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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 12. 2013 - 21:28

The daily Blumenau. Friday Edition, 13-12-13.

Rücksturz in die politische Steinzeit: Vizekanzler Spindelegger und ein Akt der Denk-Barberei. Und ein Vorschlag an den wütenden Herrn Töchterle.

Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

#nr-wahl #machtpolitik #ökonomie #bildungspolitik

Es gibt eine Sache, die mich aktuell noch mehr ärgert als die unfassbar instinktlose Symbol-Politik, die die alte/neue Regierung aktuell mit der Versenkung des Wissenschafts-Ministeriums in ökonomischen Sachzwängen betreibt. Und das ist der genauso wenig durchdachte, undifferenzierte und an der eigenen Skandalisierungslust aufgegeilte Umgang der Mainstream-Medien mit dem gestern abend fixierten Regierungs-Programm.

Kleingeistig sei es, ohne Visionen, zu viel würde im Konjunktiv verharren, zuwenig wirklich Bedeutsames sehr konkret angepackt.

Politik auf FM4

Alte Regierung gleich neue Regierung aber doch mit personellen Veränderungen.

Drei Fragen, wenig Antworten
Viel neues bekamen wir heute bei der ersten Pressekonferenz nicht zu hören.

Regierung schafft Wissenschafts-Ministerium ab
Erste Reaktionen: Entsetzen und Demo-Aufrufe. ÖH: "Wir sehen uns auf der Straße wieder."

123 Seiten
Ein Blick auf das Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung.

Wissenschaft ist nicht ministrabel?
Wirtschaft und Universitäten werden künftig nicht an einem Strang ziehen, sondern von einem Strang gezogen.

Rücksturz in die politische Steinzeit
Vizekanzler Spindelegger und ein Akt der Denk-Barberei. Und ein Vorschlag an den wütenden Herrn Töchterle.

Eigenartige Konstellation
Marina Delcheva vom biber und Alexander Pollak von SOS Mitmensch zu den Integrationsagenden, die jetzt im Außenministerium angesiedelt sind.

"Des is Grind"
Austropop-Huldigung an ein österreichisches Zentralmotiv: Es ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Auch wenn diese Kritikpunkte alle greifen – ihre Art, ihre Form und die entrüstete Übertreibung in der medialen Darstellung sind niveaumäßig weit weit unter dieser 124seitigen Erklärung. Ich halte es mit Caritas-Chef Michael Landau: "Das Regierungsprogramm lohnt einen zweiten Blick." Ja, auch er nennt es halbherzig und hasst die vielen Finanzierungsvorbehalte. Ja, die nötigen Reformen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Pensionen, Föderalismus, Verfassung etc. fehlen schon wieder bzw. werden nur halbgar angepackt.

Trotzdem ist diese Einigung nicht nichts. Und der zweite Blick, den Landau da einfordert, den werden Medien und somit auch die weitere Öffentlichkeit nicht riskieren. Denn sonst würde man womöglich erkennen, dass die Vereinbarung deutlich näher an der der deutschen Kollegen angesiedelt ist, als am Wahlprogramm der FPÖ, der einzigen zur Verfügung stehenden Alternative.

Auch die Opposition lebt – wie aktuell die Medien – nahezu ausschließlich vom Jammern und Sudern; und kommt dabei problemlos ohne jeden Plan B und ohne genaues Hinschauen aus. Das spiegelt aber letztlich nur die in vielen Feldern, vor allem in der Arbeitswelt gelebte österreichische Praxis wider: wer etwas tut ist verdächtig, wer nichtstuend aussitzt, gewinnt die Stammtische; und die sind überall.

Das als Vorrede.
Jetzt zu dem, was mich auch fast 24 Stunden später immer noch (für mich selber überraschend) so wütend macht: der Aufgabe des Wissenschafts-Ressorts und sein Aufgehen im von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinung diktierten Raum (denn so sieht's im Wirtschafts-Ministerium de facto aus).

Ich hatte das schon einmal gewusst, aber wieder vergessen – und erst gestern wieder dran erinnert: es war die Regierung Kreisky I von 1970, die waghalsigste Reformregierung der 2. Republik (oder besser: die einzige Reformregierung Österreichs seit Josef II), in der Wissenschaft & Forschung ihr eigenes Ressort zugestanden bekamen. Bis dahin waren die Uni-Agenden im Unterrichts-Ministerium (das sich auch noch um Kunst kümmerte) angesiedelt.

