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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

23. 11. 2011 - 16:23

"Wir müssen wild, laut und gefährlich bleiben."

Mehr als zwei Jahre standen dreizehn AktivistInnen im Tierschützer-Prozess vor Gericht. Der Doku-Film "Der Prozess" hat sie begleitet. Wie hat sich ihr Leben durch den Prozess verändert? Gingen sie mit ihren Aktionen zu weit? Ein Interview mit Martin Balluch.

Gerald Igor Hauzenbergers Film über den grotesken Tierschützer-Prozess, gewann bei der Viennale den Wiener Filmpreis für den besten heimischen Dokumentar-Film. Der prominenteste Angeklagte, vor allem wegen des Verdachts auf "Bildung einer kriminellen Organisation" nach Paragraph 278A des Strafrechts, war Dr. Dr. Martin Balluch. Er war heute zu Gast bei Robert Zikmund im FM4-Studio.

Robert Zikmund: Martin Balluch, wie hat sich dein Leben vom Freispruch bis zur Filmpremiere verändert? Was hat der Film verändert?

Martin Balluch

APA/Georg Hochmuth

Martin Balluch

Martin Balluch: Ich war auf jeden Fall wahnsinnig erleichtert, als der Prozess endlich vorbei war, obwohl er ja noch immer wie ein Damokles-Schwert über uns schwebt, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Es kann noch eine Berufung der Staatsanwaltschaft geben, und es gibt noch nicht einmal ein schriftliches Urteil. Der Film, auf der anderen Seite, schildert das, was uns alles zugestoßen ist in den letzten drei Jahren. Und zwar in einer sehr überzeugenden Weise. Es ist für mich sehr erleichternd, zu erleben, dass nicht nur ich den Prozess ganz subjektiv so dramatisch erlebte, sondern der Film es sozusagen objektiv wiedergibt. Jeder Mensch, der das sieht, muss auch darüber entsetzt sein, das was da passiert ist.

Bei der Viennale hieß es, ihr glaubt nicht, dass jetzt alles erledigt sei. Vielmehr könne man davon ausgehen, dass selbst bei der Premiere 'spioniert' worden sei und die Behörden weiterhin Daten sammeln würden. Hast du das Gefühl, dass dieser Film euer Leben durch die erzeugte Öffentlichkeit nun sicherer macht? Oder besteht nach wie vor Angst, wieder am frühen Morgen aus dem Bett gerissen zu werden?

Diese Angst muss leider seit diesen Ereignissen weiterbestehen. Es gibt offensichtlich ein für mich nicht nachvollziehbares, riesengroßes Interesse gewisser Polizeieinheiten und wahrscheinlich auch politischer Kreise, Einfluss auf uns zu nehmen, uns im Auge zu behalten, und uns möglicherweise noch einmal zu kriminalisieren. Dass der Film uns in dieser Weise porträtiert, ist aber ein sehr großer Schutz. Ich bin überzeugt davon, dass ich sehr lange in Untersuchungshaft geblieben wäre, wären nicht die Medien und die sympathisierende Öffentlichkeit gewesen, die da kritisch berichten, und uns letztendlich raus geholt haben.

Eine andere Frage, die ich mir gestern bei der Filmpremiere oft gestellt habe: Welche Rolle hat die Richterin gespielt? Was war das für eine Person? Teilweise kommt sie ja recht ruppig rüber im Film.

Sie war sehr scharf und autoritär. Sie hat mich praktisch täglich damit bedroht, ich würde physisch aus dem Gerichtssaal entfernt werden, wenn ich nicht meine Anträge freundlicher, höflicher oder weniger laut formulieren würde. Auf der anderen Seite sprach sie uns dann so glatt frei. Der Freispruch war nicht im Zweifel sondern nach erwiesener Unschuld. Sie hat gesagt: 'Die Polizei hat gelogen. Es gibt überhaupt keine kriminelle Organisation im Tierschutz.' Mir kam vor, sie sah von Anfang an diese Sache zwar etwas kritisch, aber unsere Angriffe auf die Polizei und Justiz nahm sie fast persönlich und reagiert deswegen so scharf. Sie sah ihre Aufgabe darin, Justiz und Polizei vor unseren Angriffen zu schützen.

