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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

13. 6. 2015 - 13:47

Nova Rock, erster Tag

Über die Würde und Machbarkeit von Scheißdrauf versus Schwanzraus.

Festivalradio

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Womöglich, Paul Pant hat es schon vorweg genommen, ist das geheime Subthema dieses Festivals heuer "Würde". Würde in der Möglichkeit, der Wucht und der Energie, der Eleganz, der Verweigerung, der Darstellung, der Krankheit und der Fitness, oder der bloßen Existenz. Würde im Besitz von alten Herren und jungen Punks, Sexisten und Feministinnen, Kopisten und Erfindern, Karnevalsjecken und Grantscherben, Kriegern und Liebenden, Sozialkritikverbissenen und Leben-Lockernehmern... Ihnen allen wohnt vielleicht eine Würde inne oder hat dies einmal getan.

Lamb of God

Einige davon, wie Lemmy von Motörhead sind zu einer Ikone der Würde geworden und geben einen Dreck darauf, andere, wie der König von Österreich, Wolfgang Ambros, könnten die ihre hier zur Schlachtbank tragen oder sie besser an der Garderobe abgeben und geben ebensolchen Dreck darauf. Die Toten Hosen haben das "würdevolle" Altern und dabei Punkrock- Würde behalten zum zentralen Geschäftsmodell ihrer Band erklärt- und sind so die massenverbindlichste Veranstaltung des vereinigten Deutschland geworden. Friska Viljor schwören auf die Würde, die eine Aura von echter Männerfreundschaft ausstrahlen kann. Mötley Crüe halten vielleicht gar nicht viel davon. Und vom Würdekonzept von H.P. Baxxter kann und mag ich mir kein Bild machen.

Festival Area

Der Bauplan des Festivals hat schon mal etwas Würdevolles. Statt wie früher die beiden Bühnen an zwei Enden des Ackers zu pflanzen, thronen nun beide Bühnen an der Spitze des Geländes unter den wie immer höchst würdevollen Windenergieriesen. Kürzere Wege, bisher keine nennenswerten Soundprobleme, viel Platz, architektonisch hat das Nova Rock 2015 schon gewonnen.

Feine Sahne Fischfilet

Feine Sahne Fischfilet. Los geht es (nachdem wir baustellenbedingt leider die Tiroler Groove Hoffnung Mother's Cake verpassen mussten) mit einem Rührungsbrot. Hier ist sie, die Freundlicher-Nachbar- Punkrock-Land-WG: Beste Freunde für immer trinken Flaschenbier und sind verlässlich entsetzt über Polizeigewalt, Sexismus und Ungerechtigkeit, glücklich nackige Kinder spielen im Schlamm, taube Hunde werden von zugepeckten Händen mit Blumentattoos gestreichelt, alle pflegen Kräuterbeete, Solidarität und harmlose Streiche, schwärmen von alternativ-anarchistischen Lebensformen, bis die Sonne aufgeht, und hören/spielen Ska, Punkrock und Lagerfeuerhythmnen. Neben dieser wie von Campino ausgedachten Idylle gibt es ultraklare Ansagen zu "Keinen Fußbreit den Faschisten" und die Jugendhymne "Ich bin am Arsch", jetzt schon ein Festival- Mitsingklassiker. Mit den "gegen FPÖ" und "pro Asylanten" Bühnenansagen lehnten sie sich im jetzigen Burgenland vielleicht etwas aus dem Fenster (immerhin waren Chumbawamba wegen einer Bühnenansage gegen Jörg Haider bei einem Forestglade in den Nullern einmal ausgebuht worden), aber dass der Gitarrist einer Band nach seinem Solo dem Drummer während des Spielens ein Küsschen auf die Wange gibt, hab ich zumindest mein Lebtag noch nicht gesehen - so einer Band könnten auch die knochenhartesten Skinheads nicht wirklich böse sein.

