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Sammy Khamis

Are you serious...

3. 9. 2013 - 17:01

Politics of Shaving

Kairo: Drei Zivilisten nehmen sich ein Herz und belästigen den Autor dieses Beitrags. Sein Bart mache ihn zum Akhwuani, zum Muslimbruder. Zum Glück wissen sie nicht, dass der Autor auch noch Ausländer und Journalist ist.

Schauplatz Ägypten

Geschichten aus Kairo und vom Tahrir-Platz

Politik auf FM4

Seit einigen Jahren ist die Innenstadt Kairos mein zweites Zuhause, wenn ich nach Ägypten komme. Der Fußweg zum Tahrir-Platz dauert ziemlich genau zwei Minuten. Mittlerweile kenne ich den Mann, der Leber-Sandwiches ums Eck verkauft, und den Mann, der meine Hemden bügelt. Leute, die mich kennen, wissen, dass ich seit Jahren einen Bart trage. Aus Bequemlichkeit. Rasieren ist nicht meine größte Leidenschaft. In der Kairoer Innenstadt sieht man seit dem 30. Juni 2013, dem Tag der größten Proteste gegen den ehemaligen Präsidenten Mohamed Mursi, immer mehr Poster von Armeechef und Verteidigungsminister Abdul Fattah al-Sisi. Downtown Cairo ist eine Bastion der Revolutionäre, aber auch der Reaktionären im Land.

Die Kairoer Innenstadt im Dezember 2010

Sammy Khamis Park15

Die Innenstadt von Kairo im Dezember 2010

Eines Tages Ende August auf meinem Weg durch die Innenstadt: An einer der zahlreichen Militärsperren um den Tahrir-Platz kommt ein kleiner Junge auf mich zu, hebt seinen Arm, fährt den Zeigefinger aus, zielt damit auf meinen Bart und schreit "Akhwuani! Akhwuani!". Akhwuan ist das arabische Wort für die Muslimbruderschaft. Akhwuani heißt also Muslimbruder. Einige Männer im Kaffee nebenan, die entweder in ihre Shisha oder ihren Tee vertieft vor sich hindösten, heben den Kopf. Einer fragt mehr aus politisch korrekter Höflichkeit, als aus Überzeugung nach: "Bist Du Muslimbruder?" Ich verneine vehement, lache etwas und sage, dass ich gerade auf dem Weg zum Supermarkt bin, unter anderem um Rasierer zu kaufen.

Spätestens seit dem 30. Juni, an dem in ganz Ägypten Millionen gegen Mohamed Mursi, den mittlerweile gestürzten Präsidenten demonstrierten, wird es für Muslime, die ihren Glauben per Mode (Kleidung oder Bart) offen mit sich herum tragen, sehr schwierig in Ägypten. Dalia Rabie zitiert in einem Artikel für Mada Masr am 11. August, die vollverschleierte Frau Mohie el Din mit den Worten: "harassment is so bold that [I am] scared to walk in the street."

Belästigung in der Straße

Angst auf die Straße zu gehen habe ich noch nicht, aber auf dem Weg zum Supermarkt höre ich in zwei Cafés (immer hinter meinem Rücken) das Wort Akhwuani. As ich mich umdrehte, waren immer mindestens zwei Augenpaare auf mich gerichtet.

Liberale Ägypter öffnen sich seit einigen Jahren westlichen Moderichtungen: Kurze Hosen (ein Unding für viele Ägypter) und Bärte (die coolen ungepflegten Drei-Tage-Bärte) sind in den Oberklasse-Cafés immer öfter zu sehen. Mit der nachhaltigen Hetzkampagne gegen die Muslimbruderschaft in ägyptischen Medien - alle werden als Terroristen dargestellt - denke ich, dass Rasierer vielleicht ausverkauft sein könnten. Ich irre. Gillette verdient bestimmt gut an der derzeitigen Anti-Bart-Agenda der staatlichen und privaten Medien.

Auf dem Rückweg vom Supermarkt dann blafft mich ein junger Straßenverkäufer an. Er verkauft Gürtel, Portemonnaies und Taschenmesser. Von oben herab fragt er, ob der werte Herr Muslimbruder bei ihm etwas kaufen möge. Ich lehne dankend ab und sage: "Ana Almani". Ein kleiner Wortwitz. Almani heißt in Ägypten nicht nur "deutsch", sondern auch "liberal". Der Gürtelmann versteht nicht. Ich verbarrikadiere mich im Badezimmer und rasiere meinen Bart ab.

Sammy Khamis

Beweisfoto: Schnauzer mit Autor

Die großartige Sarah Carr schrieb vergangene Woche:
Bearded men, journalists & foreigners are not having an easy time in Egypt. If you are a bearded, foreigner journalist you are fucked.

Meine Antwort darauf:
Check on all three

Das Arbeiten erleichtert ein Schnauzer ohne Frage (jeder, der jemals einen in seinem Gesicht tragen durfte, wird das unterschreiben). Aber gerade ausländische Journalisten haben es in Ägypten nicht leicht. In ägyptischen Medien werden westliche Nachrichtensender und vor allem westliche Journalisten als Unterstützer der Muslimbruderschaft gesehen, weil sie angeblich nicht von den Verbrechen der Muslimbrüder berichten.

Als Journalist, der in den letzten Tagen viel auf den Straßen Kairos unterwegs war, habe ich mich immer an den Leitsatz eines älteren Kollegen der SZ erinnert: "Berichte nur darüber und glaube nur das, was Du mit eigenen Augen siehst." Das habe ich und das haben die weitaus begabteren Kollegen vom Guardian, New York Times und Independent gemacht. Die extreme Gewalt der letzten Wochen hat uns alle schockiert, aber gerade die ausländischen Medien haben ausgewogen und von beiden Seiten berichtet. Die Muslimbruderschaft hat christliche Einrichtungen in ganz Ägypten angegriffen. Darüber haben ausländische Medien berichtet.

Trotzdem geht die Stimmungsmache gegen ausländische Journalisten weiter. Mostafa Hegazy, ein Sprecher der Übergangsregierung, sagte am 17. August, man sei "bitter enttäuscht über die Berichterstattung in den westlichen Medien". Das Resultat dieser anhaltenden Hetze ist erschütternd. Reporter ohne Grenzen veröffentlichte am 1. September einen Bericht über die Lage von Journalisten in Ägypten: Insgesamt fünf Journalisten haben ihr Leben gelassen. Alle durch Kugeln der Sicherheitskräfte. Mehr als 80 wurden verhaftet, 40 Journalisten von Zivilisten angegriffen. Zusätzlich berichtet das Komitee zum Schutz von Journalisten, dass seit dem 3. Juli neun Nachrichtensender und Agenturen von Sicherheitskräften durchsucht wurden. Dem ägyptischen Ableger von Al Jazeera (der der Muslimbruderschaft nahe stand) wurde die Lizenz entzogen. Unterstützer der Muslimbruderschaft werden pauschal als "Terroristen" bezeichnet. In diese Gruppe werden alle eingeordnet, die das Militär nicht beklatschen.

Ohne Bart hat man es auf der Straße etwas leichter. Mit Presseausweis aber hilft selbst eine Vollrasur nicht mehr.