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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

1. 10. 2016 - 11:38

Leidenschaft schlägt Talent

Snowboard-Ikone Travis Rice über kreatives Snowboarden, seinen neuen Film "The Fourth Phase" und seine Pläne für die Zukunft.

Eine Frage quält den kreativen Kopf, der gerade sein Meisterstück abgeliefert hat und von vielen Seiten in den Himmel gelobt wird: Wie geht’s weiter? Wie kann man an den Erfolg anknüpfen oder noch erfolgreicher sein, ohne sich zu wiederholen?

Diese Frage hat sich auch Snowboardikone Travis Rice gestellt. Seine Filme "That's it, that's all" (2008) und "The Art of Flight" (2011), die er jeweils mit Brainfarm Productions umgesetzt hat, wurden als Meilensteine des Genres betrachtet, als das Beste und Spektakulärste, was die Szene zu bieten hat, und haben auch Zuseherrekorde gebrochen.

Travis Rice im FM4 Studio

Simon Welebil / FM4

Travis Rice im FM4-Studio

Große Erfolge bringen auch große Erwartungen an zukünftige Projekte mit sich. Druck, noch eine Schaufel draufzulegen, hätten sie sich aber nur selber gemacht, meint Travis Rice im FM4-Interview. Ihre eigenen Qualitätsansprüche hätten sie dazu getrieben, für ihren aktuellen Film "The Fourth Phase" neue Pfade zu beschreiten, niemals der Druck von außen. Denn dieser Druck lässt dich am Berg die falschen Entscheidungen treffen, so Rice, und das kann in seinem Metier auch tödlich enden.



Storytelling statt Rider-Parts

Dass gutes Snowboarden allein heutzutage niemanden mehr vor die Leinwand lockt, ist klar. Gutes Snowboarden zeigen andere Produktionen auch. Wenn sich heutzutage ein Snowboardfilm von anderen abheben will, dann muss das unter anderem über die Geschichte funktionieren. Das weiß auch Travis Rice.

Den Klassiker der Actionsport-Filme, wo aller RiderInnen ihren Filmpart bekommen, die nacheinander ablaufen, hat Travis Rice schon mit seinem ersten großen kommerziellen Film "That's it, that's all" in Pension geschickt. In "The Fourth Phase" wollten sie sich noch mehr aufs Storytelling konzentrieren, den Film fesselnder gestalten und ihm gleichzeitig mehr dokumentarischen Charakter verleihen.

In "The Fourth Phase" richtet sich die Geschichte an der Frage aus, woher eigentlich der Schnee kommt, mit dem man so tolle Kicker bauen und Powderruns fahren kann. In Wyoming, der Heimat von Travis Rice, ist der pazifische Wasserkreislauf ausschlaggebend für den Niederschlag, er wird zur Folie für einen gigantischen Snowboardtrip nach Japan, die russische Halbinsel Kamtschatka oder Alaska.



Geheimnisvolles Terrain, neue Spots

Dabei ist es Travis Rice und seiner Crew vor allem darum gegangen, geheimnisvolles Terrain zu erkunden, ungewohnte Orte zu finden und neue Spots zu fahren, etwas, das er als kreativen Ausdruck durch Snowboarden bezeichnet. Einer dieser Orte hat es sogar zum "interdisziplinären" Diskussionsgegenstand gebracht.

Travis Rice und Eric Jackson haben während der Dreharbeiten für "The Fourth Phase" eine Felsrinne in Alaska , die so steil und eng ist, dass sie an ihrem Ende sogar zur Höhle wird, wahrscheinlich erstbefahren. Travis hat sie nach der Befahrung "The Crack" getauft. Der Freeskier Cody Townsend wiederholt diese Abfahrt ein paar Tage später, veröffentlicht den Clip allerdings zeitnah. Sein Run wird als Line of the year 2014 ausgezeichnet und millionenfach geklickt.

Eric Jackson auf einem Berggrat

Scott Serfas/Red Bull Content Pool

Eric Jackson

Im Interview erzählt Travis, dass er danach erst einmal schlucken musste, doch er habe das mit Cody geklärt, indem er ihn direkt darauf angesprochen hat. Schlussendlich besitze niemand von ihnen einen Spot. Die Spots seien alle nur Leinwand und sie die Maler, die sich drauf eintragen würden. Außerdem habe Cody die "The Crack" viel besser, viel schneller befahren als er. Das Netz hat sich jedenfalls seine eigenen Gedanken dazu gemacht.

Art House vs. Blockbuster

Die meisten Freeride- und Snowboardproduktionen haben die Zeit und das Budget, einen Winter lang zu filmen. Sie müssen sich mit den vorhandenen Bedingungen arrangieren und damit ihre Geschichte erzählen. In gewisser Weise sind sie je nach Ausrichtung B-Movie oder Arthouse-Filme, "The Fourth Phase" ist der Hollywood-Action-Blockbuster.

Travis Rice und seine Crew sind vier Jahre um den Pazifik gefahren und hatten mit einem riesigen Budget schier ewig Zeit, um auf gute Bedingungen zu warten und dann schnell und nicht gerade umweltfreundlich mit Helikopter oder Schneemobil jeden Gipfel oder Startpunkt zu erreichen. Dann dürfen sich Travis Rice und die Rider, die er um sich versammelt hat, von den Veteranen Eric Jackson, Bryan Iguchi, Mark Landvik, Pat Moore, Mikkel Bang über Freeride-Legende Jeremy Jones bis zum "Contest-Kid" Ben Ferguson, alle möglichst kreativ austoben.

