Erstellt am: 24. 2. 2011 - 10:53 Uhr
Terroristen wie du und ich
Ich kenne Petra von der Uni. Sie hat eine ruhige, beinahe schüchterne Art und studiert bildende Kunst. Ich kenne einige ihrer Zeichentrick-Filme. Ansonsten kann ich über sie erzählen, dass sie ehrenamtlich zwei tschetschenischen Kids Deutsch-Nachilfe gegeben hat, sich gemeinsam mit anderen in der Uni-Bewegung für eine emanzipatorische, antirassistische und feministische Bildung engagiert hat und im Sommer verhaftet worden ist.
Am 6. Juli 2010 stürmte die Polizei drei Wohngemeinschaften sowie die Räume des alternativen Kulturvereins Kaleidoskop in Wien und verhaftete Petra sowie zwei weitere Studierende. Der Vorwurf: Sie hätten Mistkübel vorm AMS im fünften Bezirk in Brand gesteckt und seien eine "terroristische Vereinigung".
Pressegruppe
Repression und Solidarität
Zwei Wochen nach den Verhaftungen wird eine vierte Studierende verhaftet. Während den knapp sieben Wochen Untersuchungshaft (erschwert mit Besuchsverbot) lässt die Haftrichterin die Ermittlungen nach der "terroristischen Vereinigung" - §278b - aus Beweismangel einstellen. Es wird nur mehr wegen "verbrecherischem Komplott" - §277 - ermittelt.
Für Petra, Kim, Alex und Ulli steht die Welt Kopf. "So wie für ganz viele Studierende, die sich währen den Uniprotesten aktiv betätigt haben, sei es in Arbeitskreisen, sei es beim Transparente malen oder im Plenum zu sitzen, haben auch wir uns in unterschiedlicher Form dabei engagiert."erzählt Ulli. Er habe sich in den Polizeiakten, die es über ihn gibt, nicht wiedererkannt, wo behauptet wird, er sei "Teil einer abgeschlossenen Gruppe."
Wann genau das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung damit begonnen hat, die #unibrennt-Bewegung zu beobachten, ist unklar. Ulli geht davon aus, dass verdeckte Ermittler in die Bewegung geschleust wurden. Für den Philosophen Peter Sloterdijk ist die Kriminalisierung der Uni-Bewegung Beispiel einer allgemeinen Tendenz. ProfessorInnen der Akademie der Bildenden Künste Wien haben in einem offenen Brief gegen das Vorgehen der Polizei protestiert.
malen-nach-zahlen.at
24.2.2011, Connected (15-19 Uhr): §278-Schwerpunkt auf FM4
- Terroristen wie du und ich: Über die Kriminalisierung von Protest am Beispiel von #unibrennt (Lukas Tagwerker)
- Martin Balluch über politische Arbeit, Paranoia und die fehlende Diskussion über Tierschutz (Irmi Wutscher)
- Rufe nach Reform der Paragrafen werden laut (Rainer Springenschmid)
Ähnlich wie bei dem aktuell laufenden Tierschützerprozess wirft die Polizei dort, wo es keine konkreten Hinweise auf strafbare Handlungen gibt, den Beschuldigten deren politische Aktivitäten vor. So heißt es in einem Polizeibericht über Ullis Wohngemeinschaft, in der eine Vielzahl von Protest-Plakaten gefunden wurde:
"Es ist davon auszugehen, dass die [...] Wohnung als eines der Zentren der Protestbewegung (Audimax-Besetzung etc) in den Jahren 2009 und 2010 gedient haben kann."
Für Kim ist diese Behauptung ein Beweis dafür, wie wenig die Polizei von der Dynamik der Proteste begreifen konnte: "Es gab nie ein Zentrum. Es war alles dezentral organisiert. Jeder hat an anderen Themen unabhängig gearbeitet."
Als die Studierenden vier Monate nach den Verhaftungen ihre beschlagnahmten Privatgegenstände von der Polizei zurückholen wollen, droht der leitende Ermittler ihnen erneut mit Haft: es geht um beschlagnahmte Videobänder, deren Interpretation durch die Polizei zu einem erneuten Antrag an die Staatsanwaltschaft führt, Ermittlungen nach §278b, Bildung einer terroristischen Vereinigung, einzuleiten.
FM4 Claus Pirschner
Die Videobänder sind Rohmaterial für einen Film über die polizeiliche Abschiebepraxis. Eine knappe Stunde lang wird eine Abschiebung vom Anhaltezentrum Rossauer Kaserne bis zum Flughafen Wien Schwechat dokumentiert. Der Polizeibericht dazu formuliert eine Möglichkeit:
"Auf dem Dach des AUA Parkhauses sind zwei Funkmasten installiert. Auf diesen befinden sich Funkanlagen für den Flugbetrieb, bzw. für den Flughafenberich. Eine Manipulation an dieser Funkanlage hätte möglicherweise für den Flughafenbetrieb, aber auch für den Flugverkehr an sich, unabsehbare Folgen."
Der Polizeibericht sagt nicht, dass es Manipulationen an der Funkanlage gab. Er sagt auch nicht, dass es Hinweise auf geplante Manipulationen an der Funkanlage gibt. Er behauptet aber, dass sich auf dem Dach des Parkhauses, von wo gefilmt wurde, Funkanlagen "für den Flugbetrieb" befinden würden. Und diese Behauptung ist falsch. Die Beschuldigten haben bereits einen Beweisantrag eingebracht: es handelt sich bei den Funkanlagen um gewöhnliche Handy-Funkmasten.
Kim kann sich die Ungereimheiten und widersprüchlichen Konstruktionen, die in den Vorwürfen enthalten sind nur so erklären: "Ich glaube es ist ein ganz klares Zeichen seitens der Polizei an alle Leute, die sich politisch interessieren und engagieren: eine Einschüchterungstaktik."
Bis jetzt gibt es noch keine Anklage gegen die Studierenden. Die Ermittlungen sind weiter am Laufen.
Interview mit Alex, Kim und Ulli
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