Guano Apes

Life of Agony

Life of Agony. Würde man dem Klischee an sich entkommen wollen (noch dazu würdevoll) wäre ein Metalfestival auf einem Jazzacker wohl der falscheste Ort, also versucht man es erst gar nicht. Also gleich in die Mitte des Klischees und ich schwöre und ich war dabei und es ist die Wahrheit auch noch, obendrein: Seit Keith Caputo beschlossen hat, eine Frau zu sein, ist alles um sie herum und sie selbst besser geworden. Die Musik von Life of Agony groovt mehr als früher (obwohl die Songs immer noch nicht irrsinnig toll sind) und Mina sieht super aus, ist charmant und souverän, bewegt sich fließend und sexy, phrasiert punktgenau, seine Ansagen sind verzaubernd ... das kann doch gar nicht sein, aber ich stehe hier und kann es nicht anders finden, Amen. Wer eine seriöse Konzertkritik haben will, soll sich schleichen, ich war verzaubert... dann aber, nach 20 Minuten, holte mich die Mittelmäßigkeit dieser Band doch ein und ich musste des Weges. Früher, als Mina noch ein widerlicher, arroganter Giftzwerg war, war mir das innert einer Songdistanz so gegangen, man sieht also, was strahlendes Glück und Selbstbewusstsein und, ja, Würde, alles können.

Friska Viljor

Friska Viljor. Die sind ja noch alberner als sonst. Zum Duo mit Fußpedal geschrumpft, nützen die zwei schwedischen Großfreunde die Brandwagen Bühne zur Vorstellung ihres neuen Albums, das in einer Woche erscheint. Ganz in Weiß, mit Kapitänsmütze, Westerngitarre und elektrischer Mandoline und unwiderstehlichen Lalala Refrains und Falsettchören begeistern die zwei ein kleines, von Härtlingsklängen fliehendes, vornehmlich weibliches Publikum. Und schwupp schon vorbei, fast unwirklich war das, wie ein Auftritt bei der Muppet Show.

... und hier schnell ein paar Biler von Yellowcard, ehem ....

Mastodon. Man kann auch würdevoll durch klebrigen Brei schreiten, sich durch Masse fressen müssen, ohne dass es das Schlaraffenland ist. Das mussten die großen Mastodon heute tun. Das haarige Mammut, die erste für mich wirklich "bedeutende" Band des Tages, musste mit einem schwammigen, verwaschenen, verwehten Sound klar kommen, bei dem sich von ihrem komplexen Stoner Rock nur mehr Teile erahnen ließen. Vorgruppenschicksal.

Eagles of Death Metal

Eagles of Death Metal. Während die Mastodons sich an "echtem" Stonerrock abmühen, feiert die Königin des Stoner Rock auf der anderen Bühne fast inkognito eine kleine Rockabilly Party. Josh Homme würde es wohl nicht gestatten, dass Josh Homme bei seinen Queens of the Stone Age trommelt, aber zur Begleitung des Gene Vincent Adepten Jesse Hughes langt es wohl. Dazu viele Fragen: Wie schlecht geht es Jesse Hughes? Ist das eine schwere Krankheit oder ein normaler Sonnenbrand eines Rothaarigen? Braucht man ein Billy Gibbons Lookalike? Ist das Billy Gibbons Lookalike der alte Dave Catching? Oder ist es Billy Gibbons? Braucht man für eine Rockabilly Band zwei Drummer? Wo doch zwei Drummer den Groove eher verwaschen und Druck aus der Band rausnehmen, weshalb das von Little Feat und Grateful Dead beabsichtigt war, von den Kinks oder Led Zeppelin aber nicht? Jesse Hughes beantwortet keine davon, obwohl seine Reverend James Brown Bühnenansagen sämtlich mit "Can you dig this" enden. Eine Festivalbesucherin wird mit "Happy Birthday" beglückt und die Band beglückt sich und das Publikum überhaupt mit süßem Rockabilly inmitten des Metalmeers und alle sind darob erfreut.

Jesse Hughes und Josh Hommes albern mit Dave Dempsey herum: Eagles of Death Metal im Interview

Mötley Crüe. Ich höre ja vorab, dass sich Mötley Crüe gegenseitig an einen Unterlassungsvertrag gekettet haben, der besagt, dass keiner der Mitglieder nach dieser Tour jemals wieder, weder unter diesem noch unter einem anderen Namen, Songs der Band Mötley Crüe aufführen darf. Für immer und bis in alle Ewigkeit. Wie sehr muss man sich hassen, um sich auf so etwas einzulassen. Nach Angaben von Nikki Sixx sei dies in der guten Absicht geschehen, dass mit diesem Namen und dieser Musik nicht das passiert, was man auf allen Revivalbühnen dieser Welt dauernd sieht, all die Slades und Sweets und Temptations und Original Temptations und Supertramps vs XY's Supertramps und Barclay James Harvests vs. Original BJH vs XY's BJH ... Laut offizieller Banddiktion ist also nicht Gemeinheit das Motiv hinter diesem Vertrag sondern, genau, "Würde" - obwohl dieses Wort nicht von der Menschheitshälfte benutzt werden sollte, die eine Penishose (!) trägt.

