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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

14. 6. 2015 - 15:13

Nova Rock Tag 2

Ambros

Na da hab ich mir schön ins Hemd gemacht, ich sentimentaler Depp.

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Was kümmert es den alten Baum, wenn ich ihn mit kleinen, gelben Bedenkenszettelchen vollklebe, auf denen "Würde" oder "Ewigkeit" oder "Stil" steht. Er hat damit genau gar nichts zu tun. Er liefert hier lediglich einen ganz normalen Gig in seiner 40-jährigen Bühnenkarriere ab, egal was ich mir denke, egal wer vor oder nach ihm spielt, egal ob man ihn ernst nimmt und verehrt, ob man neugierig ist, wie es ihm geht, ob man ihn bejubeln oder auslachen will - ihm wird das egal sein. Er war schon auf Riesenbühnen, als die Eltern des heutigen Publikums noch nicht geboren waren.

Nova Rock Veranstalter Ewald Tatar hat schon lange nicht mehr auf der Bühne Ansprachen gehalten, heute lässt er es sich nicht nehmen: Nach der Hosen-Party wird Ambros als großer Headliner, als "österreichischer Springsteen" vorgestellt, auch diesen abgebrühten Veranstalter schaudert es vor Ehrfurcht und ich nehme ihm ab, dass es für ihn eine "große Ehre" ist.

Ambros ist sogar mehr als der österreichische Springsteen. Springsteen ist einer von vielen guten Songwritern - Ambros hat der (Groß-) Elterngeneration in der Kreisky-Ära einen Soundtrack zu Freiheit und Selbstbestimmung verschafft, der auch im heutigen, so anders gelagerten Österreich noch nachhallt, sei es nur als Sehnsuchtshauch. Er war ernst, düster, witzig, albern, sentimental, scharf, genau, traurig, lakonisch, grantig, einladend, spaßwillig, zornig, verzeihend, jammernd und lachend, er hat das ganze Spektrum durchwandert. Irgendwann hat er dann mit dem Wandern aufgehört und war beleidigt, als die anderen sich nicht vom Weiterwandern abhalten ließen. Was hätte ich ihm nicht alles raten können, wäre ich 20 Jahre älter und hätten wir uns getroffen, was hätte ich ihm vorspielen können, wieviele neue Freunde hätte ich ihm vorstellen, wozu hätte ich ihn bringen können, zu welchen Höchstleistungen hätte ich ihn anstacheln können. Wie oft habe ich mir gewünscht, der Rick Rubin zu seinem Johnny Cash sein zu dürfen. Doch der Baum hat sich nicht bewegt.

Aber er ist noch da. Er bewegt sich langsam, aber ist präsent. In all seiner Würde. Dem Vernehmen nach hat Wolfgang Ambros aufgrund eines Unfalls ein Problem mit dem Rücken, weshalb er sich nur sehr langsam bewegt, Vieles von der durchgreifenden Energie und dem arroganten Kommandoton in der Stimme ist weg. Als Sänger hat er mit diesem Alterskrächzen noch dazu gewonnen, seine Stimme hat noch mehr karstigen Soul als früher schon. Der Druckmangel und die Verlangsamung seiner Performance tun den Liedern nicht schlecht. Das brüchige Organ schreit nach einer Ambros-Aufnahme mit anderen Arrangements, nach "American Recordings" mit jüngeren österreichischen Musikern, mit Aber das Leben Lebt oder Gustav oder Sir Tralala oder Bruch oder was weiß ich. Heute gibt es wieder die erwartete "Nummer Ans vom Wienerwald". Aber auch das ist egal.

Nova Rock 2015

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Wie erwartet verstehe ich "Gezeichnet fürs Leben", bei der "Kinett'n" kommen mir die Tränen, bei der "Blume aus dem Gemeindebau" stimme ich ein in den Satz "Kommen's fernsehen, Herr Franz" (obwohl er ihn, glaub ich, gar nicht gesungen hat). Das Set ist total unaufgeregt programmiert, lange kommen keine der naheliegenden Hits, keine Zugeständnisse daran, das das Publikum gerade 2 Stunden Tote Hosen hinter sich hat und vielleicht nur "Schifoan" grölen will. "Love Minus Zero/Wahre Liebe" spielt er, wo ich "für immer jung" erwartet hätte. "Tagwache" lässt er aus, dabei hätte diese Nummer eine weniger kraftvolle Version (vielleicht echt im Bonnie Prince Billy Spirit) gut vertragen. "Ignorantenstadl" brauch ich ja nicht , und wenn gleich zwei Nummern davon handeln, dass das Finanzamt ihm zu viel Geld abknöpft (darunter die ansonsten nette Wiener Version von "Sunny Afternoon") werden hier in Zeiten von Hypo, BuWog und Griechenland die brennenden Probleme der Zeit knapp verfehlt. Wie zum Dank spielt er eine großartige, vergessene Nummer, die absolut gar keinen Bezug zur Gegenwart besitzt, und amüsiert sich darüber, dass die jungen Leute das Wort "schaffnerlos" vielleicht noch gar nie gehört haben könnten. "A Mensch möcht I bleibm" ist nur für mich, "Langsam wachs ma z'samm" (die einzige weltverständliche Nummer seiner zweiten Phase) ist für alle Liebenden, "Lass mi amoi no d'Sunn aufgehn sehn" von und für den verstobenen Freund Georg Danzer. Fendrich-Nummer spielt er gottlob keine.

Zugabe, "Zentralfriedhof". "Schifoan". Aus.

Danke, schöner alter Baum, das war würdevoll, das war schön, wir reden vielleicht noch.