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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

25. 2. 2011 - 10:36

§278 Revisited

Die "Mafia"- und "Terroristenparagrafen" sind seit Jahren Grundlage für fragwürdige Ermittlungen. Jetzt werden Forderungen, das Gesetz zu refomieren, immer lauter.

Tierschützer, Väterrechtler und KunststudentInnen – gegen sehr unterschiedliche politisch engagierte Gruppen wurde und wird wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ermittelt.

Dabei geht es vor allem um die umstrittenen Paragrafen 278, 278a und 278b des Strafgesetzbuches. Die kriminelle Vereinigung, §278, hat 2003 den Begriff der Bande abgelöst. Die Tierschützer, deren Prozess gerade in Wiener Neustadt läuft, sind wegen §278a, Bildung einer kriminellen Organisation, angeklagt. Das ist der sogenannte Anti-Mafia-Paragraf, der Menschenhandel, Schlepperei oder sexuelle Ausbeutung, Geldfälschung, Drogen- oder Waffenhandel in einer großen, hoch organisierten Vereinigung miteinschließt. §278b, die terroristische Vereinigung, ist Grundlage für Ermittlungen gegen KunststudentInnen aus der unibrennt-Bewegung, die Mistkübel angezündet haben sollen und eine Abschiebung gefilmt haben.

Öffnung ins Beliebige

"Gemeinsam ist diesen Bestimmungen, dass sie die Mitgliedschaft in einer Gruppierung bestrafen", so Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes von der Juridischen Fakultät der Uni Wien, "ohne, dass dieses betreffende Mitglied tatsächlich explizit beteiligt sein muss an einem strafbaren Übergriff gegen jemanden anderen."

Und hier setzt auch die Kritik an, zum Beispiel die des Staats- und Verfassungsrechtlers Bernd Christian Funk: Denn Mitglied ist laut Gesetz nicht nur, wer innerhalb einer solchen Gruppierung Straftaten begeht oder aktiv unterstützt – beides klar umrissene Tatbestände und somit nicht das Problem – sondern auch wer sich auf andere Weise in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung und deren strafbare Handlung fördert. "Das", sagt Funk, "ist eine Öffnung ins Beliebige."

Denn damit, erklärt Ingeborg Zerbes, würde sich das Strafrecht von der Bestrafung konkreter Taten weg entwickeln – hin zur Bestrafung von Gesinnung: "Ein solcher Tatbestand, der schon die Mitgliedschaft und die geistige Einstellung im weitesten Sinne unter Strafe stellt, ist weitaus früher angesetzt, nämlich noch bevor es zu einem konkreten Übergriff kommt."

Gesinnungs- und Verdachtsstrafrecht

Bernd Christian Funk spricht von Gummiparagrafen, "die ein Rückfall hinter die Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts und der Aufklärung sind, wo man mit Recht großen Wert darauf gelegt hat (und bis heute legt), dass Strafrecht präzise ist und genau sagt, was denn eigentlich verpönt ist und nicht mit solch diffusen und daher beliebig instrumentalisierbaren Elementen arbeitet."

Besonders gefährlich ist das vor allem, weil die Vorwürfe, eine kriminelle oder terroristische Gruppierung zu bilden, zu den schwersten gehören, die das Strafrecht kennt, also enorme Ermittlungs- und Repressionswerkzeuge rechtfertigen. Kritiker sprechen hier von einer "Dosenöffnerfunktion", über die mit wenig konkreten strafrechtlichen Anhaltspunkten der Einsatz von starken Mitteln der Verbrechensbekämpfung begründet werden kann.

Kritik gibt es auch daran, dass der §278a überhaupt auf Tierschützer und NGOs anwendbar ist. Die Grünen kritisieren hier vor allem die Formulierung, kriminelle Organisationen seien nicht nur die, die mit ihren Verbrechen Gewinn erzielen wollen (also die klassischen Mafias), sondern auch solche, die erheblichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft anstreben. Auch Funk meint, dass politisch motivierte Verbrecherorganisationen durch die Terrorismusparagrafen 278b und c genügend abgedeckt seien.

