Erstellt am: 27. 3. 2014 - 19:35 Uhr
Schlamperei oder Skandal?
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Ein Knalleffekt schreiben und sagen die GerichtsreporterInnen. Und das trifft diesmal auch wirklich zu. Kurz nach neun Uhr eröffnet Richterin Petra Harbich die Verhandlung und erteilt der Staatsanwältin Gunda Ebhart das Wort. Die Staatsanwältin beantragt überraschend die sofortige Enthaftung aller in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten (sechs von acht Angeklagten). Damit kommt sie den Anträgen der Anwälte zuvor. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, wie die Staatsanwältin anmerkt. Die Männer aus Pakistan, Indien und Afghanistan saßen seit Juli 2013 in U-Haft.
APA / Herbert Pfarrhofer
Notbremse
Verteidiger Gerhard Angeler meint dazu, dass die Staatsanwältin die letzte Möglichkeit genutzt habe, das Gesicht zu wahren. Eine Notbremse quasi - nach acht Monaten. Nach einer knappen Stunde Unterbrechung wird der Prozess am Donnerstag fortgesetzt. In der Pause haben die sechs Männer ihre Zellen räumen können. Danach geht es mit der Einvernahme des achten Angeklagten weiter, am Nachmittag wird schließlich vertagt. Alle weiteren Verhandlungstermine bis 6. Mai sind gestrichen.
Das Verfahren hatte am 17. März begonnen. Den Angeklagten wird Schlepperei zur Last gelegt. Sie sollen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung bei der illegalen Einschleusung von Menschen mitgeholfen haben.
Durcheinander
Bereits am Vortag hat Richterin Harbich ihren Unmut über den sogenannten "Schlepper-Prozess" Luft gemacht. Der Fall müsste wieder dem Untersuchungsrichter vorgelegt werden, meinte sie. Das gibt es seit einer Novelle der Strafprozessordnung aber nicht mehr. Der Grund für den Ärger über die Anklage: Chaos und ein Durcheinander zwischen Ermittlungsakten und Anklageschrift, dazu Doppel- und Mehrfachanklagen zu ein- und denselben Verdachtsmomenten. Auch die Übersetzung der rund 10.000 mitgeschnittenen Telefonate werden von der Verteidigung in Zweifel gezogen.
FM4 / Paul Pant
Übersetzung oder Interpratation?
Neben möglichen Ermittlungsfehlern steht nämlich der Vorwurf der nachteiligen Interpretation der Übersetzungen im Raum (Stichwort: das amtsdeutsche Wort "schleppungswillig"). Ein Anwalt der Angeklagten beklagt, dass es in den Ermittlungsakten teilweise keine wortwörtlichen Protokolle zu den Telefonaten gebe, stattdessen Zusammenfassungen der Übersetzungen durch die ermittelnden Beamten. Der Verdacht der nachteiligen Interpretation liegt da natürlich nahe. Dazu finden sich Überschneidungen, ungenaue Querverweise und Ausführungen, sowie Tippfehler in der Anklageschrift. Richterin Petra Harbich will nun auch die Dolmetscherin vorladen und herausfinden, wie diese Übersetzungen zustande kamen und wer von den ermittelnden BeamtInnen dabei gewesen ist.
Rechtsanwältin Michaele Lehner erklärt in einer Aussendung: "Es hat sich herausgestellt, dass sich die Anklagepunkte überschneiden, sprich, die ermittelnden Behörden sehr oberflächlich gearbeitet haben. Wer, was, wo gemacht hat, ist nicht spezifiziert worden, wie es in einer Anklageschrift sein müsste." Und Verteidiger Josef Phillip Bischof sagt dazu: "Das polizeiliche Kartenhausgebilde wackelt ordentlich!"
FM4 / Paul Pant
Unter Zeitdruck?
Warum die ermittelnden Kriminalbeamten derart geschludert haben könnten, ist eine brisante Frage. Der Fall platzte just in den Vorwahlkampf der Nationalratswahl, zwei Tage nach den Abschiebungen von Flüchtlingen aus dem Servitenkloster. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach damals von menschenverachtenden Praktiken der Schlepper und einem millionenschweren internationalen Schlepperring.
Kurz darauf musste die Innenministerin - nach Kritik aus dem Bundeskriminalamt - ihre Vorwürfe relativieren. Statt Gangsterbossen sprach man plötzlich von kleinen Fischen, statt von tausenden Euros von Essenseinladungen, Zugtickets und Taxifahrten. Zur Entscheidung von Richterin Petra Harbich wollte sich die Ministerin am Donnerstag nicht äußern, es wude auf den Chef des Bundeskriminalamts Franz Lang verwiesen. Der sagte gegenüber dem Ö1 Mittagsjournal dazu: "Ich möchte das Wort schlampig hier nicht in den Mund nehmen, wir werden uns mehr Zeit nehmen müssen und dies auch in anderen Kontinenten und ferneren Länder präzise und genauer aufarbeiten." Von einer Blamage für die Polizei will er nicht sprechen. Aber man werde genauer arbeiten müssen.
APA / Herbert Pfarrhofer
Wie geht es weiter?
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hatte für die Vertagung kein Verständnis. Sprecher Erich Habitzl sagte gegenüber der APA , dass über vier Monate Zeit für die Vorbereitung der Hauptverhandlung gewesen seien. Eine Enthaftung der Angeklagten war aus Sicht der Staatsanwaltschaft "geboten", weil das Gericht die Vertagung des Verfahrens auf unbestimmte Zeit angekündigt habe, "um Fakten zu prüfen". Unter diesen Umständen sei den bereits acht Monate lang in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten eine Fortsetzung der U-Haft nicht zuzumuten, wenn auch der dringende Tatverdacht aufrecht bleibe, wie Habitzl betonte.
Wie es jetzt vor Gericht weitergeht, wird die Richterin entscheiden, sagt Gerichtssprecher Hans Barwitzius.
Am 6. Mai soll die Verhandlung wieder aufgenommen werden. Dann mit einer überarbeiteten Anklage.