Erstellt am: 29. 7. 2013 - 09:32 Uhr
"In Pakistan warten auf uns Gefängnis und Tod"
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Es ist Sonntagnachmittag. Vor dem Polizei-Anhaltezentrum bei der Wiener Rossauer Kaserne stehen die BeamtInnen regungslos da, und auch die 50 bis 70 DemonstrantInnen, die in wenigen Metern Abstand am Boden sitzen, wissen nicht, was gerade passiert. Der Mann schreit weiter, seine Stimme überschlägt sich, man hört seine ganze Verzweiflung darin. Er schlägt sich dabei auf die Brust. Die Schläge schmerzen beim Zuhören.
Radio FM4/Paul Pant
Das "gelindere Mittel"
Zuvor, um 9.00 Uhr, sind acht Flüchtlinge aus dem Servitenkloster nach den täglichen Polizeikontrollen auf verschiedenen Polizeistationen im 9. Bezirk nicht mehr ins Kloster zurückgekommen. Ihre Asylanträge sind in zweiter Instanz negativ entschieden worden, alle Rechtsmittel sind ausgeschöpft. Vergangene Woche wurde über sie - so wie bei 20 weiteren - das "gelindere Mittel" verordnet. Das bedeutet, dass sie sich jeden Tag bei der Polizei melden müssen, um nicht in Schubhaft zu kommen. Diese Situation haben die Behörden genutzt, um acht von ihnen per Festnahmeauftrag zu verhaften, erklärt Polizeisprecher Roman Hahslinger. Danach wurden sie in die Anhaltezentren gebracht. Die letzten Vorbereitungen für die Abschiebung am Montag getroffen.
Letzter Akt
"Steht endlich auf und macht etwas, es sind eure Freunde, eure Brüder", brüllt der junge Pakistaner nun in Richtung der DemonstrantInnen. Dann klettert er unter den Absperrgittern durch. Die PolizistInnen reagieren besonnen, er wird fast schon sanft wieder vor die Absperrung gedrängt. Es liegt eine gewisse Lethargie in der Luft, sowohl bei den PolizistInnen, als auch bei den DemonstrantInnen. Die einen oder anderen von ihnen werden sich in den vergangenen neun Monaten schon einmal gegenüber gestanden sein. Näher gekommen ist man sich nicht. Jetzt scheinen diejenigen, auf deren Rücken dieses unschöne Schauspiel österreichischer Asylpolitik ausgetragen wird, mit einer gewissen Phlegmatik das letzte Kapitel zu schreiben.
Radio Fm4/Paul Pant
"Sie werden uns töten“
Die beiden Flüchtlingssprecher Mir Jahangir und Muhammed Numan zeigen sich vor der Rossauer Kaserne gefasst, aber resigniert. Beide sind überzeugt davon, dass alle Flüchtlinge, die an den Protesten teilgenommen haben, irgendwann abgeschoben werden. Mir Jahangir sagt, dass es klar sei, dass keiner einen positiven Asylbescheid bekommen werde, weil sie das österreichische Asylsystem und die Behörden kritisiert haben.
Wie es für sie weiter geht, wisse er nicht. Denn nach Pakistan zurückkehren bedeute für sie Gefängnis und vielleicht sogar den Tod, ergänzt Muhammed Numan. "Weil wir Refugees auch Pakistan und die Taliban in den Medien kritisiert haben, werden uns die Geheimdienste schon am Flughafen erwarten und einsperren, wie Kriminelle behandeln. Sie werden uns töten", sagt er. Und Mir Jahangir: "Ich weiß hundertprozentig, dass wir in Pakistan ins Gefängnis kommen werden."
Kardinal Schönborn sieht Flüchtlinge in Lebensgefahr
Auch Wiens Kardinal Christoph Schönborn hat sich in einer Aussendung über die Abschiebung "bestürzt" gezeigt. Die Flüchtlinge seien in ihrer Heimat Pakistan in Lebensgefahr. "Wir haben in den vergangenen Monaten immer wieder dringend darauf hingewiesen, dass die menschenrechtliche Beurteilung Pakistans als sicheres Abschiebeland nicht den Tatsachen entspricht. Ich mache mir große Sorgen um das Leben der Flüchtlinge, die jetzt zwangsweise dorthin zurückgebracht werden", schreibt Schönborn. Diese Meinung teilen neben Schönborn auch Caritas, Grüne und viele NGOs. Sie alle appellieren an Politiker und Behörden, die Abschiebungen zu stoppen.
Mikl-Leitner verlässt sich aufs System
Wie in so vielen Fällen beantwortet die Politik die Frage, warum nun abgeschoben werde, mit dem Verweis auf die Entscheidungen des Aslygerichtshofes und damit, dass nach geltenden Gesetzen gehandelt werde. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auf die Frage im Ö1-Morgenjournal: "Bei den derzeitigen Fällen ist es so, dass alle Ermessenspielräume, die das Gesetz den Behörden einräumt, einfach ausgeschöpft sind und die Behörden verpflichtet sind fremdenpolizeilich zu handeln". Sie könne also gar nichts machen.
APA/HERBERT P. OCZERET
Und ob sie die Hand ins Feuer legen könne, dass den Asylwerbern in Pakistan nichts passiere? Mikl-Leitner: "Ich kann auch nicht garantieren, ob einem Asylwerber hier in Österreich ein Verkehrsunfall passiert, genauso wie ich das bei einem Österreicher oder einer Österreicherin passieren kann. Das wäre meines Erachtens in keinster Weise seriös, wenn ich mich jetzt einmische in eine Beurteilung. Ich verlasse mich hier ganz klar auf die Beurteilung des Asylgerichtshofes. […] Das heißt, jeder Fall wurde auf eine Gefährdung hin geprüft." Kurz gesagt: sicher ist gar nichts, schon gar nicht in Pakistan, aber es läuft alles nach Vorschrift, nach Punkt und Beistrich. Und das scheint das Wichtigste zu sein für die Innenministerin.
Kritik an Einschätzung der Sicherheitslage in Pakistan
Kritiker hingegen sagen, dass Pakistan alles andere als ein sicheres Land sei und dass die Sicherheitslage von den österreichischen Behörden völlig falsch eingeschätzt werde. Auch das Außenministerium warnt vor Reisen nach Pakistan, da die Sicherheitslage besorgniserregend sei. Für Mikl-Leitner sind das im Ö1-Interview allerdings zwei Paar Schuhe: "Die Reisewarnungen gelten ja in erster Linie für österreichische Staatsbürger, wo es eben darum geht, wo kann man Urlaub machen und wo nicht." Denn für ÖsterreicherInnen bestehe eine Gefährdungslage, weil sie oft Ziel für antiwestliche Kräfte seien, sagt Mikl-Leitner.
Warum allerdings Menschen, die in den Westen fliehen und hier leben wollen, keine Angst vor antiwestlichen Kräften haben müssen, diese Frage gilt es noch zu beantworten.