Die Paragrafen reparieren

Bernd Christian Funk tritt nicht dafür ein, die Paragrafen völlig abzuschaffen, er möchte sie reparieren, und zwar dort, wo sie seiner Ansicht nach zu weit gehen. "In der Anwendungspraxis kommt es nicht rechtlich, aber faktisch – und das ist noch viel gefährlicher als das Rechtliche – zu einer Umkehr der Beweislast." Man brauche sich nur den Strafantrag im Tierschützerprozess anschauen. "Das heißt, wer verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird, dem obliegt es dann, im Hinblick auf diese Bestimmungen, nachzuweisen, dass er oder sie unschuldig ist."

Wohl vor allem wegen des seltsamen Verlaufs des Tierschützerprozesses scheint jetzt Bewegung in die Diskussion um eine Reform des Paragrafen zu kommen. Von den Betroffenen und von den Grünen kommt schon länger Kritik am §278, auch der FPÖ-Abgeordnete Norbert Hofer, der die Väterrechtler unterstützt, verlangt eine Reparatur. Letzte Woche hat sich auch der Justizsprecher der SPÖ, Hannes Jarolim, auf die Seite der Kritiker geschlagen – obwohl die SPÖ einst das Gesetz selbst mit beschlossen hat, was Jarolim inzwischen bedauert.

Allerdings hat Hannes Jarolim als Mitglied des Justizausschusses im Nationalrat auch dazu beigetragen, dass der 278er nicht noch schwammiger und gefährlicher wurde. Als letztes Jahr im Zuge der Terrorismusprävention der §278 nochmals verschärft wurde (§278e Ausbildung für terroristische Zwecke wurde hinzu gefügt), verhinderte der Ausschuss auf Druck von NGOs, dass die vom Justizministerium geplanten Paragrafen 278f, 282a und 283 (Anleitung, Aufforderung und Gutheißung terroristischer Straftaten) gleich mit beschlossen wurden. Denn auch dort fanden sich so ungenaue Formulierungen, dass NGOs und JournalistenvertreterInnen die Presse- und Meinungsfreiheit ernsthaft gefährdet sahen.

Die konzertierte Aktion mehrerer NGOs und Rechtsexperten damals scheint der Startschuss für ein Umdenken in Bezug auf den Paragraf 278 gewesen zu sein, raus aus der Verschärfungsschleife. Inzwischen hat sich die Zahl derer, die den §278 öffentlich für reformbedürftig erklären, vervielfacht. Auf dem »Friedensgipfel« zwischen Strafrechtsprofessorin Petra Velten und dem Präsident der Richtervereinigung, Werner Zinkl, mit Bundespräsident Heinz Fischer und dem ehemaligen Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich, haben sich die Beteiligten letzte Woche auch für eine "kritische Evaluierung" des §278 ausgesprochen. Und inzwischen ist man auch im ÖVP-Klub dafür. Allerdings heißt es aus dem Klub, man wolle dort das Ende des Verfahrens gegen die Tierschützer abwarten und erst dann feststellen, ob wirklich das Gesetz unpräzise sei, oder ob es in Wiener Neustadt nur „wahnwitzig angewendet“ werde.

Das Ministerium hat Zeit

Im Justizministerium sieht man die Angelegenheit nicht als so dringlich an. "Derzeit sehe ich keinen akuten Handlungsbedarf", sprach Ministerin Claudia Bandion-Ortner diese Woche in der Ö1-Sendung Im Klartext. "Ob der Paragraf so ausgelegt werden kann oder nicht, das muss das Gericht entscheiden." Aber egal wie das Gericht entscheidet: Nach Ermittlungen, Untersuchungshaft und 70 Prozesstagen ist das Leben von Verdächtigen und Angeklagten so oder so bis auf weiteres ruiniert.