Kreisky hatte die Bedeutung der Betonung Wissenschaft/Forschung als Zukunfts-Feld herauszustreichen erkannt. Und weil Kreisky die harte Verhandlerin Herta Firnberg hinsetzte, hatte das Ressort auch Power. So enstand aus möglicherweise reiner Symbolpolitik auch ein Aufbruch, der den Muff aus tausend Jahren, der sich da unter den Talaren angesammelt hatte, systematisch wegwehte.

Auf Firnberg folgten Kapazunder wie Fischer, Busek oder Scholten, die in ihren Regierungen jeweils die intellektuellen Leuchtfeuer anzündeten.

95 kam kurzzeitig die Kunst dazu, 97 verblödelte der spätere Argentinien-Flüchtling Viktor Klima das dem darüber verzweifelnden Caspar Einem zugefallene Ressort durch eine Zwangsehe mit dem Verkehr (!), 2000 zwang die Wenderegierung Schüssel die Wissenschaft mit der Bildung (dem ehemaligen Unterrichtsministerium) zusammen, und erzielte mit der legendär erfolglosen Elisabeth Gehrer einen Anti-Firnberg-Effekt. 2007 wurden Unterricht/Kunst bzw. Wissenschaft/Forschung wieder getrennt und ab 2011 war (nach zwei Themaverfehlenden) der ursprünglich parteilose Tiroler Töchterle in alter Tradition der einzige Hoffnungsschimmer eines desolaten Gesamtpersonals. Für 2014 löst Michael Spindelegger das Wissenschaftsministerium nun auf und führt die Agenden nicht etwa wie Schüssel inhaltlich halbwegs sinnvoll zum alten Partner, sondern ins Wirtschafts-Ressort.

Spindelegger betreibt (wie damals Kreisky) damit in erster Linie Symbol-Politik; und zwar eine, die der von 1970 diametral entgegengesetzt ist.

Was uns dieser Paradigmen-Wechsel, dieser Rücksturz in's Jahr 1969, in die steinzeitlich agierende Regierung Klaus, erzählt, ist folgendes: Wissenschaft und Forschung, also Universitäten und andere, meist staatlich finanzierte Einrichtungen, in denen nachgedacht, experimentiert, verglichen, publiziert, verworfen und gelehrt wird, mögen das in Hinkunft selbstverständlich und primär zum Wohle der Wirtschaft machen. Also effizient, wie die sprichwörtliche Schrauben-Fabrik.

Das ist für alle, die in dieser Branche (nicht in der der Verwertung, der Industrie, sondern in der Forschung, bei den Grundlagen, bei der Lehre) tätig sind, ein in seiner Denk-Barberei unfasslicher Akt.

Über die taktisch-parteiinternen Hintergünde dieser Entscheidung klärt Frau Föderl-Schmid auf.

Was die Ökonomisierung einer Branche anrichten kann, zeigen Pharma-Konzerne und die medizinische Forschung seit Jahren exemplarisch vor: überall, wo (noch dazu privat abgeschöpfte) Profite vor dem Gesamtwohl stehen, tritt gesellschaftliche Entfremdung ein, bis hin zur Klassenmedizin.

Dass sich aktuell die Rektoren-Konferenz der Unis, die FH-Vertretung, die immer bitterbös-kritische Studentenschaft und namhafte Stimmen aus der Forschung in ihrem Entsetzen und in ihrer Ablehnung dieser Politik (die nicht nur Symbol bleiben, sondern zwangsweise auch praktische Folgen haben wird) so einig sind, ist der freien Entwicklungsmöglichkeit, der freien Lehre und der nicht gewinngetriebenen Forschung zu verdanken, die der Umschwung von 1970 erst möglich gemacht hat.

Wäre damals schon die Wissenschaft der Wirtschaft zugeordnet worden, dann wäre unsere Gesellschaft diesbezüglich heute wohl auf dem Stand einer osteuropäischen Scheindemokratie.

Vielleicht sollte der merkbar noch viel viel wütendere Karlheinz Töchterle, nunmehr einfacher Mandatar, es wagen, sich zu so etwas wie einem Schattenminister aufzuschwingen, die Agenden weiter zu bündeln, Studierende, Lehrende und Forschende im Parlament tatsächlich zu vertreten, eine Plattform all jener, die die Ökonomisierung von Wissenschaft und Forschung als alleiniges Handlungs-Prinzip ablehnen. Ich denke, dass mit der (diesmal gesamten) Opposition und einigen steirischen Freigeistern sogar parlamentarische Mehrheiten zustandezubringen wären, die entsprechende Gesetze verabschieden könnten.

Aber das war jetzt nicht mehr wütend, sondern schon allzu verträumt.