Erstellt am: 27. 5. 2014 - 18:04 Uhr
Endgültig rehabilitiert?
Rückblick auf den Tierschützerprozess
"Demokratiegefährendende Entscheidung" - Martin Balluch über das Aufheben der Freisprüche im "Tierschützer-Prozess" (Robert Zikmund)
Tierschutz-Prozess: Freisprüche aufgehoben - Die Existenzen der 13 Angeklagten im sogenannten "Tierschützer-Prozess" gelten als ruiniert (Markus Zachbauer)
"Wir müssen wild, laut und gefährlich bleiben." - Ein Interview mit Martin Balluch anlässlich des Films "Der Prozess" (Robert Zikmund)
Der Musterprozess als Richtungsentscheidung - Ziviler Ungehorsam ist nicht kriminell (Claus Pirschner)
"Der Prozess" - Der Filmemacher Gerald Igor Hauzenberger dreht einen Dokumentarfilm über den Tierschützerprozess (Irmi Wutscher)
§278 Revisited - Die "Mafia"- und "Terroristenparagrafen" sind seit Jahren Grundlage für fragwürdige Ermittlungen (Rainer Springenschmid)
Heute wurde der letzte angeklagte Tierschützer am Landesgericht Wiener Neustadt in allen Punkten freigesprochen - das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Staatsanwalt hat sich noch nicht dazu geäußert. Dem ehemaligen ehrenamtlichen Mitarbeiter des VgT (Verein gegen Tierfabriken) waren Nötigung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen worden. Damit geht eine über sechs Jahre dauernde Causa zu Ende, bei der sich vor allem das österreichische Justizsystem nicht immer mit Ruhm bedeckt hatte:
SOKO Bekleidung
2006 hat eine SOKO Bekleidung erste Ermittlungen aufgenommen. Im Mai 2008 werden Hausdurchsuchungen bei TierschützerInnen durchgeführt. Zehn von ihnen kommen am 21. Mai 2008 in Untersuchungshaft. Ihnen werden unter anderem Sabotageakte, Anschläge auf Bekleidungsunternehmen, pharmazeutische Unternehmen oder Produzenten landwirtschaftlicher Produkte vorgeworfen. Außerdem sollen sie Teil einer militanten, international vernetzten Personengruppe sein.
APA/HELMUT FOHRINGER
Am 13. August 2008 wird ein Tierschützer aus der U-Haft entlassen, am 2. September dann die restlichen neun. Sie haben insgesamt mehr als hundert Tage in Haft verbracht. Martin Balluch geht als schachspielender, intellektueller Häftling in die Annalen der österreichischen Boulevardmedien ein. Am Tag nach der Enthaftung erzählt Marin Balluch im FM4-Interview: "Diese komplette Hilflosigkeit, dieses totale Ausgeliefertsein macht einen wirklich fertig. Das ist noch nicht wirklich alles eingesunken. Ich hab jetzt nur vier Stunden geschlafen. Ich bin gestern Abend rausgekommen, und ich bin bis jetzt noch nicht zum Denken gekommen."
Verdeckte Ermittlerin und andere Pannen
Am 11. August 2009 ist dann die Anklageschrift fertig: sie umfasst über 200 Seiten, der zentrale Vorwurf gegenüber den TierschützerInnen ist aber die Bildung einer kriminellen Organisation nach Paragraf 278a, dem sogenannten Mafiaparagrafen. Der Prozess beginnt im März 2010. Im Laufe der Verhandlungen treten zahlreiche Fragezeichen zu Tage. Zum Beispiel wird bekannt, dass die Angeklagten in einem bisher nicht bekanntem Maß überwacht wurden: Eine verdeckte Ermittlerin wurde in die Gruppe eingeschleust - allerdings brachte sie in sechzehn Monaten kaum strafrechtlich Relevantes zu Tage. Im Gegenteil: ihre Beobachtungen entlasteten die TierschützerInnen sogar. Deswegen fanden ihre Ermittlungen auch keinen Eingang in den Prozessakt - bis die TierschützerInnen durch einen anonymen Hinweis davon erfuhren.
