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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

17. 3. 2014 - 19:02

Ist Fluchthilfe ein Verbrechen?

Prozessauftakt gegen acht Flüchtlinge wegen Schlepperei.

"Smash § 114!" und "Decriminalize Migration" steht auf den Transparenten der Demonstrierenden Montag Vormittag vor dem Wiener Neustädter Landesgericht. Hier startet der nächste Akt in der Geschichte: die Republik im Umgang mit protestierenden Flüchtlingen. Acht Personen waren bereits ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Vier von ihnen sind in der Refugee-Bewegung aktiv. Ihnen alles wird mithilfe des Schleppereiparagraphen §114 des Fremdenpolizeigesetzes der Prozess gemacht.

Protestbanner vor dem Gericht in Wiener Neustadt mit dem Text: "Repression kennt keine Grenzen, Solidarität braucht keine! Grenzregime angreifen!

Aurora Orso / Radio FM4

Prozessauftakt

Der große Schwurgerichtssaal ist zu Prozessauftakt voll mit SympathisantInnen, Prozessbeobachtenden und JournalistInnen. Staatsanwältin Gunda Ebhart trägt zu Beginn die Anklageschrift vor, wonach die acht Männer wegen Schlepperei angeklagt werden und zwar als Mitglieder einer kriminellen Organisation. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

JournalistInnen vor der Schwurgerichssaal in Wiener Neustadt

Aurora Orso/FM4

Die Staatsanwältin spricht von internationalen Netzwerken, die bis zu 10.000 Euro pro Flüchtling fürs Schleppen kassierten. Anfängliche Zwischenrufe aus dem Publikum gegen den Vortrag der Staatsanwältin mahnt Richterin Petra Harbich ab. Aus der Sicht der Verteidiger ist die ganze Anklage eine große Themenverfehlung. Eine Anwältin sagt: "Das war keine Schlepperei, keine Gewerbsmäßigkeit, sondern Hilfe von Landsleuten." Die Verteidiger sprechen von Freundschaftsdiensten, wie das Organisieren von Zugtickets, Essen oder Quartieren, wofür die Angeklagten manchmal auch ein geringes Entgelt erhalten hätten. Von den von der Innenministerin letztes Jahr kolportierten Millionen Euro an Einnahmen ist das weit weg.

Ein Angeklagter hofft in einer ersten Reaktion auf Gerechtigkeit: "Es ist eine Lüge. Dieser Schlepperei-Fall ist kein realer Fall. Dahinter stecken politische Gründe. Hoffentlich bekomme ich hier Gerechtigkeit." Auch Verteidiger Lennart Binder sieht im Prozess den Versuch "Symphatisanten einzuschüchtern und die Politik der Regierung zu legitimieren."

Protestkundgebung vor dem Gericht in Wiener Neustadt mit Infostand und Aktivisten davor. Am Infostand hängen Protestplakate gegen Abschiebung und die Kriminalisierung von Migration.

Aurora Orso / Radio FM4

Was geschah bis zum Prozess?

Vor eineinhalb Jahren sind hundert Flüchtlinge von Traiskirchen nach Wien marschiert. Sie protestierten gegen ihre schlechte Unterbringung, für ihr Aufenthalts- und Arbeitsrecht. Erstmals formierten sich Asylsuchende in Österreich zu einer Bewegung und forderten ihre Rechte selbst ein. Es wird nicht mehr nur über sie gesprochen, sondern sie erheben ihre Stimme. Sie sind vom Refugee Camp, das von der Polizei geräumt wurde, in die Votivkirche, dann ins Servitenkloster und nun in Privatunterbringungen übersiedelt. Die Flüchtlinge haben während ihrer Besetzungen eine öffentliche Diskussion über ihre Lage vom Zaun brechen können. Genau zu dem Zeitpunkt, als erste Flüchtlinge der Bewegung nach Pakistan abgeschoben wurden, hat die Innenministerin erstmals den Schleppereiverdacht gegen Mitglieder der Refugees erhoben. Johanna Mikl-Leitner sprach von "beinharten Bossen der Schleppermafia", die brutalst vorgingen und zehn Millionen Euro Umsatz gemacht hätten.

Bald darauf kam es zur Verhaftung der acht Personen, die nun vor Gericht stehen. Die Wochenzeitung "Der Falter" deckte daraufhin auf, dass sich in den Akten der ermittelnden Staatsanwaltschaft vergleichsweise harmlose Vorwürfe finden: Die beschuldigten Flüchtlinge werden beispielsweise verdächtigt, anderen geholfen zu haben, mit dem Zug von Budapest nach Wien zu kommen und sie mit Essen und Unterkünften versorgt zu haben. Dafür hätten sie Beträge zwischen 30 und 200 Euro erhalten. Die Versuche des Innenministeriums, die Refugees zu delegitimieren, zeigen aber Wirkung: Die Solidarität in der Bevölkerung hat abgenommen. "Das ist eine beliebte Strategie des österreichischen Innenministerium, dass man Leute, die sich über die Polizei beschweren, durch einen Griff in die Dreckkiste öffentlich diskreditiert und auf diese Art versucht, mundtot zu machen", erklärt der Journalist Florian Klenk im FM4 Interview.

Der Schlepperei-Prozess erinnert nicht nur wegen des Gerichtsortes an den Tierschutz-Prozess: Kritische Stimmen werfen dem Staat in beiden Fällen vor, Unbequeme für Politik und Gesellschaft einschüchtern zu wollen. Insgesamt sind noch dreizehn weitere Prozesstage anberaumt. Angehört werden die Angeklagten, ihre UnterstützerInnen sowie ErmittlerInnen der Polizei. Ein Urteil wird Anfang Mai erwartet.