Erstellt am: 22. 8. 2013 - 11:07 Uhr
Abendprogramm in Kairo
Die Bilder, die in Europa in den letzten Tagen aus Ägypten über die Fernsehbildschirme flimmern unterscheiden sich von denen, die Ägypter in den heimischen Medien sehen.
Radio FM4
Ein Beispiel: Als die Protestcamps der Muslimbrüder am vergangenen Mittwoch geräumt wurden, standen die Rauchwolken so hoch, dass man sie überall in der Stadt sehen kann. Die BBC zeigte ein Video der Verwüstungen und auch der Gewalt, mit der gegen die Demonstranten vorgegangen wurde. ON TV, ein privater und unabhängiger Sender in Ägypten zog daraus den Schluss: Die Muslimbrüder stecken alles in Brand, um Beweise von Foltercamps zu verwischen. Die Vorwürfe, dass im Protestcamp Rabaa gefoltert wurde sind bekannt. Doch die ägyptischen Medien betonen vor allem die Berichte, die die Muslimbruderschaft als Täter zeigen. Mit dem Ziel die Muslimbruderschaft, sowie ihre Anhänger als Terroristen darzustellen.
Weiterführendes: 23 wichtige Twitter Accounts aus und über Ägypten
Einem unabhängigen Bericht von Human Rights Watch zufolge waren es zwar Demonstranten, die das Feuer legten, aber mit der Hoffnung "to mitigate against the effect of tear gas. "
Human Rights Watch bezeichnet das Vorgehen der Sicherheitskräfte als größtes "unlawfull killing in the countries modern history". Im ägyptischen Fernsehen spricht darüber niemand. Ein Zustand, den auch die Bloggerin Gigi Ibrahim kritisiert, sie schreibt:
"All local media outlets are blistering pro-SCAF [pro Militär, Anm.], pro-police propaganda, as if the long history of police brutality were miraculously erased from people’s memories."
Widerstand in den ägyptischen Medien
Wer lieber fernsieht: ein Interview mit dem Autor dieser Geschichte, Sammy Khamis, im NDR.
"Wir verwehren uns der gegenwärtigen Spaltung in den Medien", betont die Mitbegründerin der Onlinezeitung Mada Masr, Lina Attalah, im Interview mit FM4 am Dienstag. "Entweder ist man dort für das Militär, oder man ist für die Muslimbruderschaft", so die 30-jährige Journalistin weiter.
Mada Masr ist eine Ausnahme, und eine sehr junge noch dazu: Erst am 30. Juni startete die Webseite, für die rund 25 Journalisten regelmäßig schreiben.
Um zu den Redaktionsräumen Mada Masrs nahe der Kairoer Innenstadt zu gelangen, kann ich kein Taxi nehmen. In diesem Stadtteil sind die Straßen sind seit eineinhalb Jahren komplett versperrt: man hat Betonblöcke zu zwei Meter hohen Mauern aufgetürmt. Ich muss unter anderem durch ein Loch in einer Wand klettern, um zum Interview mit Lina Attalah zu kommen. Als ich auf der Straße das Mikro aus meiner Tasche ziehe, um einen Passanten etwas zu fragen, dauert es keine Minute und zwei Zivilpolizisten, ein uniformierter Beamter und ein Soldat mit Kalaschnikow im Anschlag kommen auf mich zu. Was ich hier mache, wollen sie wissen, wieso ich hier mit dem Mikro rumlaufe. Das sei hie,. in der Innenstadt von Kairo, schließlich verboten .
Radio FM4 / Sammy Khamis
Über Ägypten zu berichten ist im Moment kein Spaziergang. Das bekommen auch die Leute von Mada Masr zu spüren. Eine Zeitung zu gründen braucht nach Lina Attalahs Aussage "viel Geduld und Papierkram." Die Journalisten bei Mada Masr kommen alle aus der englischsprachigen Medienlandschaft Ägyptens. Deshalb sind alle Texte auf Englisch - auch wenn eine arabische Version in Arbeit ist. Die Journalisten sind Ägypter. Die meisten begrüßten die Revolution 2011, mit der Hoffnung, dass sich die Pressefreiheit im Land verbessern würde. Die aktuelle Situation stimmt sie wenig optimistisch: "Aber trotzdem haben wir eine sehr klare Meinung zu Ägypten und der Situation im Moment. Wir können nicht einfach daneben sitzen und zusehen." Aus dieser Überzeugung heraus veröffentlicht Mada Masr täglich aktuelle Nachrichten. Für Lina Attalah aber sind es die Kommentare ihrer Autoren, die die Zeitung besonders machen.
Zum Beispiel ein Essay von Omar Robert Hamilton, der aus Sarajevo über sein Heimatland Ägypten schreibt:
"Today I am a coward who can only write. I see the revolution being dragged away to be shot over a shallow grave and I don’t know what to do. But I do know that, before it’s too late, we will grab it, we will fight for it. We have to, or we will never be able to live with ourselves."
Ägyptische Regierung kritisiert ausländische Medien
Solche Stimmen sind rar in den ägyptischen Medien, wie der ehemalige Guardian-Journalist Abdel-Rahman Hussein betont. Die Medien haben eine "toxische Stimmung" geschaffen, die den Mitte-dreißig-jährigen Journalisten nicht mehr mit seinen Eltern über Politik reden lässt: "Diese Situation zerreißt Familien. Die Stimmungsmache führt dazu, dass ich Freunde und Familienmitglieder verliere."
De Berichterstattung treibt die Leute auseinander: Die Fremdenfeindlichkeit nimmt Ausmaße an, die ich mir in Ägypten nie hätte vorstellen können. Ausländische Journalisten werden von aufgebrachten Zivilisten festgehalten oder verfolgt. Der arabische Ableger von Al Jazeera wurde - mal wieder - von der Übergangsregierung off air genommen.
Ausgangssperre
Was sehen also die Ägypter, wenn sie abends, nach der Ausgangssperre, ihren Fernseher anschalten? Sie sehen vor allem Talk-Sendungen. Dabei überschütten sich die Gäste in der Regel gegenseitig mit Lob, da ihre Meinungen meist nur minimal von einander abweichen. Oft kommen auch Anrufer zu Wort, die - wie auf ON TV - das Vorgehen des Militärs gegen die "Terroristen" für nicht ausreichend hart erachten.
Und das Staatsfernsehen "Das Erste" will eine Verbindung zwischenObamas Halbbruder als Finanzier und der Muslimbruderschaft gefunden haben.
All diese Dinge verunsichern den Journalisten Abdel Rahman Hussein. Doch wir können unser Gespräch nicht beenden, es ist schon halb sieben, noch 30 Minuten bis zur Ausgangssperre. Und ich muss noch Wasser, Brot und Zigaretten besorgen, um durch die lange Nacht in Kairo zu kommen.
Radio FM4 / Sammy Khamis
Und natürlich will ich nicht verpassen, wie Lina Attalah, Gigi Ibrahim und Abdel Rahman Hussein ab 19 Uhr auf Twitter die Propaganda der ägyptischen Medien kommentieren.