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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

15. 6. 2015 - 13:41

Clowns und Helden

Der letzte Tag am Nova Rock Festival 2015

FM4 Festivalradio

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Heute wird Blut fließen, viel Blut! Und es wird nach Himbeersaft schmecken. Und es werden Türme in die Höhen fahren und giftiges Miasma absondern. Und es werden dunkle Gestalten herumwirbeln und von Blitzen umkränzt sein, wenn sie in Booten und Fässern über die Menschen fahren, und es wird allerlei Gewürm aus der Erden kriechen und es wird die Madengötter anbeten, die den Weltenbrand zünden und es werden keltische Pfeifen und Schallmeien erschallen und es wird ein Holländer "Seid ihr besessen" grölen, und dann werden sich die Schleusen des Himmels erneut öffnen.
Höret meine Worte, kehret um oder rottet in der Hölle!

Und Lemmy ist auch da.

Moop Mama

Nach dem Gewitter hat sich wieder Staub über unser kleines Eiland gelegt. Wir gürten unser Ränzlein und schauen mal, was sich bei Moop Mama tut.

Zuerst denken wir, dass ein Todesmetaller dem Hitzschlag erlegen ist und das Rote Kreuz auf der Bühne um ihn herum steht, bis wir merken, dass das das Bandoutfit ist, bayrisches Karo und Rot-Weiß. Moop Mama schauen aus wie eine Bayrische Blasmusikkapelle, die sich der Mischung von Balkan Brass, HipHop und New Orleans Second Line Drumming verschrieben haben. Das klingt erst mal so, wie wenn es sich eine Kreativneigungsgruppe am Dorf unter der Leitung eines toleranten Handarbeitslehrers ausgedacht hätte. Aber diese Band ist erstens genau das, und zweitens rockt sie. Egal, ob man die Musik mag, hier dreht sich's sehr um die Virtuosität der Musiker. Bläserkünstler begeistern die Hitzeopfer nachaltig, sie johlen und klatschen und drehen sich auch auf Kommando von der Bühne weg. "Wir sind Bayern und wir trinken auch aus Eimern", rappt Herr Moop Mama. Guter Spaß zum Auftakt.

Der Sprecher des Roten Kreuzes über das Festival (via APA): "Das Rote Kreuz sorgt bei den extremen Temperaturen dafür, dass der Flüssigkeits-Haushalt wieder ausgewogen ist und versorgt die Besucher mit Wasser. Denn Flüssigkeit sei nicht gleich Flüssigkeit, sagte Horvath."

Die Freundinnen des keltischen Männerrocks mögen mir vergeben, aber ich muss mir die Band Eluveitie und die schweizerdeutsche Version eines Liedes namens "Der Gruß von den Bergen" nicht geben, in meinem Alter, und als Tiroler. Bei der Band sieht man immerhin eine Pennyflöte und einen Dulcimer, aber, sorry.

Lustiger ihre Vorgänger Powerwolf, die von der Bühne herunter die Ansage abließen: "Ihr trinkt Bier, wir trinken Blut", worauf die Theaterversion desselben in Strömen fließe. Auch ihre Ansage "Seid Ihr Besessen?" darf als amtlich gelten.

Ich schlafe sträflich und verpenne doch glatt unser aller Fiva ... Ich hoffe, sie kann mir verzeihen.

Fiva

Madsen covern tatsächlich Wandas "Bologna", die alten Profis. Und auch das hab ich tatsächlich verpennt.

Madsen

So konnte ich nicht feststellen, ob sie das - eventuell sogar unwürdig erschlichene - Privileg, das "Wickie und die starken Männer"-Thema zur neuen 3d-Version der gleichnamigen Kinderserie neu aufnehmen zu dürfen, auch live ausleben. Ich war da ja mal verärgert, die Neuaufnahme dieses Songs kam mir vor wie Geschichtsumschreibung. Aber dann: Wer hätte die Gelegenheit, diese Rock'n'Roll-Initiationsnummer neu aufzunehmen, nicht wahrgenommen? Und wer hätte das besser können als Madsen, wer spielt jünger, forscher, optimistischer nach vorne? Eben. Also wollen wir ihnen nicht böse sein - aber weiterhin Gabalier für "Heidi".

Ein bisschen Antilopen Gang hätte es gegeben und ein bisschen Gaslight Anthem, aber nur ein bisschen. Deren Fans werden enttäuscht, denn jetzt kommt das richtige Gewitter. Das Festival ersäuft buchstäblich in einem halbstündigen Weltuntergang. Alles weitere verzögert sich um 40 Minuten.

Antilopen Gang, die heute etwas stänkerig sind, wie ich höre, haben eine Songzeile, die mir sehr gut zupass kommt: "Ich bin ein Verlierer mit Würde"

Antilopen Gang

Weniger würdevoll: die Kontroverse um eine Reichsflagge, die am Zeltplatz gehisst worden war und einen Twittersturm ausgelöst hatte. Der junge Mann, der die beiden Jungnazis zur Rede gestellt hatte und verlangt hatte, dass die Flagge wegkommt, sei nach eigenen Angaben von jenen verprügelt worden. Die daraufhin alarmierten Securities seien recht hilflos gewesen und nicht dazwischen gegangen, der junge Mann sei sogar als "Zeck" beschimpft worden. Eine Stellungnahme der Festivalleitung und seitens der Leitung des Security-Personals war bis zur Stunde nicht zu bekommen.

