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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

11. 6. 2013 - 17:17

"Demokratiegefährendende Entscheidung"

Martin Balluch über das Aufheben der Freisprüche im "Tierschützer-Prozess", pelztragende Richterinnen und warum er sich selbst wegen Nötigung anzeigen wird.

Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hat einen Teil der Freisprüche des vor zwei Jahren zu Ende gegangenen Tierschützerprozesses wieder aufgehoben. Fünf der ursprünglich 13 Beschuldigten müssen sich wegen Nötigung, Sachbeschädigung, Tierquälerei und Widerstands gegen die Staatsgewalt noch einmal vor Gericht verantworten. Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, war heute bei Robert Zikmund in Connected zu Gast.

Robert Zikmund: Herr Balluch, seit gestern ist jetzt klar, dass fünf Angeklagte aus dem "Tierschützer-Prozess"
doch nicht freigesprochen sind. Der Hauptanklagepunkt, der sogenannte "Mafia-Paragraph" ist allerdings vom Tisch. Was bleibt, sind Anklagen wegen Sachbeschädigung, Tierquälerei und Widerstand gegen die Staatsgewalt, das wird neu verhandelt. Wie interpretieren sie diesen Spruch vom OLG Wien?

Martin Balluch

APA/Georg Hochmuth

Martin Balluch

Martin Balluch: Die genannten Punkte sind eigentlich Nebenschauplätze, da geht’s um eine eingeschlagene Scheibe, es geht um das Zerschneiden eines Reptilien-Posters, also Lächerlichkeiten. Die "Tierquälerei" bezieht sich auf das Öffnen der Tür einer Tierfabrik, sodass die Schweine auf eine Wiese gehen konnten und auf dem Weg dahin sollen sie sich gegenseitig gerempelt haben oder aufgeritten sein. Auch das: Eine Lächerlichkeit. Der zentrale Punkt ist Nötigung, und zwar nicht Nötigung in dem Sinn, wie man sich das landläufig vorstellt, dass man eine Firma bedroht - mit Sachbeschädigung, mit Gewalt, wenn sie nicht gewissen Bedingungen folgt, sondern - und das wird in dem Urteil ganz detailliert ausgeführt - wenn man einer Firma ankündigt, wenn sie nicht tierfreundlicher produziert, wird man ihre Kunden und Kundinnen darüber aufklären, und die werden möglicherweise weniger ihre Produkte kaufen. Das wird hier als Nötigung angeklagt und das ist natürlich ein Skandal.

Sie behaupten auch, die Entscheidung vom Oberlandesgericht Wien ist demokratiegefährdend,
wie meinen sie das?

Zur Meinungsfreiheit gehört, dass ich sagen kann "Das ist Tierquälerei, kaufen sie dort nicht, denn sonst unterstützen sie das". Dieses Grundrecht wird von diesem OLG Urteil in Frage gestellt. Übrigens stellt das OLG Urteil auch das Streikrecht in Frage, weil es steht in einem Satz explizit, man muss sich auch bei Streik fragen, ob die Methodik und das Ziel nicht vielleicht sittenwidrig ist - das ist irgendwie das neue Kernwort des OLG-Urteils. Es sei sittenwidrig, behaupten die OLG-RichterInnen, wenn man von einer Firma fordert, dass sie das Gesamtpelz-Sortiment aussondern soll. Es wäre nicht sittenwidrig, wenn man nur ein Aussondern der nicht von artgerechter Tierhaltung kommenden Pelze fordern würde. Diese seltsamen Ideen, was Tierschutz ist, werden uns jetzt vom OLG aufoktroyiert.

Vermuten sie jetzt, Teil einer Art Verschwörung zu sein, wo auch das OLG dazugehört - es gibt ja immerhin auch Aufnahmen aus Wiener Neustadt, die einen Anwalt zeigen, der mit der Hand eine Pistole nachahmt und auf Kollegen von ihnen "schießt" ...