Die Musik, die so vor dem Ausverkauf bewahrt werden soll, ist - wie zur Zeit ihrer Entstehung vor 34 Jahren - ein völlig ödes und ironiebefreites Jungsbrett, das seitdem von vielen ebenso öden Jungsbrettern in der reichen Jungsbrettertradition ausgebrettert worden ist, sodass es sich, wie der gelbumrandete Fettfleck am morgendlichen Latz, zwar nicht wegleugnen lässt, aber auch nicht verteidigt oder beschönigt werden muss - weder durch die Penishose noch durch die fitten Oberarme des einzigen Popstars, von dem nicht wenige Menschen wirklich schon den erigierten Penis gesehen haben, nämlich den von Tommy Lee im Porno seiner Ex-Frau Pamela Anderson.

Anders als für diesen interessiert sich hier niemand wirklich für diese in Wursthaut eingequetschten Männer - weshalb die paradoxe Situation eines Rockfestivals ohne Headliner entsteht - wovon ein anderer Abgehalfterter dann profitieren wird ... aber ich will nix sagen.

Beatsteaks

Nova Rock 2015

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Beatsteaks. Parallel zu den flügellahmen Machos auf der Hauptbühne ist es den Beatsteaks mit all ihrer Frische und Energie natürlich ein Leichtes, der eigentliche Headliner des Abends zu werden. Obwohl ich das irgendwie nicht ganz verstehe ... vielleicht geht es anderen auch so: Die Beatsteaks intonieren einen ihrer Songs, als Intro wird aber ein möglichst kurzes Zitat eines der größten Fetenhits der letzten 6 Dekaden eingeschoben... Ich weiß jetzt kurz nicht, was zu wem gehört... Wie um meine Verwirrung komplett machen zu wollen, beginnt das Lied der Beatsteaks, indem virtuos gespielt minimale Versatzstücke der größten Fetenhits der letzten 6 Dekaden eingeschoben werden, "So Lonely" , "Sheer Heart Attack" , "London Calling" alles zugleich und übereinander... Ich weiß jetzt nicht mehr, was wohin gehört, irgendwie ist das alles so bekannt und auch so neu, immer rasanter und immer verwirrender und man schaut von Beatsteak zu Cover und von Cover zu Beatsteak und... Schnickschnack! Das ist natürlich alles höchst entertaining und dermaßen professionalisiert und druckvoll, dass es heute Abend eine reine Erholung ist. Und die Art, wie die Beatsteaks die Spaß-Sounds ihrer Generation in ihre eigene Tradition hineinweben, ist auch nicht viel anders, als wenn ihr Vorbild Joe Strummer den öden Vierviertelpunk mit Dub oder Country-Elementen verbessert. Nur eben jetzt.

Scooter

Scooter. Das mit der Würde hätte ich mir spätestens jetzt früher überlegen sollen - Ungeachtet der inhaltlichen Bewertung ist es wohl nicht weniger als ein Armutszeugnis, dass Scooter jetzt verhältnismäßig abräumen. Nach einem ordentlichen Headliner passiert es wohl auf dem größten Rockfestival Österreichs nicht, dass die gesamte Kleinstadt zu einer gepitchten Version vom "Logical Song" oder "Was sollen wir trinken" von den Bots abgeht, auch oder gerade wenn Claudia Schiffer Versionen der Mötley Crüe Tänzerinnen dazu Speerwerfposen imitieren. Es ist auch merkwürdig, wie alt diese Musik klingt, selbst nach einer Band, die ihr 34-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert hat. Sonst möge man mir verzeihen, dass mir zu Scooter genauso wenig einfällt wie 1995 ... ... bei Kollegen Philipp L'Heritier verhält sich das ganz anders.