Mark Landvik mit einem nächtlichen Sprayturn

Scott Serfas/Red Bull Content Pool

Mark Landvik mit einem nächtlichen Sprayturn

Kreativität im Snowboarden

Angesprochen auf Gigi Rüfs und Elias Elhardts Definition eines kreativen Snowboarders hat auch Travis eine Definition parat: "Someone who is not afraid to let his own freak-flag fly". Kreatives Snowboarden bedingt Beweglichkeit, den Körper mit dem Geist zusammen zu bringen. Kreativ sei jemand, der bereit ist, zu seinen eigenen Bedingungen zu fahren und sich möglichst frei selbst auszudrücken. Talent allein sei überschätzt, erst die Leidenschaft mache Großes möglich: "Impossible or not possible is just a lack of creativity" "

Wenn es nach dieser Definition geht, kann man Travis Rice und seiner Crew wohl kaum Mangel an Kreativität vorwerfen. Die Körperbeherrschung ist bei jedem von ihnen einmalig. Sie haben Style. Sie fahren die unmöglichsten Lines.

Ob das Tricklevel noch "State of the Art" ist, darüber lässt sich streiten. Triple Corks, wie sie bei Snowboard-Contest seit ein paar Jahren Standard sind, oder gar Quadruple Corks, die eine Handvoll Rider mittlerweile auch schon gelandet hat, findet man in "The Fourth Phase" nicht. Dass Travis da nicht mehr ganz an die aktuelle Contest-Generation anknüpfen kann, wurmt ihn ein wenig. "I'd love to do Triple Corks", meint er, ist sich aber bewusst, dass die Entwicklung im Snowboarden an ihm vorbeizieht.

Travis Rice springt

Scott Serfas/Red Bull Content Pool

Travis Rice

Cinematographischer Höhepunkt

Ab Montag, 3.10., läuft "The Fourth Phase" regulär in österreichischen und deutschen Kinos an. Am 2.10. gibt's den Fim ab 21 Uhr für 24 Stunden lang gratis im Online-Stream zu sehen.

Dass all ihre Tricks und Powderruns perfekt eingefangen worden sind, steht bei ihrem Millionen-Dollar-Budget und der oft mehrere Dutzend Leute umfassenden Produktionscrew außer Frage. Über 2.000 Stunden Video-Rohmaterial sind in den vier Drehjahren entstanden und noch einmal 2.000 Stunden Material von den Action-Cams der Rider. Die Cutter haben diese Herausforderung allerdings grandios gemeistert. "The Fourth Phase" hat einen guten Drive. Der Soundtrack ist perfekt. Langweilig wird's in dem 90-Minuten-Monster nie.

"The Fourth Phase" knüpft von der Qualität und der Cinematographie nahtlos an seine Vorgängerfilme "That's it, that's all" und "The Art of Flight" an und wird wohl auch ein Millionenpublikum erreichen und weit über die Snowboard-Core-Szene ausstrahlen. Inhaltlich sind die Produktionen reifer geworden. Anstatt sich die Langeweile während der "Off-Days" mit sinnlosem Herumgeballere im Outback zu vertreiben, kann man mittlerweile auch mit Gitarrensessions ausharren.

Travis Rice' Versuch, sich als alternativer Denker außerhalb des Snowboard-Mainstreams zu etablieren, geht allerdings nicht ganz auf. Eine Reise bleibt immer noch ein klassisches Format des Actionsport-Films, wie wir es auch diese Premieren-Saison dutzendfach erleben werden, und das Versprechen, darüber hinaus zu gehen, bleibt uneingelöst. Den der Titel "The Fourth Phase" knüpft ursprünglich an eine Theorie des Biotechnologen Gerald Pollack an, der einen vierten Aggregatzustand von Wasser postuliert, der in Richtung Gel geht. Für Travis Rice geht's dann doch mehr um "Champagne Powder".

Anti-Plan mit Ultra-Natural

Ob es in ein paar Jahren einen neuen Film nach "The Fourth Phase" geben wird, lässt Travis Rice offen. "My plan is the anti-plan", meint er dazu. In den nächsten Saisonen werde er sich aber vornehmlich einem anderen Herzensprojekt widmen, seiner eigenen Backcountry-Contest-Serie, um den "komplettesten" Snowboarder zu küren.

2012 hat sich Travis Rice nämlich schon ein Contest-Format ausgedacht, das allen unterschiedlichen Snowboardstilen und Ridern gerecht werden sollte. Sowohl der jüngste X-Games-Sieger als auch die ältesten Backcountry-Haudegen sollten in der Lage sein, ihn zu gewinnen. Herausgekommen ist ein Slopestyle-Contest im Backcountry, der "Super Natural", den Travis Rice gleich selbst gewonnen hat. Im Jahr darauf wurde er als "Ultra Natural" wiederholt und der Vorarlberger Gigi Rüf stand ganz oben am Siegertreppchen.

Dieser Ultra Natural soll, wenn es nach Travis Rice geht, in Zukunft zu einer seriöseren Veranstaltung werden, mit mehreren Tourstopps, sowohl in Amerika, als auch in Europa. Dass ihn seine Leidenschaft dabei wieder ganz nach oben bringen wird, kann man wohl voraussetzen.