Motörhead

Meister, er ist der Meister der Würde. Stur beharrt er seit ungefähr hundert Jahren auf allem, was er einst für sich entdeckt hat. Das selbe Outfit, die selben Drinks, die selben Riffs, der selbe Sound. Der Meister des Cool war er schon als junger Mann, als er als vielleicht einziges Kind der Sixties zuerst von den Punks, von den Sixties Indie Revivalisten, von den Psychobillies, von den Grungern, von den Metalheads, letztlich von allen, die an dieser Musik auch nur annähernd anstreifen, als ultimative Instanz des Krediblen akzeptiert wurde. Dabei hat er nie zu irgendwas Stellung bezogen, sich nie eingemischt, nie zu etwas Zugehörigkeit erklärt, sich nie von irgend etwas abgegrenzt (abgesehen von der berühmten Episode, wo Lemmy Kilminster persönlich samt Band und Crew während eines Konzerts eine Gruppe Skinheads aus dem Saal geprügelt haben soll). Das war ihm immer alles völlig egal, solange es Spaß, Schnaps und Nazi-Devotionalien zum Sammeln gab. Stoisch wie ein Stein steht er schon immer in der Mitte der Bühne mit dem großen Mikrogalgen und die Welt dreht sich um ihn. So auch heute, die Menge geht nicht besonders ab, aber sie liebt ihn und seinen Boogie, nicht sehr, aber schon lange und immer noch.

Deichkind

Nova Rock 2015

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Da rennt der Rummel. Das kann wohl nicht übertroffen werden. Die Basteltage von Gaffertape und Müllsack sind vorbei, Deickind 2015 ist perfekt choreografiertes, überwältigendes Entertainment with a Twist. Fragt mich nicht, wie das alles funktioniert, die eleganten, minimalen Kuben, die dauernd Räume auf der Bühne schaffen, verengen, erweitern und öffnen, die Band herumschieben und präsentieren. Jeder Schritt, jedes Wort, jeder Gag, jede Aussage sitzt am richtigen Fleck - Eine Mischung aus digitalem Dada-Theater, expressionistischem Agit-Pop, Peking Oper, Kindergeburtstag und Spaßparteitag, rasant wechselnd zwischen alledem. Was Martin Pieper in Graz erlebt hat, funktioniert unter freiem Himmel noch besser. Gegen Ende gibt es noch ein starkes politisches Statement: Zu "Rollt das Fass herein" lässt sich die Band in einem Fass in die Mitte des Publikums rollen, sie tragen "Refugees Welcome" auf ihren Kostümen, auf dem Fass weht die Flagge mit dem selben Slogan - eine von drei explizit politischen Aussagen zur aktuellen Lage (nach Feine Sahne und Campino) - was ein Medium dazu veranlasst hat, vom "Politischen Nova Rock" zu schreiben.

Und dann wird zu "Remmidemmi" alles ausgepackt, wass der Tross so dabei hat, Hüpfburg, Gummiboot, Konfetti und Spritzpistolen, der ganze Rummel. Die Ästhetik und Choreografie ist kurz vergessen für Randale, Krawall und Remmidemmi, die lustigste und wildeste Emotions- und Materialschlacht, die man sich vorstellen kann, findet ein chaotisches Ende.

Deichkind haben ja vom strengen Ted Gaier von den Goldenen Zitronen Komplimente bekommen (er hat sie ihn seiner Analyse der "Jägermeister Rockliga" gelobt). Die Band würde es schaffen, sogar dieser "unsäglichen Veranstaltung" etwas Menschliches zu verleihen.
Sowas kann man sich gut vorstellen. Diese Band hat ein zentrales Element der humorgetriebenen Anarchie, das man recht selten erlebt und das sie über das Spektakel erhebt. Das ist zu merken in Musik, Texten, Interviews, in der ganzen Haltung zu der ironischen Party- und Konsumgesellschaft, in deren Mitte sie lodern.

"Leider geiler" als je zuvor.

Slipknot

Nach Deichkind zieht einen dieser American Gothic ziemlich runter, die modernden Leichen, Zombies, Mörder und Monster, die die Bühne in Brand setzen und ihr halsbrecherischer Speedmetal. Wie man diese komplizierte und alle Disziplin abverlangende Musik auch noch so präzise spielen kann, während man mit Silikon und Pyrotechnik überladen herumstakst, ist Nichtmetalmusikern sowieso ein Rätsel. Das alles ist echt zum Fürchten, auch von der Nähe sehen die Musiker echt arg aus. Warum und wie diese Band zur Ikone für schüchterne Teenager wurde, kann man sich ausmalen: Die ultraharten und ultraschnellen Superwut-Sounds sind immer von einem kleinen, tröstenden Chant gekrönt.

Corey Taylor hat Dave Dempsey (von Minnesotan zu Iowan) ein exklusives Interview gegeben, das ein wenig Einsicht gibt in das Slipknot-Konzept von Freiheit und Selbstbestimmung.

Hier geht jetzt alles in Flammen auf. Es tanzten heuer wieder Feuer und Wasser, Hitze und Staub am Nova Rock Festival, da braucht man nicht mosern.

Ob nächstes Jahr wieder Metallica und die Ärzte dran sind? Die Spannung lebt.