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Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

5. 5. 2010 - 11:00

Mein Leben ohne Internet. Zweiter Tag.

Internet! Nur ein bisschen! Ich brauche es!

Wir rekapitulieren: Gestern war für Gerlinde der erste Tag ohne Internet. Was ein Zufall war, soll jetzt eine Woche lang Methode werden. Doch so leicht lässt einen das Netz nicht gehen.

Mittwoch. Ich erwache früh. Was tun beim Frühstück? Ich hab neben meinem heute künstlerisch gestalteten Himbeermüsli noch Kapazitäten frei. Sonst gebe ich vor, schnell mal in den Reader schauen, was in den Blogs so los ist, um eine Stunde später noch kein Anziehkonzept, Plaque auf den Zähnen und die Schlüssel verschmissen zu haben; welchselbiges mich alles daran hindert, bereits 15 Minuten früher das Haus verlassen zu haben.

Ach, ich vermisse meinen Laptop. Ein leeres Gefühl in meinem Herzen - und auf meinem Tisch. Zuerst einmal das Platzset ein Stückchen nach links rücken. Damit der Fleck, auf dem sonst der Laptop steht, nicht gar so leer ausschaut. Lesen?

Das Yogabuch verdirbt mir gerade den Appetit. Das Ayurveda und der Schleim, bitte nicht. Kein Laptop bedeutet nicht nur kein Internet zum Lesen, sondern auch keine Musik. Die „Marseillaise“ auf der Mundharmonika zu spielen ist ganz schön schwierig. „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ dagegen ist herrlich leicht ins Blech zu pusten, das spiele ich mir gleich sechsmal vor und schaue dabei zu, wie die Wolken vor dem Fenster vorbeiziehen. Dann Radiokolleg auf Ö1. „Posthornschnecke, Kriebelmückenlarve, Wasserassel & Co„ - ausgezeichnet. In Folge erfahren wir auch: Nicht alle ausgebildeten Jazzmusiker finden nach ihrem Studium auch einen Job. Meiner Treu, das ist bedauerlich.

Mundharmonika

Wikipedia/(Magnus Manske)

Ich putze sehr ordentlich alle Zähne von allen möglichen Seiten. Ich rufe meine Mutter an, meinen Vater und alle meine drei Brüder.
Dann ist es zehn Uhr. Na bravo.
Wie soll das gehen, ohne Internet?
Ich beschließe, meine Rechnungen für die Steuererklärung endlich zu ordnen. 2005 bis 2009. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Um nicht allzu übermütig zu werden, höre ich dazu Barockmusik aus dem Radio. Zwischendurch Werbung für irgendeine todtraurige Kirchenmusikveranstaltung, dann die Funkerzählung, auch sie voll Melancholie und Ungerechtigkeit und Hunger der Hauptfiguren.

Ich mache mir auf einem Block mit Kuli eine umfangreiche To-do-Liste und gehe Nachmittags früher ins Funkhaus, um internetzubanken und Arzttermine auszumachen und mir für die Steuer alle Telekabel- und Telefonrechnungen der vergangenen fünf Jahre zusenden zu lassen. Kein Internet zuhause heißt auch: Kein Telefonbuch zuhause. Schwierig. Ich bin sehr stolz auf mich, als ich es schaffe, auf facebook nur eine Message zu schreiben und dann sofort wieder auszusteigen, und auch benötigte Telefonnummern innerhalb von fünf Minuten auf meinem treuen Block zu notieren. Dann geht's wieder heimzu.

Kein Internet zu Hause heißt auch, seien wir uns ehrlich, drei Stunden zusätzliche Freizeit pro Tag.

Ich gieße alle Blumen. Ich laufe zum Baumarkt und erstehe einen donutförmigen Eckenroller.
Ich kehre in der Tankstelle ein, kaufe ein paar Modemagazine und lese sie auf der angrenzenden Grünfläche. Herrlich. Da geht was weiter. Gottseidank rauche ich nicht, wer weiß, welche Teergrube ich schon wäre vor lauter Freizeit.

Die Sonne geht unter. Es ist acht. Was soll ich tun mit dem Abend?
Das Magazin nochmal lesen ... Unruhe macht sich breit.
Internet. Jetzt nur ein bisschen Internet. Ich brauche es!

Ich habe all meine Telefonbücher weggeworfen. Den Ikea-Katalog gleich hinterdrein. Ich habe keine Tageszeitung mit dem Kinoprogramm. Waruuum?? Ich kann nichts und niemanden suchen.
Ich kann nicht abschalten! Ich kann keine Fragen beantworten! Und auch das beste Modemagazin ist eben kein Hypertext! Wenn ich nicht sofort auf die Topshop-Website gehen kann, Hosen recherchieren, dann dreh ich durch!! Ich geh einfach runter, in den Callshop, dort trifft sich meine ganze Hood zum Internetsurfen ... GRAAAH.

Ich versuche, mich zu beruhigen. Ich tigere durch die Wohnung. Bei eineinhalb Zimmern gibt es da aber nicht so viel zu tigern. Ich gucke ins Tiefkühlfach. Dort ist immer was los. Fisch und Grün wandern in Folie ins Backrohr. Dann mache ich mir eine Flasche Wein auf.
Ersatzdroge? Ich bitte euch. Savoir Vivre! Endlich ein bisschen Tischkultur! Ich hab das im Griff, echt.

Lesen Sie morgen in versetzter Echtzeit: Das Leben nervt. Vor allem, wenn man kein Internet hat und daran selbst schuld ist.