen war es ruhig geworden. Im Servitenkloster hatte man eine vorläufiges Zuhause für die unbequemen Flüchtlinge gefunden, ihr kontroverser Kampf um Bleiberechte und Selbstbestimmung schien vorbei zu sein.
Auch die Medien schauten nicht mehr so genau hin, bis zwei Meldungen das Sommerloch unter sich begruben und den Nationalrats-Wahlkampf eröffneten: "Acht Bewohner des Servitenklosters abgeschoben"; und ein paar Tage darauf: "Acht Schlepperbosse, fünf davon aus dem Servitenkloster verhaftet, wegen Fluchtgefahr". Das schlug ein wie eine Bombe. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner fütterte die Presse mit weiteren Sensationen. Ein Mafia-Ring sei ausgehoben worden, 10 Millionen hätten die "beinharten Bosse" der "Schleppermafia" an ihren Opfern verdient, schwangere Frauen hätten sie einfach auf ihren Schlepperrouten unversorgt zurückgelassen. Der Boulevard dankte mit ungefilterter Weitergabe der ministeriellen Botschaften.
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Das Missverständnis
Schon kurz darauf, als die Anklage vorlag, eilig aus zwei unterschiedlichen Ermittlungsakten zusammengeschustert, war klar, dass die "Horrormeldungen der Innenministerin" (Zitat Florian Klenk) wenig mit den acht verhafteten Männern aus Pakistan, Afghanistan und Indien zu tun haben können. Ein Missverständnis meinte Ministerin Johanna Mikl-Leitner anschließend.
Im Prozess bestätigte sich dieses Missverständnis mittlerweile eindrucksvoll. Selbst die vorgeladenen Ermittlungsbeamten der Soko Schlepperei sprachen nicht mehr von Gangsterbossen, sondern höchstens von kleinen Fischen, allenfalls mittellosen Gaunern, die sich mit Hilfsdiensten etwas dazuverdient haben könnten. Statt um hunderttausende Euros ging es um Taxirechnungen und kleine zweistellige Eurobeträge. Die Beschuldigten verteidigen sich freilich damit, ohne Bereicherungsabsicht ihren Landsleuten geholfen zu haben, Geld nur dann angenommen zu haben, wenn sie selbst Ausgaben für Essen oder Fahrkarten hatten.
Übersetzungsfehler
In den mehr als 10.000 abgehörten Telefonaten wurde jede dieser vorgeworfenen "Hilfsleistungen" dokumentiert. Statt Hilfe verstand die Polizei allerdings Schlepperei mit Bereicherungsabsicht. Schaler Beigeschmack dabei: teilweise eklatante Übersetzungsfehler in den Protokollen. Neben dem mittlerweile berühmten Wort "schleppungswillig", das es so in den gängigen Landessprachen der Region (Urdu, Panjabi, Paschtun) gar nicht gibt, fanden sich Interpretationen, sowie nachteilige Zusammenfassungen und Ungenauigkeiten.
So wurde zum Beispiel aus einer Diskussion am Telefon über den Kauf von Fahrkarten für andere Flüchtlinge, aus dem Satz "Da kann man nicht sparen" (Anm. für teure Tagestickets anstatt von günstigen Tickets für Nachtzüge) die falsche Übersetzung "Da werde ich nichts verdienen".
Verteidiger Philipp Bischof meinte zu den Polizeierhebungen, dass das einzig Handfeste, das die Ermittlungsakten enthalten, ein Aufgriff von vier der Angeklagten in Wien Meidling im Juni 2013 sei. Die vier Männer saßen damals mit gut einem Dutzend illegal eingereisten AsylwerberInnen aus Ungarn im selben Zug, allerdings nicht im selben Abteil, wie sie vor Gericht aussagten.
Ermittlungspanne: Echter Schlepper-Boss freigelassen?
Dazu kam während der Hauptverhandlung eine weitere peinliche und durchaus schwerwiegende Panne der Polizei ans Licht. Als zentrale Figur in der vorgeworfenen Schlepper-Organisation sei ein gewisser Mirza S. J. in Erscheinung getreten, ergaben die Ermittlungen der PolizeibeamtInnen. Der Spitzname des vermeintlichen Schlepper-Bosses und Hauptverdächtigen: Bobby Shah.
Bei der Befragung eines der Ermittlungsbeamten der "Soko Schlepperei" vor Gericht stellte sich heraus, dass dieser gleich zweimal in Polizeigewahrsam gewesen sei und wieder laufen gelassen wurde. Einmal saß Bobby Shah in Schubhaft, das zweite Mal wegen des Verdachts der Schlepperei im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände. Das war drei Wochen vor den Abschiebungen und Festnahmen rund um das Servitenkloster. Doch anstatt Bobby Shah sofort in Untersuchungshaft zu stecken wurde er aus "polizeitaktischen" Gründen wieder laufen gelassen. Heute ist er nicht mehr auffindbar. Ein Fehler, räumte ein Ermittlungsbeamter während des Verfahrens ein.
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Durcheinander
Zu all den Pannen kommt der Vorwurf der Verteidigung, dass die Anklage sehr schlampig fabriziert wurde. Richterin Petra Harbich meinte, dass sie mit der Erstfassung der Anklageschrift große Mühe hatte, ein ordentliches Verfahren durchzuführen. Ihrem Ärger darüber machte sie zwischenzeitlich auch im Gerichtsaal Luft. Der Fall müsste eigentlich wieder dem Untersuchungsrichter vorgelegt werden, meinte Harbich am Anfang des Prozesses.
Der Grund für den Ärger waren das Chaos und Durcheinander zwischen Ermittlungsakten und Anklageschrift, dazu Doppel- und Mehrfachanklagen zu ein- und denselben Verdachtsmomenten. Deswegen vertagte Harbich auch schon nach wenigen Prozesstagen, um die Anklage überarbeiten zu können. Die Staatsanwaltschaft zog im März daraufhin die Notbremse und enthaftete sechs der acht Angeklagten, die damals noch in U-Haft saßen.
Stockholmsyndrom
Mit der überarbeiteten Anklage konnten im Prozess mittlerweile alle Faken sehr genau aufgearbeitet werden. Die Richterin hat sich große Mühe gegeben, einen fairen Prozess zu gewährleisten, heißt es unisono von den VerteidigerInnen. Auch habe sich durch die lange Verfahrensdauer eine gewisse familiäre Atmosphäre eingeschlichen, mein Anwalt Clemens Lahner, das habe dem Prozess sehr gut getan. Sein Kollege Philipp Bischof meint dazu, dass er das Gefühl habe, dass sich durch die lange Verfahrensdauer so etwas wie ein Stockholmsyndrom eingestellt habe.
Das hat sich auch am letzten Verhandlungstag vor den Plädoyers gezeigt. Richterin Petra Harbich fragte noch einmal alle Angeklagten nach ihren Sprachkenntnissen und ob sie mittlerweile Deutsch gelernt hätten. Der Viertangeklagte meinte dazu: Der Prozess ist wie ein Deutschkurs. Ich verstehe Deutsch mittlerweile sehr gut. Er räumte allerdings ein: Wenn die Richterin etwas sagt verstehe er es besser,."Die Anwälte verstehe ich aber noch immer nicht", sagte er.
Am 4. Dezember wird es trotz Sympathiebekundungen ein Urteil geben.