Auch sonst gibt es Zweifel an der Prozessführung. Zum Beispiel von Petra Velten. Sie ist Strafrechtsexpertin an der Universität Linz und hat im Dezember 2010 einen Prozesstag besucht und darüber einen Artikel im Journal für Strafrecht veröffentlicht. Sie sagte damals: "Ich hatte schon das Gefühl, dass die Richterin die Verteidigung als störendes Element empfunden hat und im Grunde die ganze Verhandlungsführung darauf ausgerichtet war, zu verhindern, dass die Verteidigung kritische Nachfragen stellt."
Am 2. Mai werden schließlich alle Angeklagten von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen - die Richterin übt Kritik an der Soko Bekleidung. Allerdings: Die Staatsanwaltschaft meldet einen Tag darauf Berufung an.
APA / ANDREAS PESSENLEHNER
Prozess Runde 2
Im Juni 2012 werden die Freisprüche nach 278a - der Bildung einer kriminellen Organisation zwar bestätigt. Die Staatsanwaltschaft beruft aber gegen die Freisprüche wegen Sachbeschädigung, Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Tierquälerei - das Oberlandesgericht Wien ist jetzt am Zug, diese Berufung zu beurteilen. Im Juni 2013 hebt das Oberlandesgericht einen Teil der Freisprüche auf, für fünf Beschuldigte geht der Prozess in eine weitere Runde. Die Verhandlungen starten am 13. Mai 2014. Nach nur neunzig Minuten spricht der Richter Erich Csarmann einen Vier-Pfoten-Kampagnenleiter vom Vorwurf der Tierquälerei im Rahmen einer Schweinebefreiung frei - aus Mangel an Beweisen. Am 19. Mai werden dann drei weitere AktivistInnen freigesprochen.
Und heute wurde noch der letzte Tierschützer freigesprochen (Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Beim angeklagten Widerstand gegen die Staatsgewalt schenkte Richter Csarmann der Version des Angeklagten mehr Glauben als der des Polizisten. Und er hielt weder die Nötigung in den Protestmails, noch die Sachbeschädigung bei den Demos für bewiesen. Auch ließ er durchblicken, dass er den von den Modehäusern mit mehreren hunderttausend Euro angegebenen Schaden für nicht glaubhaft hält: eine Aufstellung von Geschäftseinbußen fand sich nicht im Akt.
Wer den Schaden hat…
Wer durch den jahrelangen Prozess dafür Schaden genommen hat, sind die (ehemals) Angeklagten: Neun von ihnen haben über drei Monate in Haft verbracht. Danach mussten 13 Angeklagte über ein Jahr regelmäßig lang zu Prozessterminen in Wiener Neustadt erscheinen. 88 Verhandlungstage sind es schlussendlich geworden, 34 waren ursprünglich anberaumt. Und die letzten fünf Angeklagten mussten noch weitere drei Jahre dran bleiben. Viele von ihnen konnten während dieser Zeit nicht regelmäßig arbeiten, mussten sich auf Familie oder Freunde verlassen. Der Prozess ist also gewonnen, der Schaden bleibt.
"Ich bin zutiefst erleichtert, aber auch wahnsinnig gerührt. Jetzt sind wir endgültig rehabilitiert. Gar nichts ist übrig geblieben von der ganzen Anklagerei", sagte VGT-Obmann Martin Balluch heute der APA. Er selbst wird am 26. Juni als Kläger vor Gericht ziehen: Denn da beginnt der von ihm gegen die Republik Österreich angestrengte Prozess, in dem er vom Staat 600.000 Euro an Anwaltskosten für den Tierschützer-Prozess fordert.
Interview mit Martin Balluch
Martin Balluch ist am Mittwoch, den 28. Mai live in FM4 Connected und spricht über das Ende des Tierschutzprozesses. Das Interview gibt es im Anschluss für 7 Tage on Demand.