Erstellt am: 8. 5. 2010 - 16:47 Uhr
Mein Leben ohne Internet. Tag Fünf.
Mein Leben ohne Internet
- Teil 1: Du hast den Laptop vergessen, Gerlinde!
- Teil 2: Internet! Nur ein bisschen! Ich brauche es!
- Teil 3: Na geeeh.
- Teil 4: Django braucht keinen Stadtplan.
- Teil 5: Die Antwort auf Alles im internetlosen Leben
- Teil 6: Pfarrflohmarkt und Wutausbruch
- Teil 7: Das ist der letzte Tag
Was bisher geschah: Gerlinde Lang zieht ihre internetlose Woche beinhart durch, wobei es sich natürlich um die vorige Woche handelt. Wie soll das denn sonst gehen mit dem Erzählen hier? Diese Serie läuft also in um genau sieben Tage versetzter Echtzeit.
Die Antwort auf eh alles lautet im richtigen Leben: Google.
Die Antwort auf eh alles lautet im richtigen Leben ohne Internet: Schlafen gehen.
Es ist 18 Uhr, und ich bin am Ende. Wie konnte es so weit kommen?
"Ich hatte einen Eitelkeitsflash", sagt Bina. Es ist elf Uhr, eine Stunde später als vereinbart. Eigentlich wollten Bina und ich schon die Hühner gesattelt haben und zum schwedischen Einrichtungshaus geritten sein. "Kaum war ich unter der Dusche, ist mir eingefallen, dass ich mir noch die Beine rasieren könnte. Und ein Bodypeeling machen. Und Haare waschen und fönen."
"Geschenkt", sage ich, "bei mir ist es gestern eh spät geworden in der Arbeit. Ich hoffe, du hast alles abgemessen in deiner Wohnung und online gecheckt, ob Ikea eh die Plastikboxen anbietet, die du brauchst?"
Bei aller Freundschaft, Bina guckt wie ein Autobus. "Nein. Hab ich vergessen."
Das darf doch nicht wahr sein. Bina hat das verlockende Internet mit all seinem Wissen vor der Nase und nutzt es nicht und ich darf nicht und würde so gern!
"Wurscht, fahren wir", sage ich, "Ich hol nur noch meinen Block". Zwei Gegenstände sind in der internetlosen Woche zu Stars meines Rucksacks geworden: Das gute alte Telefon, einzige Verbindung zur Aussenwelt. Und ein winziger Spiralblock, auf dem ich vermerke, was ich alles wissen muss, oder noch in der "nützlichen Viertelstunde" im Funkhaus-Internet recherchieren sollte. Der Spiralblock ist jetzt so wichtig wie ein Laptop.
fm4 / alex wagner
Gerlinde so: "Biegen wir noch zum Obi Baumarkt ab, damit nicht alle, die das hier lesen, glauben, ich hab einen Sponsorvertrag mit Ikea. Hab ich nämlich nicht". Bina so: "Okay".
Bina findet tolle Plastikboxen. Gerlinde reicht Bina ihren heiligen Block, damit Bina sich die Notizen machen kann, die sie sich eigentlich zu Hause machen hätte sollen. Alte Heimwerkerweisheit. Bina rechnet nach, wieviel verschiedene Gewand-Gruppierungen sie wirklich hat und wünscht, die Plastikboxen dafür zu kaufen. Gerlinde bietet an, erst zum Schweden zu fahren zwecks Preisvergleich und gegebenenfalls am Heimweg nochmals bei Obi einzukehren. Bina besteht auf Sofortkauf. Sofortkauf wird getätigt.
Ikeaparkplatz. Bina wird blass. Sie hat Gerlindes heiligen Spiralblock im Regal bei Obi liegenlassen. Gerlinde wird auch blass, aber vor Ärger. Ein klassischer Pärchensamstag bei Ikea, dazu muss man also nicht einmal verheiratet sein.
Ikea, innen. Natürlich sind die Plastikboxen bei Ikea hässlicher, aber billiger. Bina wundert sich sehr. Na so was. Gerlinde beschließt, nur ein einziges Mal "hab ichs dir ja gesagt" zu sagen. Bina beschliesst, sehr oft zu sagen, wie sehr sie das wundert mit dem Preis.
Parkplatz. Unter Aufbietung sämtlichen 3D-Vorstellungsvermögens finden die neuen Plastikcontainer im Kofferraum Platz neben den eine Stunde vorher gekauften anderen Plastikcontainern. Bina vermisst sechs Stück Klarsichtdeckel, die kann doch nur der Kassierer verschmissen haben, und läuft zurück in den Laden. Gerlinde bleibt im Auto, das kann ja nicht lange dauern.
Ganz am Rande des Parkhauses, eine einsame Fliederdolde hängt über die Motorhaube, die Sonne scheint. Kann man ja fast als Ausflug ins Grüne verbuchen. Gerlinde öffnet beide Vordertüren, lässt die Fenster runter und legt sich quer über die Vordersitze.
"Hörst du dein Handy eigentlich nicht?" Eine sehr wütende Bina taucht im Bildfeld neben meinem linken Hosenbein auf. Keine Spur von den Deckeln, sie kann sich aber sechs neue holen und erhält einen Gutschein im Wert von sechs Deckeln.
"Du musst mitkommen!"
Gerlinde schliesst die Autotüren, aber die Fenster wollen nicht hochgehen. Was ist da los? Fensterheber kaputt? Muss der Pannendienst kommen? Bitte nicht auch das noch. Gerlinde bleibt, um auf das Auto aufzupassen, Bina stapft gen Krimskramshalle davon. Eine Minute lang weigert sich Gerlinde, zu sehen und zu hören. Sie atmet aus, und drückt in die richtige Richtung auf den Fensterheber-Kippschalter. Die Fenster schnurren hoch.
Sofort läuft sie hinter Bina drein, kann sie aber trotz Handy nicht finden, weil Bina gleich nach der Kerzenabteilung eine Abkürzung hinter den Spiegeln entdeckt. Gerlindes Wille ist gebrochen. Sie kauft sich eine Hollerlimo und Daim und wartet resigniert an den Kassen.
Gerlinde und eine merklich aufgebrachte Bina (mit sechs neuen Deckeln) stauen heim. Gerlinde kündigt Bina an, dass sie sie nicht mehr heimchauffieren wird, sondern die Boxen ein andermal im Auto vorbeibringen wird. Bina ist verdutzt; dieser lustige Ausflug dauert doch erst fünf Stunden.
Parkplatz Obi. Beim Hervorholen der zurückzugebenden überschüssigen Plastikboxen entdeckt Bina, dass sie jetzt insgesamt zwölf Deckel besitzt und den armen Ikea-Kassier völlig umsonst gescholten hat.
Gerlinde möchte einfach nur mehr heim. Sie schleicht durch die meterhohen Regale des Baumarkts, und da liegt er, zwischen Kübeln und Treteimern: Ihr Spiralblock. Sicher und wohlbehalten. Das Leben hat wieder Sinn. Und der Sinn heisst: Nickerchen.