Erstellt am: 10. 5. 2010 - 18:38 Uhr
Mein Leben ohne Internet. Tag Sechs.
Mein Leben ohne Internet
- Teil 1: Du hast den Laptop vergessen, Gerlinde!
- Teil 2: Internet! Nur ein bisschen! Ich brauche es!
- Teil 3: Na geeeh.
- Teil 4: Django braucht keinen Stadtplan.
- Teil 5: Die Antwort auf Alles im internetlosen Leben
- Teil 6: Pfarrflohmarkt und Wutausbruch
- Teil 7: Das ist der letzte Tag
Gerlinde Langs Experiment in Sachen "Leben offline", einen Tag und eine Woche zeitversetzt, sonst aber quasi live. Was heisst quasi - life is live, na na na na na.
Nein, ich lege hier nicht Rechenschaft ab über 24 von 24 Stunden.
Dass ich kein Problem ohne Internet hab, wenn ich mit meinen Freunden abhänge, Eisbären streichle oder die Postkarte, die mir Sonic Youth letztens aus Bad Schallerbach geschrieben haben, aus dem Postfach hole, ist eh klar. Das gibt nichts her zum Schreiben.
So wie zum Beispiel am Sonntag. Sonntag war Pfarrflohmarkt in St. Othmar. Jeder weiss, auf Pfarrflohmärkten sind die Preise noch in Ordnung, da kriegt man einen tollen Plastikkübel für 10 Cent und ein paar Heels aus echtem Leder für 2 Euro. Und für das Geld kriegen die Jungscharkinder einen neuen Volleyball, oder was weiss ich. Zwischendurch geht der polnische Pfarrer herum und verteilt Wodkastamperln vom Tablett an die Verkaufenden und an mich.
Ich wühle mich gerade durch einen mannshohen Haufen diverser Polyester-Reliquien, da höre ich eine Diskussion neben mir. Es geht um einen kleinen weichen Hut, überzogen mit flauschigen Marabu-Federn.
Zwei Euro verlangt die alte kleine Verkäuferin zaghaft, und die grosse laute potentielle Käuferin verzieht abschätzig die Miene, höchstens einen wolle sie geben. Das sei ja Kunstfaser innen.
"Klar ist das Kunstfaser", sage ich, "das macht den Hut so schön leicht. Zwei Euro ist doch ein guter Preis, wir wissen doch alle, dass Marabuborte im Geschäft bis zu 14 Euro pro Meter erzielt." Die arme kleine Verkäuferin sagt leise: "Eins fünfzig?"
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Schnorch, die Käuferin zückt den Geldbeutel. Ich stecke sofort wieder bis zu den Ellbogen im feilgebotenen Polyester, da höre ich sie aus heiterem Himmel sagen: "Ja, kein Kreuz in den Klassenzimmern wollen sie, aber da beim Pfarrflohmarkt würden sie alles kaufen", und gestikuliert mit dem Kinn rüber zu irgendeiner Frau mit langem Rock und braunem Gesicht.
Ich muss an meine Freundin Bina denken, und wie sie so einen Satz nie im Leben einfach überhören würde. Was würde Bina tun? Ich weiss es.
"Geizig UND auch noch ausländerfeindlich, das ist ja eine Superkombination!", sage ich laut.
Oh weh, jetzt geht sicher gleich ein Streit los. Und das tut er auch.
"Ist doch wahr", sagt die Kundin, "und selber verschleiert rumrennen."
"Das mit dem Kreuz in der Schule hat mit der Säkularisierung zu tun. Trennung von Kirche und Staat."
"Wenn Sie glauben, Sie müssen jetzt gescheit daherreden!"
"Schauen Sie einfach mal nach im Wörterbuch, unter S!"
Die Kundin sieht die Zeit gekommen, die rhetorische Lieblingskeule der Alten auszupacken: "Sie haben ja überhaupt keine Lebenserfahrung! Warten Sie einmal ab!"
Ich sehe die Zeit gekommen, dem endlich ein Ende zu bereiten.
Was weiss die böse geizige Frau denn schon, was ich alles durchgemacht habe in den letzten Jahren. Und was weiss sie von der Regel, bei der Selbstverteidigung einfach auf den schwächsten Punkt zu zielen:
"Da sollten Sie sich aber mit all ihrer Lebenserfahrung schon einen besseren Friseur gefunden haben."
Zwei alte Krähen, die dem Streit immer näher gerückt sind, schrecken auf. Eine sagt: "Das war jetzt aber persönlich."
Ich sage: "Ich hab ja nicht angefangen."
Die Kundin verzieht sich. Wahrscheinlich ist sie nun froh, die Marabumütze gekauft zu haben, um ihre schlecht gefärbte Mieswelle zu bedecken. Die kleine alte Verkäuferin neben mir flüstert: "Sie haben ganz Recht. Ich kann solche Leute nicht leiden." Die Krähen gehen rüber zur gebrauchten Tupperware. Ich bekomme einen guten Preis für einen getupften Overall aus den 90er Jahren.
Lesen Sie morgen: Der letzte Tag offline.
Und lesen Sie heute noch: Tag Fünf, der Ikeabesuch aus der Hölle
und das Notebook aus Papier, jetzt mit Bonustrack.