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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

24. 2. 2011 - 11:06

"Es ist kein Zustand"

Martin Balluch über politische Arbeit, Paranoia und die fehlende Diskussion über Tierschutz.

Die ersten, gegen die in Österreich nach 278a, dem so genannten Mafia-Paragrafen, ermittelt wurde, sind TierschützerInnen. Den AktivistInnen zweier Vereine wird vorgeworfen, gemeinsam eine terroristische Organisation gebildet zu haben. Erste Verhaftungen und Hausdurchsuchungen gab es im Frühjahr 2008, seit knapp einem Jahr läuft nun der Prozess am Landesgericht Wiener Neustadt. Wegen dem großen Aufwand rund um den Prozess und Angst vor Bespitzelung und Repression geht das eigentlich Anliegen der Vereine, der Tierschutz, derzeit ein wenig unter.

Martin Balluch, erster Angeklagter im Tierschutzprozess und Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) über politische Arbeit, Paranoia und die fehlende Diskussion über Tierschutz:

Wie läuft es gerade im Verein gegen Tierfabriken, wie läuft es vor allem mit der politischen Arbeit?

Die ist natürlich behindert durch diesen Prozess, wir sind ja im Fokus einer amoklaufenden Sonderkommission gestanden und stehen das immer noch. Die Hälfte unserer Angestellten steht vor Gericht und zwar drei Mal die Woche, den ganzen Tag. Darauf muss man sich natürlich auch vorbereiten, das nimmt wahnsinnig viel Zeit in Anspruch von diesen Personen. Sie müssen natürlich weiterarbeiten, aber das geht nicht vollbeschäftigt, deswegen mussten sie mittlerweile auf Halbzeit umgestellt werden. Einer ist überhaupt ganz ausgeschieden, sicherlich auch aus Angst, weil er praktisch nur angeklagt ist, weil er Kampagnenleiter bei uns ist.

Als NGO haben wir natürlich auch noch viele ehrenamtliche MitarbeiterInnen, aber es macht sich Angst breit: Wenn man bei uns mitmacht, wenn man Versammlungen, Demonstrationen organisiert, wenn man KundgebungsleiterIn ist, dann kommt man ins Visier irgendwelcher Terrorismusbekämpfer, das haben wir jetzt gelernt. Wenn man mit mir telefoniert muss man damit rechnen, abgehört zu werden, wenn man mit mir Emails austauscht, muss man damit rechnen, dass die mitgelesen werden, man muss in diesem Büro damit rechnen, dass Wanzen an der Wand kleben, das ist kein Zustand.

Martin Balluch

APA/HELMUT FOHRINGER

Martin Balluch

Werden die Leute insgesamt auch vorsichtiger, ihre Sympathie zum Tierschutz auszudrücken?

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass das so ist. Mir hat man zum Beispiel in der Untersuchungshaft erklärt, solange ich Obmann dieses Vereins wäre, käme ich nicht aus der Untersuchungshaft heraus. Es gibt einen starken direkten Druck, mit dem VGT in Verbindung zu stehen. Aber auch sich überhaupt laut und mit Rückgrat für Tierschutz oder andere politische Themen auszusprechen. Weil wir haben jetzt gelernt, dass das wahnsinnig gefährlich ist.

Nachdem jetzt bekannt wurde, dass der Verein auch bespitzelt wurde, wie groß ist die Tendenz sich abzuschotten? Also wenn ich hier hereinspaziere und sage, ich will mitmachen, wird mir da überhaupt vertraut?

Man muss einen Mittelweg gehen zwischen Paranoia und vernünftiger Vorsicht. Wir wissen jetzt also, dass sich die Staatspolizei nicht scheut, Mikrofone zu installieren oder Leute einzuschleusen. Aber man kann nicht jedem Menschen gegenüber misstrauisch sein, im Gegenteil wir sind ja sehr offen und wollen ja viele Menschen erreichen bzw. sie dazu bringen mit zu tun, denn letztendlich wollen wir eine Massenbewegung für Tierschutz werden.

Trotzdem verurteile ich den Einsatz der verdeckten Ermittlerin massiv und ich sehe nicht ein, warum grundlos und ohne jedes Indiz einer kriminellen Handlung in meiner Umgebung Spitzel eingeschleust werden und Mikrofone an der Tür angebracht werden und ein Peilsender ein halbes Jahr auf meinem Auto pickt. Das ist ja unglaublich! Aber da müssen wir sozusagen durch und dürfen nicht in Paranoia verfallen. Weil das will der Staat, das ist die erwünschte Nebenwirkung von dem Ganzen, dass man sich immer mehr abschottet. Wenn man von denen dauernd wie ein Verbrecher behandelt wird, beginnt man sich auch wie einer zu fühlen, der sich immer über die Schulter schaut, ob er schon verfolgt wird. Das will ich nicht zulassen und das sollen wir nicht zulassen, wir müssen weiter offen bleiben gegenüber Menschen, die kommen und mitmachen wollen.

Den VGT kennen dank des Tierschutzprozesses jetzt mehr Menschen als je zuvor. Nützt das der Sache oder gehen dabei die eigentlichen Inhalte unter?

Für uns ist es derzeit nicht leichter, Tierschutz zu thematisieren. Einerseits durch die externe Belastung. Und andererseits, wenn die Medien schon wegen des Prozesses über uns berichten, dann nicht auch noch wegen etwas anderem. Obwohl jetzt ganz zentrale Themen anstehen, wie zum Beispiel eine neue Schweinehaltungsverordnung, die überfällig ist und für die wir uns schon seit fünf Jahren ununterbrochen einsetzen. Wo sind die Medienberichte darüber, wo ist die öffentliche Diskussion?
Es ist also so, dass das Thema Repression uns das Thema Tierschutz verstellt. Es ist ein zweischneidiges Schwert: einerseits gibt es den Vorteil, dass man öffentlicher, bekannter wird, aber das Thema ist schon besetzt, eben mit der Repression anstelle von Tierschutz-Inhalten.