Tierschützer hinter gitter

Thimfilm

Erst gegen Ende des Prozesses, als die Sache mit der verdeckten Ermittlerin herauskam, und dass die Polizei glatt vor der Richterin gelogen hatte, dass die Beamten das wichtigste Entlastungsmoment verschwiegen hatten; erst da vollzog die Richterin eine Kehrtwende und verstand, warum wir so einen Rundumschlag führen. Sie war ab dann viel kritischer gegenüber der Polizei.

Wenn man Internet-Foren durchliest und mit Menschen spricht, dann hat man den Eindruck, viele Menschen sind auf eurer Seite was den Tierschutz betrifft. Manchmal gehen ihnen die Aktionen aber vielleicht ein bisschen zu weit oder sind ihnen ein bisschen zu radikal. Sie stoßen sich oft auch an dem Veganismus, der, so könnte man den Eindruck haben, bei euch gefordert wird. Rückt der Film eure Anliegen ein bisschen weiter in die Mitte, oder kann es auch sein, dass ihr selbst jetzt durch diese breitere Unterstützung ein wenig in die Mitte rückt.

[lacht] Man muss immer darauf achten, nicht institutionalisiert zu werden und durch das freundliche Lächeln von allen, den Schliff zu verlieren, und die Forderungen, die wir ja im Namen der Tiere und im Namen ganz anderer stellen, einfach immer weiter einzudämmen. Nein, ich glaube, wir müssen wild, laut und gefährlich bleiben. Ich habe das Gefühl, der Film und die ganze Tierschutz-Causa hat viel an Verständnis für unsere Themen gefördert, vor allem für die Art des Aktivismus. Ich glaube, sie ist total vertretbar. Sie ist demokratiepolitisch legitim, auch wenn sie Leuten auf die Nerven geht. Man bräuchte kein Demonstrationsrecht, wenn Demonstrationen von allen begrüßt werden würden. Es ist immer eine Abwägung zwischen dem Demonstrationsrecht - dem lauten Schreien gegen ein Unrecht - versus dem Recht des einzelnen auf Frieden und Stille. Diesen Konflikt wird es so lange geben wie die Demokratie.

Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass hier in unseren Demokratien – auch im Westen – die Mächtigen immer gleicher werden als die normalen Bürgerinnen und Bürger, und dass Geld Macht und Einfluss verschaffen würde. Und dass auch die Demokratie gefährdet ist, etwa wenn Einsatzkräfte besorgten Demonstranten bei Occupy-Bewegungen Pfefferspray direkt ins Gesicht sprühen. Wie sieht es nach all diesen Erfahrungen mit deinem Vertrauen in Demokratie und Gleichheit in unserem Wertesystem aus?

Ich stimme da völlig zu, dass der Wind immer schärfer und gefährlicher wird. Es gibt offensichtlich immer mehr Eliten, auch in unserem Land, die um ihre Felle fürchten, die Angst haben, dass sich das Volk von unten organisiert und Änderungen fordert, denen sie nachgeben müssen. In unserem Fall war das zum Beispiel das Legebatterieverbot, das eine ganze Industrie zum Umstellen gezwungen hat. Die Elite wollte das nie und hat immer etwas dagegen unternommen.

"Der Prozess" läuft am Freitag, 25.11. in den österreichischen Kinos an.

Wir haben das von unten durch öffentlichen Druck erzwungen. Davor haben die Eliten Angst. Sie haben auch Angst vor dem Internet, das kostengünstige Organisationsmöglichkeiten bietet und viele Menschen rasch ansprechen kann. Und deshalb werden die Unterdrückungsmaßnahmen, die Überwachungsmaßnahmen und die Terrorprävention, die für so etwas missbraucht wird, immer brutaler. Es kommen gefährliche Zeiten.