Natürlich glaube ich nicht an eine Verschwörung, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die hier zuständigen RichterInnen selbst Pelz tragen und sich seit geraumer Zeit über die Kundgebungen von Tierschützern ärgern. Man muss auch sagen, die zwei wichtigen RichterInnen, die das jetzt entschieden haben, haben schon im Juli 2008 die Berufung gegen den U-Haft-Beschluss abgewiesen und zwar mit dem Argument, dass wir eine kriminelle Organisation wären und deswegen 1-10 Jahre eingesperrt werden. Hier schon haben sie Farbe bekannt. Und die selben Richterinnen gelten nun als unbefangen, um die Berufung des Staatsanwalts zu behandeln. Das ist auch ein Unikum, das es in anderen Ländern gar nicht gibt. Aber auf dem Level des Oberlandesgerichts, das heißt auf der Ebene wo die Berufungen behandelt werden, gibt es das Gebot nicht, dass nicht die selben RichterInnen zwei verschiedene Fälle des selben Bereichs beurteilen dürfen. Das gibt es in anderen Ländern sehr wohl.

TierschützerInnen protestieren nackt im Winter 2008

Thimfilm

Szenenbild aus der Doku "Der Prozess"

Wenn man sich jetzt die Reaktionen - unter anderen in den verschiedenen sozialen Netzwerken anschaut, da sieht man, dass die meisten Menschen hoffen, dass die Wieder-Angeklagten diese Sache durchstehen, ohne dass ihr Leben zerstört wird. Aber es gibt auch Kritikpunkte, da postet jemand in unserem Forum zum Beispiel "Meiner Meinung nach zeigt sich an der Reaktion der Gesellschaft und auch an der Reaktion der Balluchs, das die aktuellen Maßnahmen des VGT im Grunde ungeeignet sind, um eine Verbesserung der Situation für Tiere zu erwirken ..." Was entgegnen sie dem?

Das ist eine Reaktion der Tierindustrie bzw. der von der Tierindustrie-Lobby aufgehussten Politik oder Staatsanwaltschaft. Wir sind offensichtlich effektiv,
sonst würde man nicht auf diese Art und Weise gegen uns vorgehen. Die Mittel, mit denen wir bekämpft werden, sind ganz offensichtlich rechtsstaatswidrig. Aber man wählt diesen Weg, weil man unsere Aktivitäten und Kampagnen offenbar als Bedrohung empfindet. Übermorgen wird die tierische Lebensmittelproduktion als Staatsziel in die
Verfassung aufgenommen, auch das zeigt, woher der Wind weht. Da gibt es Leute in der Tierindustrie, die der Meinung sind, dass diese Tierschützer, dieser Veganismus, diese Idee, dass man Tierprodukte nicht mehr will, für sie langsam gefährlich werden, jetzt schreiben die das Fleischessen sogar als Wert in die Verfassung hinein. Man sieht also, wir sind sehr effektiv, es gibt ja einen Riesen-Veggieboom und ein irrsinniges Interesse an Veganismus. Und gewisse anachronistische Strukturen im Land fühlen sich dadurch bedroht.

Wenn der Prozess neu aufgerollt wird, planen sie Aktionen, haben sie eine Strategie, wie sie damit umgehen?

Wir werden auf jeden Fall die Zivilgesellschaft mobilisieren, weil dieser Vorwurf wirklich bedrohlich ist. Welche NGO wird nicht Firmen wegen ihrer Politik kritisieren und KundInnen aufrufen, dort nicht zu kaufen, wenn diese Politik nicht geändert wird? Ich werde mich auch selbst anzeigen. Wir haben nämlich insgesamt 100.000 Unterschriften gesammelt mit der Petition "Kleider Bauer stoppt den Pelzverkauf", wo die unterzeichnenenden Personen die Geschäftsleiter dieser Firmen auffordern, aus dem Handel auszusteigen und feststellen, dass sie - bis
dieser Schritt vollzogen wird - dort nicht mehr einkaufen werden. Genau das wird nun als Nötigung angeklagt. Hier sind also 100.000 Menschen, die eigentlich schon mit
ihrer Unterschrift sagen, wenn das Nötigung ist, dann hab auch ich Nötigung begangen. Dasselbe sage ich und werde mich selbst anzeigen und Leute aufrufen, sich ebenfalls selbst anzuzeigen. Nach Henry David Thoreau "Wenn in einem ungerechten Staat Menschen eingesperrt werden, gehören auch die rechtschaffenen Menschen ins Gefängnis".

Sie zeigen sich selbst wegen Nötigung an?

In dem Sinn, dass ich die Staatsanwaltschaft auffordere, das zu untersuchen. Ich bin überzeugt davon, dass sowas keine Nötigung ist, aber es ist 1:1 dasselbe, was in diesem OLG Urteil steht und dann möchte ich auch vor Gericht sitzen.